Es ist Damenwahl

Jubiläum Einst feierten fröhliche Bacchantinnen in der DDR im schrillen Ausnahmezustand. Heute äugt ein scheues Reh ins Scheinwerferlicht des Kapitalismus. Der Frauentag wird 100

Die Gesichter der Ausbeutung. Eben sah ich Fassbinders Martha wieder. Margit Carstensen und Karlheinz Böhm in einer sadomasochistischen Beziehung, die man auch unter dem Namen „bürgerliche Ehe“ kennt. Wenn Böhm küsst, beißt er wie ein Vampir. Wenn er von einer Dienstreise heimkehrt, hat er seiner Frau ein Geschenk mitgebracht, und sie muss fürchten, dass er sie töten will. – Fassbinder klaute die Story dem Amerikaner Cornell Woolrich. Aus Versehen, wie er später versicherte.

Ein paar Unternehmen geben sich zurzeit philogyn, denn die Frauenquote geht um wie ein Gespenst in Europa. E.on lässt elf Prozent seiner Aufsichtsrats- und Vorstandsjobs von Frauen erledigen, will diese Zahl aber in den nächsten neun Jahren verdoppeln. BMW und Daimler können sich vorstellen, 15 oder 20 Prozent Weibervolk ans Steuer zu lassen. Das Kapital ist ein scheues Reh, es fürchtet sogar Frauen. Chancengleichheit muss der Bundesrepublik verordnet werden wie eine übel schmeckende Medizin. Und nicht nur die der Frauen, sondern jedermanns gleiches Recht. Es wird dem Gemeinwesen aufgepfropft wie edleres Obst wilden Trieben – in Zeiten, da wir’s uns leisten können oder wollen. Doch stellen Sie sich vor, was für ein Aufschrei durchs Land ginge, dächte einer öffentlich über die Schaffung von Arbeiter- und Bauernfakultäten nach. Etwa, weil er festgestellt hat, dass Kinder aus sozial schwächeren Kreisen in eine sozial schwächere Zukunft starten. Weil Mädchen und Jungen aus ungebildetem Elternhaus weniger gebildete Erwachsene werden. Solches Ansinnen wäre erschreckend. Man bleibt in Akademikerkreisen lieber unter sich. Und das Kapital, siehe oben, ist schnell verschreckt.

DDR-Grundausstattung

Ostdeutsche Frauen hatten es früher leicht. Sie mussten zwar Kinder und Beruf unter einen Hut kriegen. Aber es blieb ihnen die Selbstfindung erspart. Und es musste auch keine zum Fettabsaugen oder zur Schönheits-OP. Sie wuchsen zu naturgegebener Größe. Sie sprachen, lebten und arbeiteten ungefähr so entfremdet oder unentfremdet wie ihre Männer. Natürlich waren sie nicht emanzipiert. Das erklärten ihnen WestlerInnen, als die Wende kam.

Der Internationale Frauentag gehörte zur DDR-Grundausstattung. Zweimal im Jahr standen wir Schüler bei unserer Lehrerin Schlange. Am Lehrer- und am Frauentag. Sie saß hinterm Pult, wir brachten einer nach dem anderen unsere Gabe dar. Weil Schnittblumen Mangelware und erst recht am 8. März, reihten sich schließlich auf dem Lehrertisch Alpenveilchen Topf an Topf. Das Ritual stammte wohl aus Tagen, da der Bauernlümmel dem Lehrer Fresspakete brachte, um auf eine bessere Note zu klettern. Der Brauch hatte sich in die neue Zeit gerettet. Ich kann aber versichern, unsere Gaben blieben unzensiert.

„Die Frau – ein aktiver Teilnehmer am demokratischen Aufbau Deutschlands“ titelte am 8. März 1946 die von der Roten Armee für ihre Besatzungszone herausgegebene Tägliche Rundschau. Es war der erste Frühling nach der Nazizeit. Der Frauentag kehrte heim. 1910 hatte die deutsche Sozialistin Clara Zetkin einen Kampf- und Feiertag von und für Frauen vorgeschlagen. Im Jahr darauf wurde er erstmals gefeiert, in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA – am 19. März. An wechselnden Sonntagen im Frühjahr ging es den kämpferischen Frauen in den folgenden Jahren darum, vor allem ihr Wahlrecht zu erstreiten. Es gelang ihnen. Im Januar 1919 konnten in Deutschland zum ersten Mal Frauen wählen und gewählt werden. Seit 1921 hatte der Frauentag dann sein festes Datum am 8. März. Er wurde auch in der Sowjetunion Tradition.

Nun, 1946, nach Hitlers US-Import, dem ekligen Muttertag, kehrte er von dort her zurück. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung waren weiblich. Die Trümmerfrau kloppte Steine, hungerte und fror. Sie wurde – mit Kopftuch und Hacke, asexuell und unschuldig an zuvor Gewesenem – eine Ikone des Neuen.

Über die Mutterschaft des 8. März wurde im Kalten Krieg gestritten. Bezog man sich im Westen auf einen Streik New Yorker Textilarbeiterinnen, stand der Osten in der Tradition des Petrograder Frauenaufstands vom 23. Februar (8. März) 1917. Zehntausende Frauen hatten da gegen Hunger, Krieg und Zar demonstriert, daraus folgte ein Generalstreik, der Zarismus brach zusammen.

In der Bundesrepublik wurde weiter der Muttertag begangen. Heintje sang das passende Lied dazu. Zur DDR gehörte der Frauentag wie das Sandmännchen, die Frösi und der Berliner Fernsehturm. Dina Straat (was für ein Name! längst vergessen) sang: „Am Sonntag, da spiel’n wir, am Sonntag spazier’n wir, am Sonntag da haben wir Zeit ...“

Vati ging einkaufen

Der 8. März blieb ein Arbeitstag, aber man feierte ihn in Betrieben und Büros, in Kaufhallen, Komplexannahmestellen, in den LPGen und beim Ministerium für Staatssicherheit. Es herrschte karnevalesker Ausnahmezustand. Eine eigentümliche Travestie wurde aufgeführt. Der Kombinatsdirektor trippelte durch die Kantine, schenkte „seinen Frauen“ Kaffee ein, der Parteisekretär zog sich eine Kittelschürze über, schmierte die Brötchen und machte den Abwasch, der Brigadeleiter fegte die Flure, während Köchinnen und Putzfrauen bereits die ersten Schnäpse kippten. Ball verkehrt im ganzen Land. Fröhliche Bacchanten und noch viel fröhlichere Bacchantinnen feierten, flirteten und tanzten von Kap Arkona bis zum Fichtelberg. Vati ging einkaufen und klebte, zur Feier des Tages, die Konsummarken selbst ins Buch; Mutti lag in der Hängematte. Das Matriarchat in den Farben der DDR. Ein paar Großstadt-Schwule machten den alljährlich gleichen Witz und gratulierten sich ebenfalls. Auch in die Schönen Künste hielt der Frauentag Einzug, natürlich. Fritz Rudolf Fries lässt in einer 1982 erschienenen Geschichte den Schriftsteller Arlecq seine Frau ausgerechnet in der Nacht zum Frauentag ermorden. „Sie hatte sich kaum gewehrt, als geschah ihr dies im Traum.“

Das Internationale und Revolutionäre waren dem Tag und der Party längst abhanden gekommen. Aber wen störte das? Ausbeutung ist keine moralische, sondern eine ökonomische Sache, die war überwunden, diese Dinge waren ein für alle mal geklärt. Wie sich zeigen sollte, ein Irrtum.

Die Mauer fiel, eine Macht fiel. Ostdeutsche Frauen und Männer lernten begierig alles Neue. Sie erfuhren: Macht funktioniert, weil sie mehr tut, als Druck auszuüben von oben nach unten. Sie spannt ihr Netz auch in die Breite. Und das ist es, weshalb wir so gut gehorchen. Wir waren in ein vertrackteres System geraten. Es ging um mehr als treten und getreten werden. Es stellte sich zum Beispiel die Frage: Was ist es (in uns), das uns die Macht lieben lässt?

Seiner marxistischen Begriffe entledigt, mäanderte der Diskurs dahin. Es war pfui-kacka, das Wort Kapitalismus überhaupt in den Mund zu nehmen. Ronald M. Schernikau hatte seinen Kollegen Schriftstellern im März 1990 auf dem letzten Kongress des DDR-Verbands zu sagen gewagt: „Meine Damen und Herren, Sie wissen noch nichts von dem Maß an Unterwerfung, das der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt.“ Das hat dort keinem gefallen. – Und weil wir gerade über Macht und Mächtige sprechen. Es nützt immer wieder, auch dem Diskurs die Machtfrage zu stellen: Wem nützt du?

Ist der Frauentag also ein Relikt? Alice Schwarzer will ihn abgeschafft sehen, weil eine Linke ihn erfand, die „noch die letzten bolivianischen Bauern befreien wollte, die eigenen Frauen und Freundinnen aber weiter Kaffee kochen, Flugblätter tippen und Kinder versorgen ließ“. Mal nicht so verkniffen, Frau Schwarzer! Wie viele Frauen hatte denn Clara Zetkin? Und was gibt’s gegen eine Party einzuwenden? Lernen Sie von den Ostlerinnen. Ich freue mich, gelegentlich an gleicher Stelle den Text einer Autorin zum Herrentag zu lesen.

Karsten Laske ist Drehbuchautor und Filmregisseur

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