Hundstage

Berliner Abende Manuela kriegt ein Kind. Wir kriegen ihren Hund. Für drei, vier Tage, je nachdem, wie lange sie im Krankenhaus bleibt. Finn soll der Kleine heißen. ...

Manuela kriegt ein Kind. Wir kriegen ihren Hund. Für drei, vier Tage, je nachdem, wie lange sie im Krankenhaus bleibt. Finn soll der Kleine heißen. Die Hündin heißt Emma. Über ihre Schwangerschaft hat Manuela kaum ein Wort verloren, nie geklagt, sie ist die unaufgeregteste, entspannteste Schwangere, die ich je kannte. Mit dem Hund ist es anders. Emma ist sensibel, sagt Manuela, Emma war noch nie eine ganze Nacht außer Haus, wie wird sie´s aufnehmen? Es ist ein Hund, sage ich, was soll sein? Eine Hündin, verbessert Manuela. Sie wird sich ängstigen.

Also spendieren wir Emma einen Schnupperkurs. Sie besucht uns, wir nehmen sie an die Leine und gehen mit ihr durch den Park, wir kaufen Fress- und Trinknapf und Leckerli. Manuela bringt Spielzeug vorbei, einen Ball, einen Beißring. Damit das Tier etwas Vertrautes vorfindet in der fremden Wohnung. Und schließlich übernachtet sie schon mal zur Probe. Der Geburtstermin steht an. Nun kann Emma aber wirklich zu uns kommen. Beziehungsweise das Kind zur Welt. Aber noch rührt sich gar nichts.

Dann tritt Emma in eine Glasscherbe und verletzt sich einen Vorderlauf. Manuela weint. Emma hinkt und muss täglich einen neuen Verband kriegen. Draußen trägt sie darüber einen Kunststoffschuh mit praktischem Klettverschluss, zu Hause einen ollen Socken. Ich werde also nicht nur Hundesitter, sondern auch Sanitäter sein. Aber wann? Ich klingle bei Manuela. Schon was zu merken? Nö.

Dann setzen die Wehen ein. Was heißt einsetzen? Als sie schon alle drei, vier Minuten kommen, meldet sich Manuela endlich. Ja, ich bin noch zu Hause, Emma auch. Und Finn, rufen wir aufgeregt, ist der etwa auch schon da? Nö, nö. - Um die Sache kurz zu machen, alles ging gut. Manuela kam rechtzeitig in den Kreißsaal, das Kind gesund zur Welt. Seither trinkt es, schläft, schreit fast nie. Wir nahmen Emma zu uns, zogen ihr drei, vier Mal am Tag ihren Straßenschuh an und mit ihr um die Häuser. Was bin ich oft genervt, dass es kein Fleckchen Grün in Berlin gibt, wo nicht schon ein Hund drauf geschissen hat. Jetzt, da wir Emma durch die Gegend führten, freuten wir uns, wenn sie brav ihr Häufchen zu den anderen setzte. Ich kam zu dem Schluss, dass es doch letztlich eine Zumutung für Hund, Stadt und Städtebewohner ist, so ein Tier mitten in Berlin zu halten.

Zu Hause lag Emma brav in der Ecke, schlief, trank, fraß, bellte fast nie. Wedelte mit dem Schwanz, rülpste nach dem Fressen. Kam zum Fernsehen mit auf die Couch. Spitzte die Ohren, leckte ihre verletzte Pfote und hinterließ überall schwarze Haare. Kleinkinder und Tiere leben nur in der Gegenwart, kennen kaum eine Erinnerung und gar keine Zukunft. Wär das nicht schön, frage ich mich manchmal. Aber es bleibt natürlich eine rhetorische Frage. Zwei Rätsel gibt es auf dieser Welt, sagen die Russen, weiß nimmermehr, wie ich geboren ward, werd nimmer wissen, wie mich der Tod trifft. Emma, zum Glück, ist sehr lebendig und so etwas wie eine Gute-Laune-Maschine.

Als Manuela nach vier Tagen vorbeikommt, ihr Baby zeigt und Emma wieder mit sich nimmt, merken wir anschließend, dass uns etwas fehlt. Einen ganzen Tag lang bin ich niedergedrückt und kann es selbst kaum fassen, was ich für eine Mimose bin. Nachts träume ich, dass Emma vor meinem Bett steht und gestreichelt werden will. Heimlich studiere ich die Seiten vom Berliner Tierheim. Sag mal, Schatz, frage ich, wollen wir nicht vielleicht doch einen Hund?

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