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Berliner Abende Ich hole Maik vom Flugplatz Tempelhof ab. Ankunft am Sonntag aus Brüssel, kurz nach 11. Fast bin ich zu spät. Musst nicht kommen, hatte Maik gesagt, ...

Ich hole Maik vom Flugplatz Tempelhof ab. Ankunft am Sonntag aus Brüssel, kurz nach 11. Fast bin ich zu spät. Musst nicht kommen, hatte Maik gesagt, ich steig in die U-Bahn und bin in ´ner halben Stunde zu Hause. Nein, ich hol dich ab, versprochen, ich will doch das Ding noch mal sehen, bevor´s dicht macht.

Tempelhof schließt also. Da gab´s viel Rummel drum. Seit Monaten ist Berlin mit Plakaten zugepflastert, pro und contra. "Alle Macht geht vom Volk aus!" "Ick zahl doch nicht für´n VIP-Flughafen!" Und die CDU hat jetzt auch noch mal nachgelegt, wiederum für den Erhalt: "Ich bin ein Berliner!" Alles sehr simpel. Berlin ist Bolle und Bulette, ´ne Molle und Solei. Man will den Preußen ans Herz rühren. Dabei können große Flieger in Tempelhof nicht landen, und Air Berlin und Lufthansa wollen überhaupt nicht hin. Man beschwört also statt der Zukunft lieber die Vergangenheit, die glorreiche Luftbrücke und die goldenen Tage West-Berlins. Im Ostteil interessiert das alles schon mal gar keinen.

Je näher ich dem Flughafen komme, desto dichter wird der Plakatverkehr. Dann steht da das Betondenkmal, das ich einst für ein überdimensionales Mauersegment hielt. Es soll aber die Luftbrücke symbolisieren.

Apropos überdimensional. Tempelhof war mal der größte Flughafen der Welt. Es wehen auch immer noch ein paar Fahnen überm Vorplatz, allerdings keine roten mehr, auch das schwarze Drehkreuz in der Mitte fehlt. Zentralflughafen steht am Eingang. Man könnte die Halle für ein Postamt halten. Es gehen Flüge nach Brüssel, Mannheim, Graz und Friedrichshafen. Ein Wort fällt mir ein: provinziell. Auch Abflüge nach Berlin-Tempelhof sind angeschrieben, nachmittags gleich drei. Es sind Rundflüge, die man hier buchen kann, der Flugschalter für die Rosinenbomber-Zeitreise ist der einzige, an dem ein paar Kunden stehen.

Fast wäre ich zu spät gekommen, wie gesagt. Die Uhren wurden umgestellt. Hatte ich vergessen. Maik, der unser Klassenbester war, was ihn fürs Leben geprägt hat, zitiert mir später den Merkspruch: Im Sommer vor, im Winter hinter. Es nützt nichts, sage ich ihm, ich vergesse einfach immer, überhaupt am Zeiger zu drehen. Er erklärt´s mir noch einmal. Maik ist wirklich ein sehr schlauer Kopf. Seine Eltern sind Arbeiter gewesen, Proletarier, wie er selber sagt. Maik hat uns alle überflügelt. Man kann das als Beweis dafür nehmen, dass in der DDR jeder etwas werden konnte. Die andere Theorie ist, dass ihm die alberne ostdeutsche Schreibweise seines Namens irgendwann derart peinlich war, dass er dachte, dem muss ich was entgegensetzen, und sich quasi selbst an den Haaren aus dem Sumpf zog.

Noch ist er nicht da, sein Flug verzögert sich um ein paar Minuten. Das Restaurant, das einen Blick aufs Flugfeld haben soll, ist geschlossen. Ich drehe noch eine Runde ums Karree. Ein Revuetheater und eine Tanzschule haben sich hier eingemietet - "La vie en rose" und die "Traumtänzer", das passt - die DEKRA und die Polizei. Dann ist da der Columbia-Club, der früher mal ein Kino war...

Gerade noch erwische ich Maik, der schon vor der Flughalle steht und eben ein Taxi nehmen will. Nur wenige Passagiere flogen mit seiner Maschine, nur ein bisschen Brüssler EU-Pack, wie er sich ausdrückt, kaum einer hatte mehr als Handgepäck. Musst du gleich nach Hause, frage ich. Nö. Also fahren wir noch ein Bier trinken. Mit Bulette und Solei.

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