Erhaben stolpert Alma (Vicky Krieps) durch den Frühstückssaal. Sie fällt auf unter den uniform gekleideten Kellnerinnen. Kantig und ungeschickt stolziert sie zwischen ihnen mit der Kaffeekanne umher. Durch die Augen des Modedesigners Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) enthüllt Paul Thomas Anderson die Schönheit, die sich hinter Almas charmanter Unvollkommenheit verbirgt. Er ist fasziniert von ihrem Gesicht, das elegant und doch gewöhnlich scheint – bis ihr Lachen es vollkommen macht. Woodcock provoziert es und bringt so zum Vorschein, was sie makellos macht – nicht in seinen, sondern in ihren eigenen Augen. In seiner Zuneigung spürt sie eine Schönheit, die sie sich selbst nie zugestanden hat.
Noch im Frühstückssaal beginnt die spielerische Inszenierung der Obsession, die die Beziehung von Couturier und Muse – die hier bereits ausgemachte Sache zu sein scheint – prägen wird. Woodcock bestellt und klaut Alma sogleich den Zettel, auf dem sie seinen gewaltigen Appetit aufgelistet hat: Rahm, Speck, Marmelade, Croissants und pochierte Eier. Doch auch ohne ihre Notizen merkt sie sich jede Zutat, jede Zubereitungsart und bringt alles mit einem neuen Zettel, der dem „hungrigen Jungen“ guten Appetit wünscht – Reynolds Woodcock hat seine Muse gefunden.
Bald lädt er sie auf sein Landhaus ein, erzählt ihr von seiner Mutter, die er geliebt und begehrt hat. Dann nimmt er ihre Maße, schmeichelt ihr, konzentriert sich ganz auf sie, gibt sich ein weiteres Mal ihrer Schönheit hin. Sie legt ihr Kleid ab, bis sie halb nackt vor seiner Schwester Cyril (Leslie Manville) steht, die unerwartet das Atelier betreten hat und beiden fortan nur in Ausnahmen von der Seite weichen wird.
Gedemütigt hält Alma die Pose, doch ihre Schönheit geht mit ihrem Lächeln. Dann ist Woodcock wieder ganz bei ihr: Eine perfekt gesteckte Nadel lässt sie Cyril vergessen und holt Almas Lächeln zurück. Fortan ist sie Teil seiner Rituale und Routinen. Er entwirft Kleider für sie, schickt sie auf Modenschauen und beobachtet mit lächelnden Augen, wie die Welt sie in seinen Stoffen bewundert. Der Glanz, den die Kleider ausstrahlen, entspringt dem so rigiden wie fragilen Lebensstil, den der Modeschöpfer führt.
Man könnte sich kaum ein besseres Sinnbild für den Stil Andersons vorstellen als diese Welt, die von absoluter Kontrolle besessen ist und zugleich elegant erscheint. So sucht Anderson, der erstmals auch die Kameraarbeit übernahm, in Der seidene Faden zu jeder Zeit nach genau jener filigranen Geste, die seine perfekt geschneiderte Liebesgeschichte passgenau abrundet. Etwa die Schleife, die Woodcock mit seinem Sportwagen zieht, als er Alma das erste Mal abholt, und die sie auf ähnliche Weise mit ihrer Hand vollführt, als sie ihm das erste Mal eine Tasse Tee einschenkt. An diesem wiederkehrenden Schlenker demonstriert der Film die ersten Reflexe eines Kontrollwahns.
Beim gemeinsamen Frühstück wird die Gewandtheit der Handbewegung für Woodcock plötzlich zu einer nervigen Manier, die ihm fast körperliche Schmerzen bereitet – denn alles, was in der Stadtvilla passiert, hat seinen Vorgaben zu entsprechen oder muss entfernt werden. Der seidene Faden überhöht genüsslich diese Einbrüche in die Welt Woodcocks. Das Reiben eines Messers auf der Scheibe Toastbrot klingt plötzlich wie ein Winkelschleifer auf Asphalt, um dann, als der Couturier wieder inspiriert ist, durch die Klänge von Jonny Greenwoods Piano wieder in den Hintergrund geschoben zu werden.
Nicht nur stilistisch scheint die Schilderung des Alltags in der viktorianischen Wohnung Woodcocks eine logische Fortsetzung im Œuvre von Anderson darzustellen. Der Film setzt die so häufig von der Monomanie eines Mannes dominierten Motive der Machtdynamik fort, die Anderson so oft in seinen Filmen aufgreift.
Statt der permanent offen ausgetragenen Konfrontation, sei es in der blut- und ölverschmierten Gründerzeit (There Will Be Blood, 2007) oder im traumatisiert-sinnsuchenden Nachkriegsamerika (The Master, 2012), inszeniert er hier die Flucht eines Mannes in seine eben nicht archaische und brutale, sondern feine und geschmeidige Welt. Anderson verlässt mit Der seidene Faden das erste Mal seine amerikanische Heimat, um seine filmischen Motive in das Großbritannien der 1950er zu exportieren.
Erhabene Perversion
Im stets abgeschotteten Reich der britischen Stadtvilla ist alles eine Inszenierung Woodcocks. Daniel Day-Lewis lässt in ihm den spröden Greis und den lebhaften Dandy spielerisch zusammenfließen. Doch Woodcocks pathologischer Habitus droht sein Umfeld, insbesondere seine Partnerinnen zu zerstören. Was nicht in seine Welt passt, wird abgeblockt mit dem bockigen Gestus eines Kleinkinds und dem Nachdruck eines verehrten Modemoguls. Was er nicht selbst entwirft, kann er nicht lieben. Doch Alma – Vicky Krieps lässt sie hier ansatzlos, mit kleinsten Gesten Sprünge zwischen aufopfernd und einfordernd, verschüchtert und bedrohlich vollführen – sucht die Liebe eben nicht in der Selbstaufgabe.
Um die Barriere von Woodcocks ödipaler Bockigkeit zu überwinden, legt sich Alma eine Strategie zurecht: Sie vergiftet ihn, pflegt ihn wieder gesund und verführt ihn. Sie reißt das Liebesspiel wieder an sich, durchdringt die Zwanghaftigkeit mit einer mütterlichen Fürsorglichkeit, die stets ein tödlicher Hauch umweht. Sie liebt Reynolds auf ihre Art. Der Film erkundet diese Zuneigung nicht als etwas Abgründiges, Alma und Reynolds vollführen nunmehr das gleiche Spiel, das sie schon bei ihrer ersten Begegnung gespielt haben: das Spiel einer zwanghaften Liebe und einer erhabenen Perversion.
Info
Der seidene Faden Paul Thomas Anderson USA 2017, 130 Minuten
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