Als reine Formalität kommt die Unterschrift daher. Am Ende ihres ersten Therapiegesprächs unterzeichnet Sawyer Valentini (Claire Foy) eine Erklärung. Das Kleingedruckte liest sie nicht und wird in Folge kurzerhand aus eigenem Willen, gegen den eigenen Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. „Highland Creek“ ist damit die letzte Station auf Sawyers Flucht vor ihrem Stalker David Strine (Joshua Leonard).
Nach ihrem Umzug in eine neue Stadt und dem dortigen Neuanfang bricht die Erinnerung an Strine in das Refugium ein, das Sawyer sich hier aufgebaut hat. Noch bevor das Gesicht Strines wieder als allgegenwärtige Bedrohung auftaucht, strahlt das Trauma der Stalking-Erfahrung aus der Peripherie des Bildes bereits in Sawyers Lebenswelt ab. Der Business-Dis
siness-Distrikt ragt durch die Verzerrung der weitwinkligen iPhone-Kamera bedrohlich über der Protagonistin. Die Innenräume, ob Büro oder After-Hour-Bar, isolieren Sawyer mit der gleichen optischen Verzeichnung, die ihr Gesicht in Unschärfe lässt. Lässig etabliert Regisseur Steven Soderbergh hier bereits die Motive, die Sawyer bis in die Isolationszellen der Klinik begleiten werden.Unsane – Ausgeliefert ist gewissermaßen das nächste Soloprojekt Soderberghs, der mit der unkomplizierten und günstigen Arbeitslogik der Smartphone-Kamera die perfekte Synthese aus seiner zwischen Indie-Auteur und Hollywood-Entrepeneur changierenden Identität gefunden zu haben scheint. An nur zehn Tagen, zwischen PR-Terminen zu Logan Lucky, ist sein neuer Film, ohne Ankündigung und, wie die Serienproduktionen The Knick und Mosaic, erneut fast im Alleingang entstanden.Nahezu alle Kreativ-Departments, abgesehen vom Drehbuch, übernimmt der Technik-Fanatiker Soderbergh selbst. Die Namen der Kollaborateure, die keine Pseudonyme des Filmemachers darstellen, sausen in den knapp 30 Sekunden des Abspanns geradezu durchs Bild.Trotzdem lohnt es sich, in Unsane auch das Kleingedruckte zu lesen. Sawyer erfährt das, als auch die Polizei sie nicht ohne Weiteres befreien kann – schließlich hat sie sich selbst in die Privatklinik einweisen lassen. Überhaupt ist die Struktur hinter Sawyers Horrortrip eine privatwirtschaftliche. Traumatische Erfahrungen sind in Unsane ein lukratives Geschäft. Ausgerechnet Matt Damon – mittlerweile eine Art Lieblings-Cameo-Gast Hollywoods – leiht diesem Geschäftsmodell in einer Rückblende als spießiger Sicherheitsvertreter sein Gesicht. Sein so erratischer wie genialer Sales-Pitch ist das ideale Geschäft mit der Angst.Die Tiefgarage erklärt er zur potenziellen Todesfalle, das Smartphone ebenso zum Tabu wie Social-Media-Accounts und die Schusswaffe mit der dazugehörigen Ausbildung zum einzig konsequenten Schutz vor dem Stalker. Gratis zur Beratung dazu gibt es The Gift of Fear, die Bibel der privaten Sicherheit, die Damon stolz als Schlusspunkt seines Auftritts präsentiert. Vorreiter des Handels mit seelischer Erschütterung bleibt allerdings „Highland Creek“ selbst. Das Geschäftsmodell der Klinik ist einfach und effektiv: Hilfesuchende werden, mit einer schnellen Unterschrift ihrer Freiheit beraubt, mit Pillen gefüttert und erst wieder freigegeben, wenn der Zahlungsrahmen der Versicherungen abgelaufen ist.Abfälliges LachenEine konkret ausformulierte Kritik am kommerzialisierten US-amerikanischen Krankenhaussystem ist Unsane dennoch nicht geworden. Das monetarisierte Gesundheitswesen bleibt eine so satirische wie gespenstische Andeutung, die gerade als eine strukturelle, nie fassbare Bedrohung ihre kafkaeske Qualität entwickelt. Immer wieder bricht sie in die hermetische Welt des Genrefilms ein, den Soderbergh in den fiebrig gelben Fluren des Sanatoriums entfesselt.Im Herzen bleibt Unsane ein clever konstruierter und doch scheinbar locker aus der Hüfte geschossener Thriller. Sawyers Erlebnisse speisen sich aus dem klassischen Horrorfilm-Topos der Ohnmacht: Fremde bestimmen über den eigenen Körper. So wird Sawyer ans Bett gefesselt, mit Opiaten vollgepumpt und von den anderen Insassen isoliert in der berüchtigten Gummizelle untergebracht.Doch die ständig körperlich bedrängte und geistig angeschlagene Protagonistin ist alles andere als wehrlos. Soderberghs Genrespielereien müssen sich stets mit dem Stehvermögen seiner Protagonistin messen. Eine Mitinsassin, die eine improvisierte Messerklinge unter ihrem Kleid hervorzieht und damit auf sie losgehen will, kriegt für ihren abgedroschenen „Verrückter Teenager“-Auftritt ein abfälliges Lachen ab, bevor sie überhaupt eine Drohung aussprechen kann – die Nummer zieht bei Sawyer nicht. Trotz heftiger Psychopharmaka-Dosierungen ist sie körperlich kaum zu bändigen. Mit eruptiven Gewaltausbrüchen hält sie Zimmergenossen und Klinikpersonal gleichermaßen auf Distanz. Bis schließlich auch ihr Stalker, dessen gespenstische Omnipräsenz Sawyer in das Sanatorium geführt hat, selbst als Pfleger auftaucht und sie erneut mit ihrer geistigen Fragilität konfrontiert.Ob es sich diesmal tatsächlich um David Strine handelt, bleibt lange unklar. Es ist diese virtuos geformte Ungewissheit, in der Unsane ganz und gar aufgeht. Im schäbigen Videolook, dem Soderbergh jedes ästhetisch reizvolle Widerspiel von Licht und Dunkel zugunsten einer fahlen Tristesse austreibt, wächst eine Beklemmung, die der Regisseur noch in der dunkelsten Zelle des Sanatoriumskellers bis ins Kleingedruckte ausbuchstabiert.Placeholder infobox-1