Eine Generation auf der Durchreise

Fernweh Was hat es eigentlich mit der Rast- und Ruhelosigkeit von Millennials auf sich?

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Nur zuhause will ich weg.
Nur zuhause will ich weg.

Foto: Taki Lau / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Vorstellung, alle Zelte abzubrechen und im Ausland neu anzufangen, mag auf einige abschreckend wirken – für andere ist sie dagegen der Inbegriff von Freiheit. In der Generation der 20- bis 35-jährigen ist die Lust auf ein Leben in der Ferne besonders ausgeprägt. Aber was steckt hinter der Sehnsucht, alles Vertraute hinter sich zu lassen und den Schritt ins Unbekannte zu wagen?

Auslandssemester in Frankreich, Praktikum in der Schweiz, danach ein Job in den USA – viele Millennials haben kein Problem damit, für Studium und Arbeit ihr Heimatland wie eine zweite Haut abzustreifen. Das Medienunternehmen Nielsen hat in einer Studie zum Reiseverhalten der Generation Y insbesondere die scheinbare Leichtigkeit hervorgehoben, mit der sie der eigenen Heimat den Rücken kehrt.

Dabei ist das Bedürfnis zu neuen Ufern aufzubrechen so alt wie die Menschheit selbst. Von Afrika aus haben wir nach und nach die gesamte Welt bevölkert und selbst in den entlegensten Gebieten Siedlungen errichtet. Früher hätte man die Lust auf unbekanntes Terrain vielleicht als Entdeckergeist bezeichnet, heute spricht man von Fernweh.

Fernweh hat viele Gesichter – und der Name ist Programm. Viele versuchen, ihre Gier nach Neuem mit exotischen Urlaubsreisen zu stillen, während andere noch einen Schritt weitergehen und dauerhaft im Ausland wohnen. Dann gibt es noch diejenigen, die von immer neuen Umgebungen nicht genug bekommen können und rastlos von Stadt zu Stadt, von Land zu Land reisen – Globetrotter, deren gesamtes Hab und Gut bequem in zwei Koffer passt.

Die Kalle-Generation

Eins dieser Gesichter ist Kalle, 26. Als Globetrotter würde er sich zwar nicht bezeichnen, aber der Wunsch nach einem Leben in der Fremde hat auch ihn gepackt. Nach dem Studium in England ist er für eine Weile nach Deutschland zurückgekehrt, hatte aber bereits da schon den Entschluss gefasst, langfristig ins Ausland zu ziehen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat er diesen Plan dann in die Tat umgesetzt und lebt seitdem in London. Obwohl es eine Entscheidung aus Liebe war – zur Stadt, ihrer einzigartigen Atmosphäre und der britischen Kultur mit all ihren Eigenheiten – meldet sich die Sehnsucht nach Familie und Freunden in Deutschland mal stärker, mal schwächer zu Wort.

WhatsApp und Skype-Telefonate eignen sich zwar wunderbar, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, persönliche Treffen ersetzen sie aber nicht – und so manche Freundschaft geht an der Distanz kaputt. Das geschieht meist schleichend. Telefonate werden verschoben und Nachrichten nicht mehr zeitnah, sondern erst nach Tagen oder gar Wochen beantwortet bis der Chatverlauf irgendwann kein Gespräch mehr ist, sondern mehr Ähnlichkeit mit einem Monolog aufweist.

Alles auf einmal, am besten gleich

Manche würden das Ganze wohl als typisch für Kalles Generation bezeichnen – den Umstand, dass sie alles auf einmal will und das am besten gleich. Eintauchen in eine fremde Kultur ohne auf die Annehmlichkeiten der eigenen verzichten zu müssen, im Ausland leben, aber bitte mit der Möglichkeit, schnell und unkompliziert nach Hause fahren zu können, wenn das Verlangen nach den Lieben zu groß wird.

Und trotzdem. Nach Deutschland möchte Kalle, zumindest bis auf Weiteres, nicht zurück. Ob er in England bleibt oder weiterzieht weiß er noch nicht. Teilweise kommt es ihm so vor, als sei er ständig auf der Suche – nach der idealen Stelle, dem perfekten Partner, dem nächsten Trend.

Von Meilenstein zu Meilenstein

Ist diese Rastlosigkeit vielleicht ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem? Ist Kalle Teil einer Generation von Getriebenen, die ständig von Meilenstein zu Meilenstein, von einem Job zum nächsten hetzt? Haben Millennials durch ihr Streben nach dem perfekten Lebenslauf, der ständigen Selbstoptimierung die Kunst des zufriedenen Innehaltens verlernt? Manchmal fragt Kalle sich, ob er überhaupt noch weiß, was das ist – Zufriedenheit.

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