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IRAN Wie lange reicht die Geduld der Reformer?

War dieser Schritt wohlüberlegt? Am Samstag hat Ayatollah Chamenei ein neues Pressegesetz, das die Journalisten vor der Willkür der konservativ dominierten Justiz schützen sollte, gekippt. Dieses Pressegesetz war nicht einer von vielen Punkten auf der Tagesordnung des neuen Parlaments, sondern das zentrale Wahlversprechen der Reformer. Die Presse ist für den iranischen Reformprozess immens wichtig, sie ist der sichtbarste Ausdruck des Wandels, der sich gegenwärtig in Iran Bahn bricht. Deshalb setzen die Konservativen natürlich alles daran, sie auszuschalten, mit keiner anderen Maßnahme würden sie es schaffen, die Bevölkerung mehr zu entmutigen.

Warum aber hat Chamenei diesen direkten Weg der Konfrontation gewählt? Er hätte es nicht nötig gehabt. Dem Parlament ist der sogenannte Wächterrat übergeordnet, der alle vom Parlament bereits verabschiedeten Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem islamischen Charakter der Verfassung hin untersucht. Es wäre für dieses Gremium ein Leichtes gewesen, das Gesetz zu stoppen. Und Chamenei hätte sich nicht die Hände schmutzig gemacht, er hätte sich diesen Sympathieverlust erspart. Nun muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe sich über die Verfassung hinweggesetzt, denn diese sieht nicht vor, dass der religiös-politische Führer ein Vetorecht hat. Andererseits ist Chamenei laut Verfassung der "absolute Führer," und nach dieser Logik darf er wohl auch Kompetenzen beanspruchen, die in der Verfassung eigentlich nicht für ihn vorgesehen sind.

Dennoch war Chamenei in den letzten Jahren immer daran gelegen, nicht als Gegner des populären Staatspräsidenten Chatami aufzutreten. Seine Politik zielte vielmehr darauf, wenigstens so zu tun, als stütze er ihn. Die Pfründe der beharrenden Kräfte zu erhalten, das war eine Arbeit, die er den andern überließ. Warum also jetzt dieser Schwenk? Iranische Kommentatoren mutmaßen, Rafsandschani hätte Chamenei zu diesem Schritt überredet. Wenn er es getan hat, dann bestimmt nicht, weil er ihm damit Gutes wollte.

Nun ist die Konfrontation da: Man hätte Chatami kaum offensichtlicher bloßstellen können. Und weil die Attacke so direkt ist, dürfte Chatami die Reaktion besonders schwer fallen. Bislang schweigt er.

Den Konservativen ist ganz offensichtlich nicht einmal bewusst, wie sehr sie mit dem Feuer spielen. Sicher, auch durch die langsamen Reformen, die Chatami anstrebt, würden sie viele ihrer Pfründe verlieren. Aber wenn Chatami und den seinen so deutlich vor Augen geführt wird, dass der Weg der langsamen Reformen zu nichts führt, dann ziehen seine Anhänger eventuell einen naheliegenden Schluss: Wir können auch anders, sagen sich vielleicht die Millionen von Jugendlichen, die inzwischen bei drei Wahlen für den Wandel gestimmt haben. Dass sie sich in Resignation und Passivität flüchten könnten, hört man in Gesprächen jedenfalls sehr selten heraus. Immerhin hatte ja das Verbot von nur einer reformorientierten Zeitung im Juli letzten Jahres zu den größten Unruhen seit der Revolution von 1978/79 geführt. Inzwischen haben die Konservativen 22 Zeitungen verbieten lassen.

Und das deutsch-iranische Tauwetter? Die Deutschen haben gerade erst nach langen Strapazen etwas Gelände gutgemacht. Das werden sie nicht aufgeben aus Sorge um den Reformprozess. Es wäre auch aus einem anderen Grund nicht sinnvoll: Man stützt die Reformer nicht, wenn man sich als Verbündeter entzieht. Und Chatami hat nur zwei Verbündete: das Volk und das Ausland.

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