Es ist ein exklusiver Club, der sich seit knapp einem Jahr regelmäßig in der australischen Botschaft in Genf trifft. Diese Woche tagen dort die „wirklich guten Freunde der Dienstleistungen“ zum achten Mal, zu denen neben der EU 23 andere Staaten gehören. Im Geheimen verhandeln sie dort über das Dienstleistungsabkommen „Trade in Services Agreement“, kurz TiSA. Unter der Führung der USA und der EU beraten sie, wie die Dienstleistungen – vom Bankensektor bis zur Müllabfuhr – weiter dereguliert werden können und welche Marktzugangsrechte die Handelspartner bekommen sollen. In dieser Woche steht die nächste Verhandlungsrunde an.
Kürzlich haben erste Protokolle der TiSA-Verhandlungen das Licht der Öffentlichkeit erblickt, veröffentlicht von der Enthüllungs-Plattform Wikileaks. Die dort veröffentlichten Vorschläge zur Öffnung der Finanzmärkte werden die aktuelle, kontroverse Debatte über den Sinn und Unsinn von Freihandelsabkommen weiter verstärken. Denn das TiSA-Protokoll lässt eine besorgniserregende politische Grundhaltung erkennen: Der Staat wird stets als Handelshemmnis betrachtet.
Harmlose Finanzprodukte?
Die Erkenntnis, dass staatliche Regulierung gemeinsam über das jetzige Niveau hinaus weiterentwickelt werden muss, um potenziell gefährliche Märkte zu zähmen, findet keinen Raum. Stattdessen zieht sich wie ein roter Faden die Vorstellung durch den veröffentlichten Text, dass staatliche Gesetzgebung eine Last sei, die den Innovationen des Marktes – in diesem Fall des Finanzmarktes - im Wege stehe. Die Politik sei zu langsam, um neue Finanz- oder Versicherungsprodukte zuzulassen. Das müsse schneller gehen. Am besten ganz ohne vorherige Zulassungsüberprüfung. Und wenn der Staat reguliert, dann nur, wenn er dafür „wirklich gute Gründe“ hat.
Nicht zuletzt nach den Erfahrungen mit der globalen Finanzkrise, in der zuvor als harmlos geltende Finanzprodukte zu gefährlichen Giftpapieren wurden, wirken diese Ideen äußerst kurzsichtig und befremdlich.
Und nicht nur das: Die staatlichen Repräsentanten wollen nicht nur sich selbst die Hände binden, sondern auch gleich allen künftigen Generationen. In einigen Bereichen können sie sich vorstellen, die Deregulierungspolitik mit einer Ewigkeitsgarantie festzuschreiben. Durch sogenannte „Stillstandsklauseln“ und „Sperrklinkenklauseln“ wollen sie erreichen, dass unser heutiges Deregulierungsniveau eingefroren wird, so dass es in Zukunft nicht mehr verschärft werden kann und dass weitergehende Deregulierungen durch nachfolgende Regierungen ebenfalls nicht zurück genommen werden können.
Wie weitreichend die Wirkung solcher Klauseln in TiSA am Ende sein wird, ist zwar noch offen. Aber die grundsätzliche Haltung, den Handlungsspielraum nachfolgender Regierungen so massiv einzuschränken, ist deutlich zu erkennen – und muss misstrauisch machen. Ein solcher Vorgang wäre zutiefst undemokratisch.
Transparente Regeln für den Handel
Die Vertiefung von Wirtschaftsbeziehungen, auch im Bereich der Dienstleistungen, kann dann sinnvoll sein, wenn Normen oder Zertifizierungsvorschriften zum Wohle aller vereinheitlicht werden. Doch wenn es um das Recht des Staates geht, instabile Märkte zu regulieren und Verbraucher zu schützen, müssen internationale Abkommen an eine Grenze stoßen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihrer Regierung zu Recht, dass sie Märkten auch Grenzen setzt.
Damit das funktioniert, müssen die passenden demokratischen Strukturen existieren, wenn die Handelsbeziehungen zwischen Ländern enger werden: Die Öffentlichkeit muss wissen, welchen Regeln der gemeinsame Handel folgt – und wie diese zustande kommen. Und die Parlamentarier müssen umfassende Kontroll- und Korrekturrechte haben. Bei aller Kritik und Notwendigkeit der demokratischen Weiterentwicklung der Europäischen Union ist diese hier ein Positivbeispiel: Der gemeinsame europäische Binnenmarkt wird durch ein demokratisch legitimiertes Parlament überwacht.
Aber anstatt sich diese demokratische Kontrolle zum Vorbild zu nehmen, passiert bei den Handelsabkommen, die derzeit verhandelt werden, das Gegenteil. Ob es um das europäisch-amerikanische Abkommen TTIP oder das europäisch-kanadische CETA geht, immer gibt es intransparente Exklusivverhandlungen in den Hinterzimmern, über die praktisch nichts nach außen dringen soll.
Der Protest wird wachsen
Beim Dienstleistungsabkommen TiSA ist das nicht anders: wenig Informationen, wenig Aufklärung, wenig Transparenz. Dabei gäbe es eigentlich eine andere, eine größere und transparentere, Runde, in der über die (De-)Regulierung der Dienstleistungssektoren diskutiert werden müsste. „General Agreement on Trade in Services“, kurz GATS, heißt das Abkommen, welches solche Fragen seit 1995 im Rahmen der Welthandelsorganisation regelt und in der auch die afrikanischen Staaten und Schwellenländer wie Indien oder Brasilien mit am Verhandlungstisch sitzen.
Es ist an der Zeit, dass die Verhandlungsführer endlich lernen: Eine Strategie, die versucht, Handelsabkommen klammheimlich mit einer „Koalition der Willigen“ an der Öffentlichkeit vorbei durchzuziehen, ist zum Scheitern verurteilt. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert. Das zeigt der Protest, der zuletzt gegen TTIP und CETA und die dadurch befürchtete Aufweichung von Verbraucherstandards aufgebrandet ist. Und er wird bald auch TiSA treffen. Denn die Erfahrung zeigt: Je geheimer und undurchsichtiger die Verhandlungen sind, desto größer ist die demokratische Gegenwehr.
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