Moralismus Menscheln für Waffen: Das macht die Außenministerin Annalena Baerbock so beliebt. Doch für eine kluge Außenpolitik ist Betroffenheit nicht genug
Deutschlands Außenministerin im ukrainischen Butscha, 10. Mai 2022
Foto: Imago Images
Sie steht „fest an der Seite der Ukraine“. Sie will „Russland ruinieren“ und, den durch den Krieg gegen die Ukraine entstandenen „transatlantischen Moment nutzen[d]“, eine „Führungspartnerschaft“ mit den USA. In westernartiger Schlichtheit, angestachelt von Christdemokraten, Hofreitern und Journalisten, die ihren „Klartext“ gegenüber dem „Zaudern“ des Kanzlers Olaf Scholz loben, zeigt die oberste deutsche Diplomatin Haltung – und bringt dabei das Haus Europa in Gefahr.
Statt etwa Nancy Pelosi, als Sprecherin des Repräsentantenhauses dritthöchste Amtsperson in den USA, von einem umstrittenen Besuch in Taiwan abzuraten, legt sich Annalena Baerbock auch gleich mit China an: „Wir akzeptieren
zeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China.“ Mit Waffen für Saudi-Arabien, die Krieg und Hunger im Jemen anheizen, hat sie dagegen wenig Probleme. Zumindest jetzt. 2019 twitterte sie noch: „Waffen haben in Kriegsgebieten nichts verloren. Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt Menschenrechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weitergehen.“ Genehmigt wurden Ausrüstungsteile, Bewaffnung und Munition für Eurofighter und Tornados. Kurz vor der Kanzlerreise nach Riad, bei der es um Energielieferungen ging. So ist das mit den „Werten“.Statt bei der UN-Vollversammlung in New York mit der russischen Delegation über eine rasche Sicherung des ukrainischen AKW Saporischschja zu verhandeln, lässt Baerbock offenbar ein Treffen mit Außenminister Sergej Lawrow platzen. Warum? Das Außenamt äußert sich auch auf Nachfrage nicht. Mit der russischen Teilmobilmachung seit dem 21. September und den Einverleibungen ukrainischen Staatsgebiets droht weitere Verschärfung. Auch hier kommt von der Außenministerin keine Idee zur Deeskalation. Zu Recht bezeichnet sie die Referenden als „Verhöhnung der Menschen in der Ukraine“ – aber was folgt daraus? Wie viele nicht prorussisch eingestellte Menschen sich in der Ostukraine noch aufhalten – seit 2014 haben viele ihre Heimat verlassen –, vermag das Außenministerium „angesichts der Kampfhandlungen“ nicht zu beziffern. Die Ukraine hatte angekündigt, jede Beteiligung an den Pseudoabstimmungen als Verletzung der Integrität der Ukraine zu werten. Wer einen russischen Pass beantragt, wird mit 15 Jahren Haft bedroht. Baerbock scheint damit kein Problem zu haben. Den „Maßstab unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns“ entlehnt sie der ukrainischen Autorin Tanja Maljartschuk: „keine Angst zu haben“. Reicht das?Nachvollziehbar, dass Baerbock nach einem Besuch in Butscha und nach der Entdeckung von Massengräbern in Isjum Kriegsverbrechen zur Sprache bringt. Allerdings tut sie auch dies ohne jede Distanz, fordert nicht zuallererst rückhaltlose Aufklärung, sondern übernimmt prompt das ukrainische Narrativ. In der FAZ hat sie nach ukrainischen Territorialgewinnen eine „menschenrechtsgeleitete Außenpolitik“ mit der Lieferung von Waffen verknüpft, um „noch mehr Dörfer zu befreien und damit Leben zu retten“. Doch auch diese Waffen treffen Menschen, und nicht nur uniformierte. Die Rettung der einen wird in jedem Krieg mit dem Töten der anderen bezahlt. Hier von „Leben schützen“ zu sprechen, gleicht der Propaganda, nähert sich ungewollt dem Zynismus. Und niemand weiß, wie lange die Unterstützung der Ukraine bei der Rückeroberung von Gebieten möglich ist, ohne dass Moskau die Atomkarte zieht. Wladimir Putin stellt die einverleibten Regionen explizit unter den Schutz „aller verfügbaren Mittel“.Vom „Verteidigen“ spricht auch Baerbock, sie wolle „in voller Verantwortung für den Frieden in Europa die Ukraine verteidigen“, sagte sie am 20. September in den ARD-Tagesthemen. Aber „verteidigen“ hieße: Deutschland ist nicht mehr nur solidarisch, sondern verbündet, befindet sich also im Krieg. Dann wäre es gut, wenn sie das der deutschen Bevölkerung auch mitteilte. Ist das die neue deutsche Sicherheitsdoktrin – Frieden in Europa GEGEN Russland, indem „der Westen“ sich bis an die Zähne bewaffnet? Es scheint nur eine Frage der Zeit, dass Anton Hofreiter & Co. deutsche Atomwaffen fordern, um „solidarisch mit der Ukraine“ zu sein.Annalena Baerbock wirkt stets befangenWer mit dem Säbel rasselt, macht ordentlich Krach, aber hört dann auch nur noch das Säbelrasseln. Das gilt für alle. Auch der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu hält die Zeit für gekommen, „in der wir uns im Krieg mit der NATO und dem kollektiven Westen befinden“. Ähnlich formuliert es Baerbock: die Ukraine kämpfe für westliche Werte, für „die Freiheit“. Gespräche mit Russland seien nicht möglich. Und nun? Wer sorgt dafür, dass die Waffen schweigen? Wer zielt auf Verhandlungen und Interessenausgleich, um einen Flächenbrand zu verhindern?Von Baerbock hört man dazu nichts. Abgesehen von der starren Forderung, Russland müsse alle Gebiete, einschließlich der Krim, an die Ukraine zurückgeben, kommt keine Idee für ein Sicherheitskonzept, mit dem auch Putins Russland leben, oder wie man, die Bedürfnisse der russischsprachigen Bevölkerung im Blick, einen Minderheitenschutz organisieren könnte. Oder eine UN-Blauhelmmission für die annektierten Regionen vorschlagen, ebenso wie für das Atomkraftwerk Saporischschja. Fürchtet die Ministerin, sich mit Diplomatie gegenüber Ländern, die ihre Werte nicht teilen – Russland, China, die Türkei –, die Hände schmutzig zu machen? Nie wirkt sie vermittelnd, stets befangen: vielleicht mutig – aber klug? Eine „Strategie“, die hinter 2014 zurückwill, ist keine. Sich zum Sprachrohr Kiewer Interessen zu machen, genügt nicht. Gerade deutsche Außenpolitik sollte mehr sein als der Ruf nach mehr Waffen.Aber genau das gefällt. Indem sie sich als mitfühlender Mensch, als Frau, als Mutter sichtbar macht, wirkt sie sympathisch. Seit Kriegsbeginn hat Baerbock eine Bombenpresse. Time nennt sie unter den „100 aufstrebenden Persönlichkeiten der Welt“. US-Außenminister Antony Blinken tätschelt: eine Partnerin, die „nahtlos Prinzipien und Pragmatismus vermischt“. Die Zeit druckte ihre „strategische Neuausrichtung“ ohne Gegenposition. Allenthalben lobt man ihre „Entschlossenheit“ und „Empathie“. Nicht wenige scheinen, embedded in eine hochmoralisisierte, wertegeleitete Außenpolitik, sich als PR-Kolonne der Ministerin misszuverstehen. Kritik am militärischen Primat wird als Putin-Getrolle geframed. So geschah es auch, als Baerbock Ende August in Prag heroisch ankündigte, die Sanktionen aufrechtzuerhalten, „egal, was meine deutschen Wähler denken“. Auf ihrer Betroffenheitsagenda – „es bricht mir das Herz!“ – ist Ausgleich nicht vorgesehen. Auch Polen gegenüber spricht sie von einer „Herzensfreundschaft“. Als hätten Deutschland und die NATO keine Interessen, sondern nur Gefühle. Es führt nicht weit, den Aggressor als „rücksichtslos“ sowie „brutal“ mit einem kategorischen „Gefällt mir nicht“ zu markieren und auf Lösungsvorschläge zu verzichten. Es ist eine Sackgasse, dem unmoralischen Angriff mit nichts als veröffentlichter Moral zu begegnen, flankiert von Waffen, den guten, demokratischen, humanitären des Westens. Betroffenheit first fühlt sich gut an – aber wozu führt das? Haltung, Freiheit, Werte, Kante – davon wimmelt es in ihrer Kommunikation, auch auf Twitter. „Es gibt keinen Weg zurück“, lautet ihre „harte Wahrheit“. Sie will „der Realität ins Auge blicken“. Doch sieht sie nicht viel mehr als Iwan den Schrecklichen und den von höheren Werten geleiteten Westen. Das bringt die Ukraine dem Frieden nicht näher. Ob und wie lange es richtig ist, das Land – auch mit Waffen – bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, mögen andere beurteilen. Sicher ist, dass deutsche Diplomatie sich breiter aufstellen muss. Empörungsrituale schaffen keine Sicherheit. Ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Russland werden nicht ohne schmerzhafte Kompromisse möglich sein. Viel schmerzhafter ist die Alternative: ein langer Krieg, mit furchtbar vielen Toten, Verstümmelten und grandioser Zerstörung.„Wenn wir Sicherheit nur in militärischen Begriffen denken“, versicherte Baerbock Ende September, „dann werden wir nicht in der Lage sein, langfristig Frieden zu schaffen.“ Das wirkt wie ein Lippenbekenntnis. Doch es wäre zu spät, erst wieder außerhalb der transatlantischen Blase denken (und reden!) zu wollen, wenn das „Haus Europa“ zerschossen ist.
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