Coaching ist Botox für Beziehungen: Sieht frisch aus, wirkt aber toxisch
Kommunikation Ob privat oder beruflich: Kaum eine Beziehung entkommt heute noch der kostenpflichtig herbeigecoachten paarweisen Optimierung. Die muss man sich aber erst mal leisten können
Pink Floyd skandierten einst: „We don’t need no education!“ Erinnert sich jemand? Es scheint Lichtjahre her. Verweigerung ist out. Jetzt ist Erziehung angesagt, auch für Erwachsene. Gegenläufig zum Mobbing-Style der Unsozialen Medien rennt man im kommunikativen Real Life gegen Wohlfühl-Fassaden. Wann hat das eigentlich begonnen? Seit wann gilt es, Bürgerinnen und Mitarbeitende „mitzunehmen“? Seit wann wollen Führungskräfte in erster Linie geliebt werden? Seit wann ist Verantwortung nicht mehr „Macht“? Schwer zu sagen, die Edukarisierung kam schleichend. Aus Angestellten wurden Mitarbeiter:innen, aus Befehlsempfängern mit durchaus divergierenden Interessen fokussierte Teams, aus Chefs Teamleiter, die herzlich ̶
erten einst: „We don’t need no education!“ Erinnert sich jemand? Es scheint Lichtjahre her. Verweigerung ist out. Jetzt ist Erziehung angesagt, auch für Erwachsene. Gegenläufig zum Mobbing-Style der Unsozialen Medien rennt man im kommunikativen Real Life gegen Wohlfühl-Fassaden. Wann hat das eigentlich begonnen? Seit wann gilt es, Bürgerinnen und Mitarbeitende „mitzunehmen“? Seit wann wollen Führungskräfte in erster Linie geliebt werden? Seit wann ist Verantwortung nicht mehr „Macht“? Schwer zu sagen, die Edukarisierung kam schleichend. Aus Angestellten wurden Mitarbeiter:innen, aus Befehlsempfängern mit durchaus divergierenden Interessen fokussierte Teams, aus Chefs Teamleiter, die herzlich XX-replace-me-XXX8222;einladen“ zu Hierarchie, Wettbewerb und Selbstausbeutung, gern per Du, gern „kreativ“, gerne die „liebe Kollegin“. Befehle hüllen sich wallend in Empfehlungen, alle haben einander lieb, man muss es nur oft genug erklären.Längst stehen sie überall, die Flipcharts der Erleuchtung. Für jeden Mikrobereich drohen mehrteilige Workshops. Bei jeder Gelegenheit, sei sie beruflich, ehrenamtlich oder privat, wird man mit bunten Kärtchen traktiert, auf denen man offenherzig etwas teilen soll. Alles ist erlaubt – außer negativ. Oder gibt es da draußen wirklich eine Person, die noch nicht mit Moderationskoffern in Berührung gekommen wäre? Wie des Zauberlehrlings Besen vermehren sie ihre furchtbar gut gemeinte Herrschaft.So dringt eine „Workshop“-, „Wertschätzungs“- und „Feedback-Kultur“ in alle Ritzen. Führung will nur mehr als Leitung erscheinen, besser noch Beg-leitung. Alles soll auf Augenhöhe zwar nicht passieren, aber so wirken. Kaum eine wird noch aufgefordert oder gar angewiesen. Untergebene, die nicht mehr so heißen, werden von Vorgesetzten, die sich coole englische Kürzel geben, in gewaltfreien Ich-Botschaften adressiert: „Ich wünsche mir, dass du spurst.“ Und merken gar nicht, wie viel Lüge in der permanenten Umgänglichkeit steckt. Je härter die Bedingungen, so scheint es, desto softer die Sprache, desto kultivierter das Miteinander. Je mehr Menschen ausgeschlossen sind aus der von gedeckten Konten geschützten schönen neuen Goodwill-Welt, desto inklusiver sprechen die in ihr Befangenen. Nicht nur die berufliche, auch die familiär-freundschaftliche Sphäre ist betroffen.Manipulative VerbindlichkeitDie Verwandlung des Sollens (gegen das man sich wehren könnte) ins vermeintliche Selberwollen lautet dort zum Beispiel so: „Magst du den Tisch decken?“ Ungern, aber wie sollte man zum Mögen Nein sagen? Auch auf „Wäre das in Ordnung für dich?“ antwortet nahezu jede quasi automatisch „gern“. Die spanische Autorin Cristina Morales, einen erfrischend unzeitgemäßen anarchischen Furor pflegend, entlarvt solcherart nur scheinbar egalitäre, tatsächlich zutiefst herablassende Kommunikation in ihrem Roman Leichte Sprache (der Freitag 41/2022) als „die extreme, unnötige und infantilisierende Freundlichkeit der Macht“.Natürlich ist es angenehmer, freundlich behandelt zu werden – wenn nur das Behandeln nicht wäre. Dadurch entzieht sich, wer zu welchem Zweck das Sagen hat. Reibungslose Abläufe sind garantiert. Sobald ein Gespräch auszuufern droht, reißt zuverlässig eine Person das Ruder herum, indem sie, die bewährte manipulative Verbindlichkeit anwendend, zur Effizienz nötigt. Lose Enden sind unerwünscht. Nichts darf ambig bleiben. Alles soll an- und ausgesprochen sein. Worte müssen zu etwas führen, Gefühle kanalisiert werden. So didaktifiziert sich das Leben in immer neuen Teambildungs-Workshops, Flipchart-Exzessen, Wohlfühl-Meetings, Zielführungsräuschen.Merkwürdig nur, dass der sogenannte Burnout dennoch immer neue Opfer findet. Hat er vielleicht sogar zeitgleich mit der Wellnessirisierung der Büros die Selbstoptimierungsbühne betreten? Weil beim besten Willen niemand all die Ratschläge verkraften kann, die da täglich und stündlich auf ihn*sie niederprasseln, von allen Seiten, online und offline? Denn auch die Medien sind längst erlegen. Kaum eine Zeitung wagt sich noch ohne „Lebensberatung“ oder Gesundheits-„Thema“ an den Kiosk, als gelte es, die kranke Welt zu heilen – und Informationen hätten diesem Zweck zu dienen. Die taz widmet dem Konstruktivsein ein ganzes neues Ressort namens „Zukunft“. Artikel dort müssen „Handlungsmöglichkeiten deutlich“ machen – andernfalls erscheinen sie nicht. Von Journalistinnen ebenso wie von Kulturschaffenden werden Lösungsvorschläge verlangt, als säßen sie mit den beschriebenen Wirklichkeiten oder Politikern in einem Boot und hätten gleichen Zugriff auf das Steuer. Zu sagen, was (übel) ist, ist von Übel, solange nicht sozialarbeiterig dazu gesagt wird, wie es sein soll und welche „Maßnahmen“ ins Paradies führen.Wenn jede*r an sich selbst arbeitet. Herrlich!Eifrig locken deshalb die großen Medienplayer mit Wohlfühlthemen. „So helfen Sie Ihrem Kind in der Schule“, „Was tun bei Mobbing?“, „Ernährung für Sporttreibende“. Sie geben „Lebenshilfe“ und „Orientierung“, als hätten sie nichts anderes zu tun. Der Vorwand: die angeblich „unübersichtliche Welt“. Und kaum jemand fragt nach, ob es sich dabei womöglich um eine ähnlich falsche Behauptung handelt wie bei der „gespaltenen Gesellschaft“, die durch Wiederholung nicht richtiger wird. Wenn Medien ihre Leser an die Hand nehmen wie kleine Kinder, hängt der Regenbogen wieder gerade – hach! Die Selbstvergewisserung funktioniert: Außer ein paar wenigen Krawallisten, die wortreich zu ächten sind, sind wir uns im Wesentlichen einig! Harmonie hilft! Wenn jeder nur brav an sich, der achtsamen Sprache und seinen „fragilen“ Beziehungen herumwerkelt, wird alles gut. Längst bieten professionelle Anbieter nicht nur für die Partner- und Eltern-, sondern auch für die Freundschaft Coaching an. Man fragt sich, wie die Menschheit bisher ohne klarkam. Her mit To-do-Listen der Freundschaft! Auf dass auch diese zeitsparend, effizient, geschmeidig, produktiv und jederzeit verwertbar werde!Coaches für alle Lebenslagen sprießen wie Pilze aus den Weiterbildungsböden. Jede Beziehung wird durchprofessionalisiert und -optimiert, kaum eine Ehe bleibt (zumindest ab einem gewissen Monatseinkommen) von Paarberatung verschont, kaum eine Studienwahl ohne Coaching, kaum eine Trennung ohne Mediation. Die ist für die Seele, was das Deo für den Körper: unterdrückt zuverlässig den Eigengeruch von Beziehungen. Alle sollen gleich riechen, unauffällig sein, niemanden stören mit irgendeinem noch nicht weggecoachten Makel, einer noch nicht wegberatenen Kante. Glatt muss alles laufen, andernfalls droht Versagen. Auch in dem Fall stünden zwar wieder zig Coaches bereit – „Wie scheitere ich richtig?“ –, aber Vermeidung ist die bessere Strategie. Nicht mal den Tod lassen sie ruhen: Pfarrer fungieren als „Trauerexperten“. Einfach traurig sein wäre höchst unprofessionell und viel zu riskant.Wohlgemerkt: Diese Polemik zielt auf den sogenannten Mittelstand und aufwärts. „Gelingende“ Beziehungen, „erfolgreiches“ Trauern, ja das ganze auch von Theologen angestrebte „gelingende Leben“ hängen nicht zuletzt von Status und Geldbeutel ab – die ganze Coacherei muss man sich nämlich erst mal leisten können. Bliebe die Frage, wer diese „total education“ braucht. Und wem sie nützt. Womöglich verhindert der Konstruktivitätsterror wirklichkeitsgetreue Wahrnehmung – und dadurch tatsächliche Veränderung?
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