Grundsteuererklärung: Hilfe, in diesem Formulardschungel werde ich wirklich verrückt!

Grundsteuerreform Wer ein Grundstück besitzt, muss in diesem Jahr eine Feststellungserklärung abgeben. Auch unsere Autorin muss sich diesem Irrsinn der deutschen Bürokratie aussetzen. An den Formularen verzweifeln sogar Anwälte
Da soll noch jemand durchblicken: Eine Fehlermeldung jagt die nächste
Da soll noch jemand durchblicken: Eine Fehlermeldung jagt die nächste

Foto: Imago / Kosecki

In Deutschland spricht man ja nicht gern über Einkommen und Vermögen, jedenfalls nicht über das eigene. Den einen ist peinlich, dass sie zu wenig haben, den anderen, dass sie zu viel haben. Im Grunde weiß man, dass es Glückssache ist. Und dass es einem nicht zusteht. Mir auch nicht. Also halte ich den Mund und versuche, nicht aufzufallen.

Aber ich breche jetzt mal diese Regel. Wegen der vermaledeiten Grundsteuerreform. Bis 2025 sollen alle Grundstücke neu bewertet werden, warum, habe ich gerade vergessen, ist mir auch egal. Jedenfalls bin ich verpflichtet, bis zum 31. Oktober eine „Feststellungserklärung“ abzugeben. Dabei soll ich in Internet-Formularen Daten eingeben, die den Finanzämtern, sollte man meinen, hinlänglich bekannt sind. Aber wenn ich nicht „mitwirke“, drohen „Verspätungszuschlag gem. § 152 AO und erforderlichenfalls Zwangsgelder gem. § 329 AO“.

Es geht um 36 Millionen Grundstücke

Ich bin nicht allein. Es geht um 36 Millionen Grundstücke. Und um Formulare, deren Sprache nicht mal Juristen verstehen. Kein Wunder, dass zum Beispiel in Brandenburg gerade mal acht Prozent der Eigentümer die Prozedur hinter sich gebracht haben. Ich gehöre zum Rest. Man bekommt nach drei Minuten im Formulardschungel Ermüdungserscheinungen, suizidale Selbstzweifel und ADHS, dazu Depression, Wutanfälle und ein abgrundtiefes Gefühl der totalen Vergeblichkeit. Es ist schlicht unmöglich, trotz zig Erklär-Videos, die furchtbar öde sind und im konkreten Ernstfall nichts helfen. Weil jede Immobilie verschieden ist.

Dabei dachte ich, ich wäre gestählt, durch die jährliche Steuererklärung via „Elster“. Jedes Mal fühle ich mich nicht nur wie ein kompletter Idiot, sehne wie der letzte Reaktionär ein Ende des digitalen Zeitalters herbei und flehe um Gottes Beistand – auch mein Computer ist gefährdet. Mit letzter Kraft muss ich mich Einkommenssteuererklärerin davon abhalten, den Hammer in der Kammer zu lassen anstatt damit auf die Fehlermeldung des „Systems“ einzuschlagen. Jedes Mal brauche ich drei Wochen, um mich darauf emotional vorzubereiten, dann nochmal drei, bis ich mich dazu durchringe, schließlich drei weitere, um mich von dem Grauen zu erholen. Aber im Vergleich mit der Grundsteuersache wirkt die Einkommenssteuererklärung wie ein Wellness-Workshop.

2,31 Euro Grundsteuer pro Jahr

Ich habe ein kleines Grundstück, knapp 5.000 Quadratmeter, pro Jahr zahle ich 2,31 Euro Grundsteuer. Sie wurde gerade erhöht, der „Grundbesitzabgabenbescheid“ teilte mir mit, dass ein offener Betrag in Höhe von 0,31 Euro bestehe. Natürlich habe ich sofort überwiesen! Auf meinem Land stehen ein paar Bäume und Büsche, es ist moorig. Jedenfalls sagte man mir das. Ich war noch nicht dort. Dass ich Eigentümerin bin, hat sich so ergeben, aus Sentimentalität, weil das Land schon meinen Urgroßeltern gehörte. Und weil ich verhindern wollte, dass es zu Bauland oder giftbespritzter Ackerfläche wird. Der Pächter, ein Bauer, zahlt 20 Euro im Jahr unter der Bedingung – ich bin konservativer als meine Urgroßeltern –, dass alles so bleibt, wie es ist. Wahrscheinlich lagert er dort ein paar landwirtschaftliche Utensilien und holt sich ab und zu etwas Altholz – keine Ahnung.

Die Auswahlmöglichkeit „keine Ahnung“ fehlt jedoch im Formular. Ich soll im Gegenteil Kenntnis von Dingen haben, die Finanzfachwirte in jahrelanger Ausbildung lernen und zum Beispiel bei „Art der wirtschaftlichen Einheit“ auswählen zwischen „Keine Angabe“, „unbebautes Grundstück (wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens)“, „bebautes Grundstück (wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens)“ oder „Betrieb der Land- und Forstwirtschaft“. Wozu gehört mein Land? Es gibt nur eine richtige Antwort. Oder besser: Alle Antworten sind falsch. Formulare sind materialisierte Alternativlosigkeit. Virtuelle Sackgassen. Ein Klick auf das Fragezeichen hilft nicht weiter, und „Keine Angabe“ ist eine miese Falle: Eine noch schlimmere Fehleranzeige ist die Folge.

Ich gehe trotzdem weiter, zu „Gemarkungen“, „Flurstück“, „Grundbuchblatt“, „Nenner“ und „Zähler“. Häh? Es gibt auch einen „Hebesatz“, einen „Einheitswert“ und einen „Bodenrichtwert“, den findet man, informiert das Fragezeichen, in irgendwelchen Karten oder Listen – oder auch nicht. Womöglich ist mein Land auch gar kein Land, sondern „Unland“ – also gar nicht vorhanden? Dann könnte ich mir den ganzen Zirkus schenken, aber Elster akzeptiert „Unland“ nicht, wäre ja auch zu schön gewesen, „mögliche Fehlerquellen sind…“ Aaaargh! Man ist der Software ausgeliefert. Der Rechner hat immer Recht. Es ist zum Verzweifeln.

Hier nur mal ein Beispiel: „Auf dem Hauptvordruck wurde bei den Angaben zur Lage des Grundstücks/Betriebs der Land- und Forstwirtschaft Bezug auf die Anlage Grundstück genommen. Laut der angegeben Art der wirtschaftlichen Einheit handelt es sich aber um einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, so dass Angaben auf der Anlage Grundstück und Bezüge auf die Anlage Grundstück nicht zulässig sind.“ Ach so!?

Der Anwalt hat selber ewig gebraucht

Der Rechtsanwalt, den ich, nach stundenlangem Herumirren in grässlichstem Finanz-Kauderwelsch, den Tränen nah, telefonisch um Hilfe bitte, hat keine Zeit. Er habe selbst stundenlang gebraucht, „sorry“. Wie soll dann ich, die ich unter chronischer Bürokratiephobie leide und schon beim Ausfüllen von Vordrucken der Krankenkasse akute Angststörungen bekomme, je fertig werden?

Zwar hat jedes Bundesland grausam umfangreiche Webseiten, um die arme grundbesitzende Bürgerin dabei zu unterstützen, die Arbeit der Finanzämter zu tun, aber auch sie sind schwer verständlich, machen überhaupt keinen Spaß und kosten unfassbar viel Zeit. Erforderlich wäre sozusagen eine Schulung für die Schulung, um zu begreifen, was all die „Geodaten“, die Karten, die Begriffe mit dem eigenen Eigentum zu tun haben könnten – oder auch nicht.

„Eigentum verpflichtet“

Ich will nicht mehr. Es leuchtet mir auch nicht ein. Warum soll ich all diese Zahlen und Daten und Worte recherchieren, verstehen und eingeben, die dem Finanzamt doch längst vorliegen? Ist das nicht deren Job? Und was ist mit Leuten, die sich noch dümmer anstellen als ich? Die womöglich gar keinen Internet-Zugang, aber zufällig eine kleine Rentnerwohnung haben? „Ja, man hätte es leichter machen können“, gibt ein Finanzbeamter dem rbb gegenüber zu. „Es ist ja versucht worden, eine Datenbank zu erstellen, die quasi alles weiß, was wir über Grundstücke wissen. Doch das ist leider nicht gelungen.“ Aha. Und wie soll mir das dann gelingen?

„Eigentum verpflichtet“, tröstet der Rechtsanwalt, und ich könnte schwören, er feixt sich eins. Recht hat er! Aber kann ich nicht lieber, liebes Finanzamt, irgendwas spenden, anstatt mir von der diebischen Elster die Zeit rauben zu lassen?

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Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Katharina Körting

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