Johnny Depp gegen Amber Heard: Was können wir aus der Schlammschlacht lernen?

Boulevard Auch nach der Urteilsverkündung wird in den Sozialen Medien weiter gestritten. Unsere Autorin kann darüber nur den Kopf schütteln. Warum sind viele Menschen von dem Prozess so besessen?
Die eine Schlammschlacht war wohl nicht genug. Amber Heard (Mitte) kündigt an, in Berufung zu gehen
Die eine Schlammschlacht war wohl nicht genug. Amber Heard (Mitte) kündigt an, in Berufung zu gehen

Foto: Evelyn Hockstein/Pool/Afp via Getty Images

Am Ende ist Johnny doch nicht der Depp, wie von so vielen „alten, weißen Männern“ befürchtet. Ich weiß, es gehört sich nicht, Witze mit Namen zu machen. Man soll auch Wildfremde nicht beim Vornamen nennen, aber gutes Benehmen fällt nach dieser Schlammschlacht auf dem Boulevard schwer. Die Hollywood-Stars Johnny Depp und Amber Heard ließen dabei kaum eine Distanzlosigkeit aus. Nach sechs Wochen hat das Bezirksgericht in Fairfax, Virginia, sein Urteil gefällt. Im Verleumdungsprozess gegen Depps Kollegin und Ex-Frau Amber Heard spricht es ihm „nur“ 10,35 Millionen Dollar Schadenersatz zu – und nicht die geforderten 50 Millionen – aber er ist im Vorteil. Amber Heard, befinden die Geschworenen, habe die Missbrauchsvorwürfe erfunden. Sie erhält zwar im Gegenzug zwei Millionen, ebenfalls wegen Rufschädigung, darf sich mit Bezug auf Depp aber nicht mehr als Opfer häuslicher Gewalt bezeichnen.

Hat es sich dafür gelohnt, kotige Laken, Drogenexzesse, dauerbekiffte Hunde, mit Kokain verstopfte Vaginas und dergleichen mehr vor der Weltöffentlichkeit zu verhandeln, per Livestream? Die „#JusticeforJohnny“-Truppe wusste jedenfalls von Anfang an: Er hat sich nur gewehrt. „Grandioser Sieg!“, jubelt denn auch die Zeitung mit den Großbuchstaben, doch wer oder was hat hier eigentlich wen oder was „besiegt“? War es nicht eher zutiefst verstörend, was die beiden einander antaten?

Amber Heard fürchtet, Gewalt gegen Frauen wird wieder nicht ernst genommen

„Die Enttäuschung, die ich empfinde, ist unbeschreiblich“, verkündet Heard auf Twitter. Es breche ihr das Herz, dass „ein Berg an Beweisen“ nicht gegen Macht und Einfluss ihres Ex-Mannes ankam. Noch schlimmer sei, was dieses Urteil für andere Frauen bedeute: einen Rückschlag nämlich. Es sei wieder salonfähig, Gewalt gegen Frauen nicht ernst zu nehmen.

Einen ähnlichen Ton schlägt die Zeitschrift mit den anderen Großbuchstaben an. Die EMMA sieht „dramatische Konsequenzen für alle Frauen“ und fragt alarmiert, ob der Tod von MeToo drohe. Aber so viel Macht haben nicht mal millionenschwere Stars, seien sie auch noch so berühmt. Wenn überhaupt etwas, dann zeigt der Fall die Grenzen der Justiz bei Beziehungsgewalt. Außerdem: Hätte das Gericht, obwohl es Verleumdung als erwiesen ansieht, diese etwa nicht ahnden sollen, nur weil das Urteil in den Sozialen Medien längst feststand? Die dortige Öffentlichkeit übte virtuelle Selbstjustiz vor allem gegen Heard. Erstaunlich, dass der Kolumnist des Zeit-Magazins sich dennoch von einem „Haltungs-Journalismus“ bedroht sieht, der generell dem „weißen Mann“ die Schuld gebe – womöglich hat er nur die EMMA gelesen? „Frauen, die schön, klug und selbstbewusst sind, werden gehasst“, ist sich dort eine Kommentatorin sicher, „von andern Frauen, weil sie unter den Alphamännchen die freie Wahl haben, von den Männern, welche nie eine Chance zum Landen haben.“ A-ha…?

Johnny Depp ist kein unschuldiger Engel

Andere sind psychologisch geschulter und diagnostizieren ein „toxisches Verhältnis zum Vater“ als Ursache des Ehe-Übels. „So sehe ich das“, heißt es abschließend. Und was sehe ich? Keine Ahnung, ich bin weder Richterin noch „Haltungsjournalistin“. Ich mag nicht über diese Pro- und Kontra-Stöckchen springen. Ich frage den Sohn. „Die haben Depp nicht supported, weil er ein Engel war“, klärt der mich auf, „sondern weil Heard sich lächerlich gemacht hat.“ Immerhin nennt er sie nicht beim Vornamen.

„Ich bin traurig, dass ich den Fall verloren habe“, steht in Heards Twitter-Statement. „Aber noch trauriger bin ich darüber, dass ich offenbar das Recht verloren habe, das ich als Amerikanerin zu haben glaubte: frei und offen zu sprechen.“ Der Sohn hat recht: Sie macht sich lächerlich. Fehlende Meinungsfreiheit ist nun wirklich nicht der Punkt. Amber hat anscheinend, pardon, den Schuss nicht ge-heard: Sie will Berufung einlegen.

Es ist ihr gutes Recht. Schließlich kann auch Menschen, die sich lächerlich machen, Unrecht geschehen – vielleicht gerade ihnen.

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Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

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