Der Handwerker kommt mit Maske, dem Symbol von Pandemie und Corona-Solidarität. Anfangs fällt sie nicht einmal auf. Dabei hat sie so lange den Alltag bestimmt, genervt, bedrückt, gestört, gemahnt, gespalten – oder beruhigt. Und nun? Kündigt der Gesundheitsminister (!) wie nebenbei (!!) an, dass nicht nur die Maskenpflicht fällt, sondern auch die Quarantäne ab Mai so freiwillig wird wie das Testen. Ach nee, hat er ja wieder zurückgenommen, der Lauterbach. Oder nur ein bisschen. Was denn nun? Egal, alles nicht mehr so wichtig, jeder macht, wie er meint. Sogar die Impfpflicht bröckelt.
Die einen seufzen milde: „erst jetzt?“, die andern wundern sich halblaut „jetzt schon?“, und ich habe noch gar keine Meinung dazu, nur ein Zögern: Ich bin noch nicht so weit. Die Prioritäten ändern sich so rasant, dass Mund, Nase und das Gehirn dahinter nicht mitkommen. Ich habe Long Maske. Vielleicht liegt es daran, dass die Welt noch unsicherer geworden ist – der Stoff vorm Mund hält sie vom Leib. Energieembargo, Butterpreise, Krieg und Frieden hat niemand in der Hand – die Maske schon! Und so ertappe mich dabei, dass ich sie weiterhin im Supermarkt überziehe. Ausgerechnet ich, die ich schon so lange sehnlichst den Moment herbeisehnte, das Ding endlich feierlich in den Müll zu werfen.
Die offizielle Erlaubnis habe ich nun, allein mir fehlt das Gefühl dazu. Anderen geht es offenbar ähnlich: Obwohl der Lehrerverband eindringlich vor Konflikten warnt, tragen viele Schulkinder weiterhin Mund-Nasen-Schutz, zumindest hier und da, nach Gefühl sozusagen. Die Angst vor Mobbing (ganz zu schweigen von Atomkrieg, Preissteigerung und „dem Russen“) scheint derweil die Angst vor den Virentreiber-Schulen abzulösen. Als bräuchten wir Deutschen verlässlich unseren Grund zur Sorge. Wir identifizieren Risiken, gegen die wir uns dann rundum absichern.
Maskenpflicht? Ich behalte sie einfach auf
An meinem Fahrradlenker hängen weiterhin mehrere Varianten (gelüftet stinken die Dinger nicht so). Überall in der Wohnung liegen sie herum. Beim Doppelkopf trage ich sie im Geiste weiter und lüfte alle 20 Minuten. Ich fühle gewissermaßen asynchron. Während die Überemotionalisierung der Maske einem für Deutschland nicht gerade typischen Laissez-faire weicht, mag ich noch nicht von ihr lassen. Selbst entscheiden? Wie soll das denn gehen? Und wo soll das hinführen? Es muss doch eine Regel geben! Ich fürchte mich – weniger vor dem Virus als vor der allzu unvermittelten Entscheidungsfreiheit. Wenn das Maskenpflicht-Schild am Zaun stört, kann ich an ihm rütteln – fehlt es, suche ich vergeblich nach der Vorschrift, die ich befolgen und schön kritisieren kann. Gegen meinen Willen hatte ich mich an die Maske, an den Schutz, ans Genervtsein gewöhnt.
Zum Glück darf ich sie im Kino oder in der S-Bahn weiterhin tragen (müssen). Auch auf dem Weg zur Kantine ist sie noch Pflicht, obwohl die Stühle wieder so dicht stehen wie in unschuldigen Vor-Corona-Zeiten. Was soll’s, ich behalte sie einfach auf. Aus Solidarität vielleicht – freiwillig diesmal. Bis jetzt hat mich im Supermarkt noch keiner gemobbt.
Nur dem Handwerker begegne ich mit nacktem Gesicht. Schon kniet er am schadhaften Heizkörper. Mit unhöflicher Verspätung fällt mir die angemessene Frage ein: „Wäre es Ihnen lieber, wenn ich eine Maske aufsetze?“ Lässig winkt er ab und nuschelt unterm Zellstoff hindurch: Er tue das ja nur aus Selbstschutz. Diese Antwort leuchtet mir nicht direkt ein, aber die neue deutsche Unaufgeregtheit, zumindest beim Thema Maske, lässt uns beide vorsichtig aufatmen.
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