Collage: Der Freitag, Material: Getty Images, Istock
Vor einigen Jahren berichtete eine Bekannte von einer Begegnung, die sie schockierte: Während einer Veranstaltung kam sie im VIP-Bereich der damaligen Kanzlerin sehr nahe. Angela Merkels Gesicht habe wegen einer dicken Make-up-Schicht wie in Stein gemeißelt gewirkt – totgeschminkt. Kein Wunder: Die Kanzlerin hatte bei ihren Terminen stets eine Visagistin dabei, die sich um Kleidung, Haare und Make-up kümmerte. Der Trend zum Beton-Outfit scheint sich beim Regierungspersonal seitdem noch zu verfestigen, denn die Ansprüche an politische Oberflächen sind hoch.
Egal, wie katastrophal die Lage ist – Krieg, Klima, Katar-Kotaus –, die Regierenden müssen kontrolliert gute Miene machen. Da darf keine Strähne unkontrolliert ins Gesicht fallen, kein
len, kein Schweißperlchen entweichen, kein Lächeln verrutschen, keine Hautpartie unrein wirken. Im Grunde erwarten die Regierten – gnadenlos geworden durch unsozial-medial herbeigegaukelte Perfektion – Unmögliches: dass die Regierenden keine Menschen sind, sondern makellose Abziehbilder ihrer selbst, jederzeit instagramable. Für lobende, aber auch körperbeschämende Kommentare über Bauch, Beine, Po, Kleidung oder Stil sind Frauen in der Politik mehr noch Zielscheibe als Männer – da ist nachvollziehbar, wenn die im Polit-Rampenlicht sich mit Investitionen ins Aussehen panzern.Was dabei herauskommt, sieht man an der Außenministerin. Ob sie in Indien barfuß läuft, in der Ukraine die schusssichere Weste überzieht, Entsetzen kundtut oder Solidarität mit Opfern von Tyrannen jedweder Art äußert – es könnte sich jeweils auch um ein Fotoshooting für eine Frauenzeitschrift handeln. Aber von nix kommt nix. Annalena Baerbocks persönliche Visagistin, wie bei der Kanzlerin stets auf Terminen im Gefolge, belastet die Steuerkasse monatlich mit 7.500 Euro, plus Mehrwertsteuer. „Darüber hinaus fallen verschiedenen Nebenkosten wie z.B. Visagebühren, Taxifahrten, Hotelkosten oder reisebedingt erforderliche Impfungen und in seltenen Fällen zusätzliche Honorare für Reisetage, die über das vertraglich vereinbarte hinausgehen, an“, teilt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Anfrage mit. Da kommt ganz schön was zusammen. Ein Lehrer könnte sich das mit seinem deutlich geringeren Gehalt nicht leisten – und auch der muss täglich, möglichst unangreifbar outgefittet, vor die Schüler (und deren Smartphones) treten. 136.552,50 Euro flossen im vergangenen Jahr ins offiziell-außenamtliche Schminken, Pudern und Stylen. Damit hält Baerbock den Rekord, obwohl ihr Vorgänger – wer war’s noch gleich? Ach ja: Heiko-sehe-ich-nicht-großartig-aus-Maas (SPD) – ebenfalls sechsstellige Summen (ver)brauchte. Zum Vergleich: Bei Bundeskanzler Olaf Scholz fielen im Jahr 2021 381,57 Euro und im vergangenen Jahr 39.910,95 Euro an. Und beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ganze 900 Euro, in den Vorjahren kein Cent.Leider geht aus der Antwort der Bundesregierung (19. Januar, Drucksache 20/5286) auf die betreffende Kleine Anfrage der AfD nicht hervor, wie teuer die Außendarstellung des Auswärtigen Amtes in der Vor-Maas-Ära war. Dort sieht man ohnehin kein Problem: Die Begleitung durch eine Maskenbildnerin sei „auch bei anderen Spitzenrepräsentantinnen Deutschlands bereits seit Langem üblich und bekannt“. Seit wann das „üblich“ ist, weiß der Sprecher jedoch auch auf Nachfrage nicht zu sagen. Womöglich spielt er auf die damals noch verschämt „Assistentin“ genannte Visagistin der Kanzlerin an, aber der grüne Bundeswirtschaftsminister, der andere großzügig zum Sparen aufruft, darf sich ruhig mitgemeint fühlen. Robert Habeck beauftragt per Vierjahresvertrag für rund 400.000 Euro einen Fotografen, das sind 8.333 Euro monatlich, und erleichterte die Bundesstylingschatulle um 83.184,06 Euro (CDU-Vorgänger Peter Altmaier: 31.798,50 Euro). Merke: Je besser ein Politiker aussieht, desto teurer kommt es die Steuerzahlerin zu stehen.Im Schweiße ihres AngesichtsDas Bundespresseamt (BPA) vermerkt dazu: „Es ist üblich, dass Menschen, die öffentliche, medial begleitete Auftritte und Termine wahrnehmen, Leistungen z. B. von Visagisten in Anspruch nehmen, da sich die Anforderungen an einen professionellen Auftritt beispielsweise unter TV-Bedingungen vom normalen, privaten Styling erheblich unterscheiden.“ Klar: Unter den heißen Studioscheinwerfern soll kein Gesicht vor Schweiß unschön glänzen. Doch ARD und ZDF versichern, dass hauseigene (mithin öffentlich-rechtlich finanzierte) Maskenbildner durchaus zur Verfügung stünden.Während der Papst hellsichtig vor einer „Make-up-Kultur“ warnt, schreckt derweil auch die grüne (und katholische) Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch nicht vor teuren Fotostylings zurück. Mit 70.615,57 Euro gab sie doppelt so viel aus wie ihre Chefin, Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Dazu kamen noch Visagisten-Kosten (1.265,80 Euro) und bezahlte Social-Media-Werbung (70.000 Euro) – auf letztere Ausgaben verzichten sowohl Senatskanzlei wie die links geführte Kulturverwaltung.Auch der König der Selbstdarstellung, Christian Lindner (FDP), kann sich schminkgeldtechnisch sehen lassen. „Entsprechende Dienstleistungen“ habe das Bundesfinanzministerium „in der laufenden Wahlperiode nur vereinzelt und anlassbezogen beauftragt“, informiert eine Sprecherin. Bislang entstanden dabei „Kosten in Höhe von 650 Euro“. Man reibt sich die Augen: Baerbock benötigte das 210-Fache. Rechtskonservative reagieren denn auch händereibend-hämisch – und vergleichen das Gebaren der aufwendig aufgehübschten Regierungsmitglieder mit dem Unwesen unterm absolutistischen Sonnenkönig Ludwig XIV. „Der Staat bin ich“, hatte der Franzose verkündet – und danach gelebt. Seine karrieregeilen Adligen huldigten ihm im Prunk des Versailler Schlosses, während die französische Bevölkerung hungerte.In der Demokratie ist laut Grundgesetz das Volk der eigentliche Souverän, vertreten von den Parlamentariern. Diese sind in Sachen Schminke deutlich weniger verschwenderisch. Fragt man bei den Fraktionen im Bundestag nach, erfährt man rasch: Die SPD beschäftigt gar keine Visagistin, CDU/CSU nur sporadisch, die Liberalen lassen den Parlamentarischen Geschäftsführer für den Bereich Finanzen, Stephan Thomae, zitieren: „Die FDP-Fraktion verwendet aktuell keine finanziellen Mittel für Visagisten. Auch für die Jahre 2020 – 2022 wurden dafür keine Mittel ausgegeben. Bei Kameraterminen wird in der Regel auf das dort vorhandene Personal zurückgegriffen. Natürlich steht es den Abgeordneten unserer Fraktion frei, entweder privat oder aus ihren Pauschalen Mittel für Visagisten auszugeben.“ Die AfD antwortet nicht.Die Linke muss etwas länger überlegen und entschuldigt sich für eine späte Antwort: „Wir taten uns etwas schwer, weil so eine Debatte ja einerseits leicht ins rechte misogyne Fahrwasser geraten kann, andererseits diese abgehobene Selbstbedienungsmentalität auch nicht kritiklos hingenommen werden darf …“ Dafür äußert sich deren Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Jan Korte dann ausführlich: Der steuerfinanzierte Einsatz von Visagisten für Linken-Bundestagsabgeordnete sei „nicht üblich, sondern eine absolute Ausnahme, zum Beispiel vor besonderen Fototerminen oder für die Erstellung von Öffentlichkeitsmaterial“. In den Jahren 2020, 2021 und 2022 fiel dafür „ein niedriger vierstelliger Betrag an. Mehr ist auch nicht drin, da unsere Fraktion – offenbar im krassen Gegensatz zu den Ministerien – an allen Ecken und Enden sparen muss.“ Entsprechend verhielte man sich auch vor TV-Auftritten: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fernsehstudios sind Profis. Wer da seine persönlichen Stylisten mitbringt, hat sich den falschen Job ausgesucht. Wir sind in der Politik und nicht in Hollywood.“ Ausgaben für Stylingkosten in sechsstelliger Höhe, wie bei der Außenministerin, hält Korte für „völlig unangemessen, komplett abgehoben“, sie stünden „auch sinnbildlich für die oberflächliche Politik der Bundesregierung. Statt exzessiven Make-ups und Oberflächenstylings wäre es höchste Zeit für tiefgreifende Veränderungen, um das Land wieder sozial und gerecht zu machen.“Die Grünen-Fraktion „bietet“ ihren Abgeordneten „seit 2014 zu wichtigen medienbegleiteten Anlässen die Möglichkeit, auf wechselnde Visagist*innen zurückzugreifen. Dies betrifft zum Beispiel das Presse-Statement vor unseren Fraktionssitzungen in Sitzungswochen.“ Die jährlichen Gesamtkosten dafür beziffert sie, die Grünen-Fraktion, auf eine vierstellige Summe. Zur Frage nach der Angemessenheit der viel höheren Ausgaben ihrer Bundesminister kommt, wie bei den anderen Fraktionen (außer der Linken), keine Antwort. Auch der ebenfalls angefragte Bundespräsident und die zweite Frau im Staate, die Bundestagspräsidentin*, haben keine Auskunft gegeben.OberflächengetriebenDer Befund ist demnach nur vorläufig, es fällt jedoch zweierlei auf: Mit Amtsantritt der Ampelregierung sind die Kosten für körpernahe Dienstleistungen und Fotos von Regierungsmitgliedern enorm gestiegen. Und: Beim steuerfinanzierten Gutaussehen haben Bündnis 90/Die Grünen die Nase vorn. Das ist für die Rechtsaußenpartei, die sich jährlich per Bundestagsanfrage die Stylingkosten haarklein auflisten lässt, ein gefundenes Fressen. Und genau deshalb sollte man die Frage, wie viel Steuergeld Polit-Schminke verschlingen darf, nicht den Rechten überlassen.Selbstverständlich sollten Regierende und Abgeordnete – wie alle Bürger – auf offiziellen Terminen irgendwie angemessen rüberkommen und nicht in Schlappen vor die Kameralinsen schlurfen. Das gebieten schon der Anstand und der Respekt vorm Wahlvolk. Aber wie viel darf jene Angemessenheit die Repräsentierten kosten, bevor sie unanständig wird? Gibt es eine Obergrenze? Seit wann wird überhaupt so hemmungslos gestylt? Seit Politik twittert und „instagramreelt“? Oder stand auch, sagen wir, Hans-Dietrich Genscher zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Visagist zur Seite? Wäre Willy Brandts Kniefall in Warschau hautpflegeoptimiert und besser ausgeleuchtet wirkungsvoller gewesen? „Dazu liegen uns keine Informationen vor“, heißt es beim BPA.Schade, denn so wird Übertreibung zur Normalität. Der optische Perfektionismus nimmt, getrieben durch die pseudosozialen Oberflächenmedien, absurde Züge an. Da geht es Politikern nicht anders als magersuchtsgefährdeten jungen Mädchen oder grotesk muskeldefinierten jungen Kerlen: Je schicker die Bilder der anderen, desto mehr kommt man beim eigenen „Look“ unter Zugzwang. „Alle Ausgaben der Bundesregierung werden im Sinne der einschlägigen Haushaltsgrundsätze, insbesondere der des Sparsamkeits- und Wirtschaftlichkeitsprinzips getätigt“, lautet zwar, scheinbar wohlgeordnet und maßvoll, der Textbaustein des BPA, aber: „Es gilt das Ressortprinzip, nach dem jedes Ressort seine Ausgaben selbst verantwortet.“ Dieses steht dann offenbar noch über dem der Sparsamkeit. Und eine quasimythische, jedem kritischen Zugriff entrückte „Üblichkeit“ soll es dann richten.Im Sinne einer feministischen Außendarstellungsspolitik wünscht man sich die Souveränität von Politikmenschen, die das Perfekte jener allzu teuren (im Übrigen reichlich zeitaufwendigen) Üblichkeit berauben. Wie wäre es, wenn sie sich ganz verwegen – nur mal probehalber! – ohne Stilberatung in die nächste Talkshow trauen und in einem revolutionären Akt einfach die Klamotte anziehen, die ihnen gefällt? Das frei werdende Geld ließe sich problemlos verwenden, zum Beispiel für Erdbeben- oder Kriegsopfer. Oder auch für Schulworkshops zum Thema „Resilienz gegen Bodyshaming“. Dann könnten sich nicht nur die Polit-Budgets für Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch all jene Regierten, die weder Zeit noch Geld für perfektes Styling haben, ein bisschen entspannen.*Update: Die Pressestelle des Bundestages hat nach Redaktionsschluss Folgendes geantwortet: "Im Bereich des Bundestagspräsidenten / der Bundestagspräsidentin sind im Jahr 2020 keine Ausgaben für Visagistinnen/Visagisten erfolgt. Im Jahr 2021 sind für diese Zwecke rund 450 Euro verausgabt worden. Im Jahr 2022 haben sich die Ausgaben für die Präsidentin auf insgesamt rund 13.200 Euro belaufen, für eine Stellvertreterin der Präsidentin sind entsprechende Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 570 Euro angefallen. Die Ausgaben werden aus dem Ansatz für außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen, dem sog. Repräsentationsfonds, finanziert, der im Jahr 2023 mit einer Obergrenze bei der Präsidentin von insgesamt 115.200 Euro und bei den Stellvertreterinnen und Stellvertretern von 5.100 Euro versehen ist."