Ganz „ohne Tabu“ geht es hier um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Das ist bemerkenswert, denn lange habe ich mir derlei verboten. Gerade unter kritisch-demokratischen Menschen galt ja spätestens seit Pegida das Axiom: „ÖRR-Kritik spielt nur den Rechten in die Hände!“ Jetzt aber darf ich. Tom Buhrow hat es erlaubt. Der WDR-Chef und ARD-Vorsitzende wünscht eine „Grundsatzdebatte“, und zwar „ohne die üblichen Rücksichtnahmen“ sowie „Denkverbote“. Also los! Und ganz von vorn.
Der ÖRR gilt als staatstragend, gerade weil er staatsfern konzipiert wurde. Für die Nachkriegs-BRD war er nach der Reichsfunk-Gehirnwäsche ein Geschenk. Seit 1950 sorgt er gebührenfinanziert und
nziert und unabhängig für Information, Bildung und Unterhaltung – die sogenannte „Grundversorgung“. So weit das Lexikon.Dann zeigte Patricia Schlesinger vom RBB, dass jene „Grundversorgung“ leider zur hemmungslosen Selbstversorgung von Funktionspersonal geworden ist. So tönt jetzt auch ZDF-Moderator Jan Böhmermann – gewohnt moderat: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist scheiße.“ Präzise rechnet er vor, wie viel der Noch-ARD-Chef verdient: 416.685,84 Euro im Jahr. Diese Pointe konnte auch Böhmermann als quasioffizieller Vorkoster des Sagbaren nicht den „Faschisten“ überlassen.Die Revolution ausgerufen hat Buhrow vor dem erlauchten Publikum des außerordentlich gemeinnützigen Hamburger „Übersee-Clubs e. V.“ Dort wird Buhrow mit seinem Einkommen eher als Gast aus der unbekannten Welt der Geringverdiener gelten. Doch dürfte das Vokabular, mit dem er privatissimo vor gepflegt alternden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft sein öffentliches Unternehmen angriff, für eine Gesprächsebene gesorgt haben: „Runder Tisch“, „große Reform“, „schmerzhafte Einschnitte“ – das kennt man dort. Und zwar aus einer Perspektive, der naheliegende Nachfragen fern sind: Was hat Buhrow bisher gemacht in seinem Sender? Wie glaubwürdig ist es, wenn der bestbezahlte ARD-Funktionär kurz vor dem 300.000-Euro-Ruhestand nicht nur de facto das ZDF vors Kanonenrohr stellt, den Zweitgeborenen des ÖRR – sondern auch 64 Hörfunkwellen, die Rundfunkorchester, Nachrichtensendungen etc.?Der Genius Loci jenes Clubs mochte es wohl logisch erscheinen lassen, die ÖRR-Debatte als Streichkonzert zu intonieren. Andernorts wären womöglich andere Fragen aufgekommen, etwa die nach dem Was und nicht bloß dem Wieviel. Denn angesichts der aktuellen Kriegs- und vorher der Corona-Berichterstattung geben auch Menschen, die sich politisch zum linksgrünversifften Mainstream zählen, auf Exklusiv-Nachfrage an, sie wünschten sich „einen Unterschied zwischen Fakten und Kommentaren“. Das sei „nicht immer so deutlich gewesen in der letzten Zeit“.Das finden nun auch „Putinversteher“ und „Impfgegner“. So gesehen stimmt Buhrows Einschätzung, der ÖRR habe in den jüngsten Krisenjahren die Gesellschaft zusammengeführt. Aber im Ernst: Die Wunschliste für den Runden Tisch ist lang. Mehr Meinungsunterschiede in Talkshows. Mehr Einfluss für Gebührenzahler. Mehr Mitbestimmung durch die feste und freie Belegschaft. Mehr Angebote in Leichter Sprache. Schluss mit Marketing-Eigenlob und Repräsentations-Chichi, mit Quatschmemes und Einseitigkeit. Demokratische Relevanz entsteht nicht durch wokistische Erzieherei und paternalistischen Protz, sondern durch gerecht entlohnte, transparent finanzierte, unabhängige journalistische Arbeit. Wer aber wird Inhaltsdiskussionen führen, wenn es nun ums „Sparen“ geht? ZDF-Chef Norbert Himmler, der für eine „offene Debatte bereit“ ist? SWR-Chef Kai Gniffke, der überdenken will, was „wir für unantastbar gehalten haben“?Heike Raab (SPD), Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder und rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin, fragt, warum „Herr Buhrow“ seine Ideen nicht schon beim Treffen der Intendantinnen mit den Ländern am 19. Oktober vorgetragen hat. Wir schließen uns an. Und würden zudem gern wissen, wieso Buhrow, sonst ja gern locker, im Übersee-Club nicht gegen die Krawattenpflicht verstoßen hat. Wenigstens das. Es wäre ein Zeichen gewesen.