Eines gilt heute mehr denn je: Wer Klasse hat, fährt Taxi
Foto: Imago/Horst Galuschka
Geheime Lobbykampagenen enthüllten die Uberfiles, jetzt liest man auch noch von Klagen wegen sexueller Übergriffe in den USA. Uber – schon der Name klingt irgendwie falsch. Und dann das penetrante Duzen, diese klebrige Marketing-Vertraulichkeit: „Du kannst deinem Fahrer am einfachsten über die App Trinkgeld geben.“ Alles soll einfach, einfacher, am einfachsten sein, das Geldausgeben, das Fortbewegen. Du sagen. Zu deiner App. Zu deinem Fahrer. Der in Wahrheit Uber gehört. Aber wie fährt man damit –?
„Du setzt dich in einen Toyota hinten rein“, erklärt der Uber-Nutzer meines Vertrauens, „der Preis wird direkt angezeigt, mit dem Fahrer reden ist unnötig, du musst nicht mal sagen, wo du hinwillst, weil er es über
il er es über die App schon weiß.“ Auch deine Daten gehören Uber – der Name ist ein Germanismus, man könnte die Sache ja einfach auch „Super“ statt „Uber“ nennen, aber die Verhunzung soll eine ganze Kultur treffen, die alteuropäische, umständliche. Ganz anders dagegen das Wort „Taxi“. Das französische Spenderverb „taxer“ meint zwar „den Preis festsetzen“, es hat seinen Ursprung aber im lateinischen „taxare“, und das meint nicht nur „einschätzen“, sondern auch „schätzen“. Das Taxi seinerseits verweist auf die Droschke und deren Taxameter, das die Radumdrehungen maß. Heute sagen manche Taxi-Uhr zu dem nervenaufreibenden Ding, das tickt und tickt, je mehr, desto teurer.Frühmorgens zum BahnhofDie meisten von uns müssen sich gut überlegen, ob sie ein Taxi nehmen, man leistet es sich, und steigt man wieder aus dem Taxi gibt es das Trinkgeld direkt auf die Hand, nix mit App. Auf der Fahrt kommt man ins Gespräch mit dem Fahrer, und es eröffnet sich eine unbekannte Welt, in einer fremden Stadt, oder in einem fremden Milieu der eigenen Stadt. Für Politiker ist der Taxifahrer, so scheint es, oft der einzige Kontakt zum Volk. Früher wurde er in extenso zitiert. Heute horcht man schon auf, wenn, sagen wir, ein Christian Lindner sich auf ihn beruft. Bald haben sie keinen mehr. Die digitalen Mäuler sind kein Ersatz.Auch Zeitungsjournalisten zückten ihren Notizblock und notierten, was Mehmet oder Kalle oder, seltener, Sabine alias Volkes Stimme der Politik angeblich zu sagen hatten. Sagt man das überhaupt noch – „Notizblock“? Verwendet außer mir noch jemand diesen überaus nützlichen Gegenstand? Mit dem Füller schreibe ich hinein, wenn ich unterwegs bin, achte nicht der Tinte an der Hand, und wenn es spät und mir verschwenderisch zumute wird, winke ich damit ein Taxi herbei, einfach nur, weil es so wunderbar dekadent ist. Taxifahren ist das Leben – und zugleich die Sehnsucht nach ihm. Nirgendwo sonst kann man sich so grundsätzlich der grundsätzlichen Melancholie hingeben, ohne die man nicht im Taxi säße, sondern woanders. Taxi fährt man frühmorgens zum Bahnhof oder nachts, also wenn man zu wenig Schlaf oder zu viel Alkohol im Blut hat, und beides ist voller Wunder.Wie KorallenriffeGrundsätzlich gebe ich zu viel Trinkgeld – und merke das erst, wenn der Fahrer mir mit allzu breitem Lächeln den Schlag öffnet. Das Geräusch des Blinkers wirkt besänftigend, das Kettchen am Rückspiegel klackert, es läuft das Radio. In Berlin ist das verblüffend oft Radio Paradiso, aber es gibt auch den iranischen Akademiker, der Jazzradio hört, und den türkischen Fahrer, der Klassikradio eingestellt hat. Einer redet zu viel, ein anderer Fahrer zu wenig, ein dritter guckt skeptisch, beim vierten wird man selbst misstrauisch – fährt der wirklich die kürzeste Strecke? Warum meldet sich die Zentrale nie? Meldet die sich heutzutage eigentlich noch? Schon zückt man das Handy, um sich zu vergewissern, dass alles seine Richtigkeit hat – und lässt es doch, ergibt sich dem Schicksal, lehnt sich zurück, lässt den Fahrer machen – Was wäre das Leben ohne Umwege?Doch nun sind Taxis wie Korallenriffe, vom Aussterben bedroht durch die Gier der Menschen. Die einfach alles und alles einfach haben wollen. Und damit alles kaputt machen. Erst wenn der letzte cremefarbene Mercedes verschrottet, der letzte taxifahrende Student ubergelaufen, das letzte Taxi über die letzte dunkelgelbe Ampel im Karacho gerauscht ist (wer zahlt eigentlich all die Bußen?), erst dann werden sie merken, dass Uber nichts ist und Taxifahren alles. Also fahren Sie! Noch fahren sie.