Sprache im Krieg: Das Böse erschießen?

Ukraine Waffenlieferungen scheinen alternativlos im Kampf gegen das Böse. Doch wer „das Böse“ denkt, begibt sich auf die schiefe Bahn. Über die Hochkonjunktur eines gefährlichen Begriffs
Gegen „das Böse“ darf man keine „Ladehemmung“ haben! Das ist die Ansicht, die auch in Deutschland weit verbreitet ist
Gegen „das Böse“ darf man keine „Ladehemmung“ haben! Das ist die Ansicht, die auch in Deutschland weit verbreitet ist

Foto: Fadel Senna/AFP via Getty Images

„Die müssen denen doch einfach nur die Waffen liefern“, findet eine verhärmte, ältere Frau in billigen Jeans und Plastikjacke, deren Gesicht nicht viel Sonne gesehen hat. Sie steht vor dem Supermarkt in einem Viertel, dessen Bewohner die Folgen der Sanktionen unmittelbar zu spüren bekommen. Ihr Gegenüber erregt sich mit ihr: „Aba die reden nur! Bis dit Kind in‘n‘ Brunn‘ jefalln is.“ Die Frau nickt: „Dit sind keene Politiker, dit sind Weicheier. Die diskutier‘n alles tot!“

„Weichei“ will keine:r sein. Härte ist gefragt, wenn „das Böse“ Hochkonjunktur hat. Manch Grünen-Politikerin ortet es – gewissermaßen magisch – auch in Chemiewaffen: „das Böse in Reinform“. Im Eifer des Gefechts entgeht ihr: Wer vom Bösen spricht, begibt sich auf eine abschüssige Bahn, die von demokratischen Prozessen weg führt – und auf der man abrutscht ins Metaphysische, ins Absolute. Zum Bösen kann man keine Meinungen haben, man muss es hassen – und aus tiefster Überzeugung mit allen Mitteln bekämpfen.

Auch der ukrainische Präsident wähnt sich und sein Land im Kampf gegen „das Böse“. #StandwithUkraine – das ist ein Befehl. Liefert! Waffen! Und zwar schwere! Die neue „Phase“ des Krieges erfordere es. Vom Bösen besetzte Gebiete seien zurückzuerobern. Aus dem Angriffskrieg wird ein Rück-Angriffskrieg. Den man gewinnen muss. Um dem Bösen das Feld nicht zu überlassen, braucht es schweres Geschütz. Mit irritierender Vollmündigkeit fordern dies gerade Politik-Menschen, die sonst angewidert um jeden Schützenverein einen großen Bogen machen. „Schwere Waffen“ klingt nach „Wir ducken uns nicht weg“, klingt nach Tatkraft, Konsequenz, der nötigen Härte – gegen „das Böse“ darf man keine „Ladehemmung“ haben!

Folterer steigen nicht aus der Hölle empor

Dabei sollten gerade gute Demokraten wissen, dass es mit dem Bösen so einfach nicht ist und nie war. Auch wenn man in bester Absicht auf das Böse zielt, trifft man Menschen, deren Körper genauso elendiglich verrecken, in versenkten Schiffen ertrinken, über abgerissene Gliedmaßen schreien wie die Körper derjenigen, die man zu den Guten zählt. Auch Soldaten, die schwere Kriegsverbrechen begehen und nun mit schweren Waffen bekämpft – oder bestraft? – werden sollen, wurden nicht als Vollstrecker des Bösen geboren. Sie haben, wie der Historiker Jörg Baberowski anschaulich erklärt, oft genug bittere Armut und Demütigungen erfahren, wurden selbst ihrer Würde beraubt – und zwar wiederum von Menschen, nicht vom „Bösen“ – bevor sie ihrerseits grausam werden, Grenzen verletzen und Schmerz zufügen. Vergewaltiger und Folterer steigen nicht aus der Hölle empor. Das Böse wächst nicht aus dem Nichts, doch im Krieg wächst es besonders üppig.

Wer vom absolut Bösen spricht, fordert dazu auf, alles zu verlernen, was Demokratie und Humanität ermöglicht, z. B. dass Menschen und Kriege eine Geschichte haben, dass es immer (auch) um ökonomische und machtpolitische Interessen geht, dass man die im Dunkeln nicht sieht. Die Rasanz, mit der dieses Verlernen von einigen nun geradezu prahlerisch exerziert wird, lässt Schlimmstes befürchten. In einem solchen Diskurs wird die Lieferung von Angriffswaffen zur moralisch gebotenen Pflicht. Und wenn es so schwindelerregend schnell weiter geht mit der moralisch-militärischen Zeitenwende, ist womöglich auch der Einsatz noch böserer Waffen bald nicht mehr tabu. Um Böses mit Bösem zu bekämpfen. Eben noch galt die Lieferung von Abwehrwaffen in Kriegsgebiete als Teufelszeug, nun werden Bomben zu Werkzeugen des Guten. Schluss mit dem Gezauder!, heißt es dann ähnlich emotional-unpolitisch wie im oben zitierten Dialog. Waffen her! Das Böse killen! Bevor das Kind in den Brunnen fällt!

Das Kind ist aber längst in den Brunnen gefallen. Es fällt und fällt, mit jeder auf „das Böse“ zielenden Waffe fällt es tiefer, versinkt in dem Glauben, das Böse lasse sich nicht widerlegen – nur erlegen. So erhält es immer neues Kanonenfutter, und die Logik des Krieges gewinnt an Boden.

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Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

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