Verkehrsforscher Andreas Knie: „Das Auto ist eine schlechte Angewohnheit, wie das Rauchen“
Interview Fridays for Future und Verdi gehen auf die Straße, um für eine Mobilitätswende zu demonstrieren. Wie die aussehen kann, weiß Verkehrsforscher Andreas Knie. Hier erklärt er, dass auch das Parkrecht durch zivilen Ungehorsam erkämpft wurde
Verkehrsforscher Andreas Knie ist genervt von der FDP
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der Freitag: Herr Knie, eben kamen Sie mit einem Fernsehteam aus einem Termin, jetzt sprechen Sie mit uns – Sie haben viel zu tun wegen der Klimastreiks und der verkehrspolitischen Lage, oder?
Andreas Knie: Ja. Das war eben zu einem lokalen Thema. Hier im Kiez gibt es eine Initiative des Bezirks, die PKW-Stellplätze einzuschränken. Da sind wir in der wissenschaftlichen Begleitung.
Was für ein Auto fahren Sie?
Gar keines. Ich habe es mir 1991 abgewöhnt, als ich nach Berlin zog. Wenn ich eines brauche, nutze ich Carsharing, vorzugsweise elektrisch. Aber ich mag Autos, habe immer viel damit zu tun gehabt, habe auch meine Promotion und Habilitation über Dieselmotoren geschrieben.
Dann können Sie verstehen, warum Menschen das Autofahren mit Freiheit assoziieren?
K
ion und Habilitation über Dieselmotoren geschrieben.Dann können Sie verstehen, warum Menschen das Autofahren mit Freiheit assoziieren?Klar, das war es auch! Die Geschichte des Autos war ja eine gute. Ich zum Beispiel würde hier nicht sitzen, gäbe es kein Auto. Ich bin im Siegerland großgeworden, weit und breit kein Gymnasium, kein Theater, kein Kino. Da war das Auto wirklich ein Vehikel für Freiheit. Aber dann ist es langsam aus der Zeit gefallen. Es gibt zu viele. Wir haben einfach keinen Platz mehr. Das alte Programm des Autos, das es aus Raum und Zeit befreit…… freie Fahrt für freie Bürger…… das funktioniert heute nicht mehr.Fahren Sie gerne auch mal schnell?Früher, ja. Das mache ich jetzt aber nicht mehr so oft. Obwohl: Neulich wurde ich wieder geblitzt…Dann möchten Sie, dass der Staat Ihnen das Rasen verbietet? Sie sind für ein Tempolimit 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen.Ohne ein Tempolimit erreichen wir die Klimaziele nicht. Und es ist einfach. Es kostet kein Geld – und es ist sehr, sehr wirksam. Das belegen genügend Studien. Zehn Prozent des jetzigen CO2-Ausstoßes im Straßenverkehr könnten wir damit einsparen. Das ist viel!„Wie viele Kröten wollen die Grünen noch schlucken?“Gibt es überhaupt noch ein Land auf der Welt ohne Tempolimit?Nein. Auch nicht Nordkorea, nicht Albanien, nicht Äthiopien. Alles spricht dafür. Man könnte den Verkehrsfluss optimieren: Wenn alle langsamer fahren, fließt der Verkehr viel ruhiger. Schließlich haben wir sogar noch weniger Unfälle. Es gibt also nur Gewinner bei Tempo 100, und man fragt sich wirklich, wer da noch dagegen ist.Wir wissen ja, wer dagegen ist. Warum sträubt sich vor allem die FDP in der Ampel-Koalition so sehr gegen Vernunft und Klimaschutz?Wahrscheinlich wollen sie nur ihr Parteiprofil zu schärfen. Reine Klientelpolitik.Wir sind ja in einer Demokratie. Das heißt, man muss die Mehrheit dafür organisieren, und die ist im Bundestag im Moment nicht gegeben.Die Mehrheit gäbe es, aber die Grünen lassen sich zu viel bieten. Wie viele Kröten wollen sie noch schlucken?Sind Sie selbst Parteimitglied?Ja.Und Sie raten Ihrer Partei, die Koalition zur Disposition zu stellen?Als wissenschaftlicher Beobachter würde ich sagen, dass ein Limit erreicht ist. Schon die Ver-längerung der AKW-Laufzeiten war grenzwertig, aber die konnte man noch mit der Sicherung der Energieversorgung begründen. Bei Verkehrspolitik der FDP kann man sich nicht mehr auf Pragmatismus berufen. Wenn die FDP tatsächlich den schnelleren Autobahn-Ausbau durchsetzt und auf EU-Ebene das Verbrenner-Aus blockiert, dann ist der Rubikon überschritten. Da sollten die Grünen die Koalitionsfrage stellen. Es war ein strategischer Fehler, in einem so wichtigen Sektor wie dem Verkehr, der fast ein Drittel aller CO2-Emissionen darstellt, nicht mitzugestalten und das Ressort abzugeben.Auf welches hätten die Grünen verzichten sollen?Außenpolitik. Da kann man nur rhetorische Akzente setzen, während wir im Verkehr mit kli-marelevanten Entscheidungen wirklich gestalten könnten.Placeholder infobox-1Nun gestaltet die FDP den Verkehr. Minister Volker Wissing will das Aus des Verbrenner-Aus. Könnten Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?Das ist relativ einfach. Wir haben schon seit 30 Jahren die Debatte, dass wir mit den Verbrennungsmotoren zu viele Schadstoffe und Klimagase emittieren. Und der Verbrenner hat einen Wirkungsgrad von maximal 40 bis 50 Prozent. Der Verbrennermotor ist ineffizient – und er ist umweltschädlich. Also müssen wir über eine Alternative nachdenken. Elektromobilität zum Beispiel. Neufahrzeuge mit Verbrennern dürfen nicht mehr zugelassen werden. Zuerst war das Jahr 2020 im Gespräch, dann 2025. Jetzt hat man sich in einem mühseligen Kompromiss auf das Jahr 2035 festgelegt. Es fehlt nur noch der Europäische Rat. Und nun hat Deutschland als einziges Land signalisiert, dass es doch nicht mitmacht. Weil die FDP den Ausstieg nach hinten schieben will.Warum?Das vordergründige Argument ist, dass man die Option des E-Fuels offenhalten will.Was sind E-Fuels?Das ist Sprit auf Basis nachhaltiger Rohstoffe. Extrem teuer, extrem aufwendig. Wir werden den nur in ganz wenigen Mengen haben, da ist die Fachwelt einig. E-Fuels können nur sinnvoll eingesetzt werden bei Transportmitteln, die mit anderen Antrieben nicht zu organisieren sind, wie Flugzeuge oder der Schwerlastverkehr – aber nicht bei PKWs. Das ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Dahinter steckt der Druck der deutschen Autohersteller. Die wollen noch möglichst lange mit Verbrenner-Motoren arbeiten, weil sie damit mehr Geld verdienen als mit Batterie Elektroautos.Auch auf lange Sicht?Nein. Es ist wirtschaftlich nicht nachhaltig gedacht. Deutsche Autofirmen verschlafen die Entwicklung, investieren zu wenig in neue Technologien – und sind dann irgendwann nicht mehr wettbewerbsfähig.Die FDP setzt also den deutschen Wohlstand aufs Spiel?Wenn Sie so wollen. Es ist kurzsichtig. So eine Politik hemmt die Innovationskraft von Unter-nehmen. Dafür gibt es genügend Beispiele in der Geschichte. Wenn die Industrie zu lange an Strukturen festhält, die nicht mehr zeitgemäß sind, kickt sie sich ins Aus. So erging es der Textilindustrie, der Stahlindustrie, der Kohleindustrie. Wenn wir uns an Altes klammern, machen wir am Schluss viel mehr kaputt. Und damit wird sowohl der betriebswirtschaftliche, als auch der volkswirtschaftliche Schaden viel größer. Die Politik muss die Weichen stellen. An-dernfalls erweist die Bundesregierung der Autoindustrie einen Bärendienst – das ist politisch fatal.Muss man realistischerweise den Individualverkehr insgesamt neu denken?Natürlich! Die Gesellschaft ist da längst weiter als Christian Lindner oder Volker Wissing. Und als Staat muss ich Vorsorge treffen. Ich muss eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung ermöglichen. Die Rezepte von gestern bringen uns nicht weiter. Verbrenner waren in den 1950er-, 60er-, 70er-Jahren eine gute Lösung. Aber jetzt nicht mehr. Das ist Politik aus der Mottenkiste.„In 15 Jahren wird es Zwang brauchen“Also muss sich mehr verändern als die Antriebstechnologie von Autos?E-Autos sind nur ein Teil der Lösung. Sie alleine retten die Welt natürlich nicht. Wir müssen insgesamt weniger Autos haben, die viel weniger Kilometer fahren, mit Tempolimit. Und wir brauchen dafür viel weniger Infrastruktur, weil wir uns sonst tot versiegeln. In den Städten ist der öffentliche Nahverkehr eine Alternative, und im ländlichen Raum kann man Sharing Lösungen finden.Auf dem Land ist man aufs Auto angewiesen. Das wird auch so bleiben, oder?Individualverkehr wird es immer geben. Aber man kann es anders organisieren. Früher war man fest verbaut mit einem eigenen Auto, es stand die ganze Zeit zur Verfügung, wurde aber nur in zehn Prozent der Zeit gebraucht. Das wird aufhören. Nutzen statt besitzen ist die große Formel. Sharing. Pooling. On-Demand-Verkehr.Dann sind Sie nicht für eine autofreie Innenstadt?Auf keinen Fall. Ein Auto ist etwas Wunderbares! Es kommt auf die Dosierung an. Berlin ist ein gutes Beispiel. Wer in aller Welt braucht 1,2 Millionen Autos in dieser Stadt? Zumal die Hälfte der Haushalte gar kein Auto hat. Und von denen, die ein Auto haben, sagt auch wieder die Hälfte, sie bräuchte es eigentlich nicht. Das heißt, wir könnten in Berlin locker mit 300.000 Autos auskommen. Das muss man jetzt mal durchsetzen.Wie denn? Verbieten ist nicht sexy – wie macht man Lust auf die Verkehrswende?Eine gute Analogie ist das Rauchen. Autofahren ist eine schlechte Gewohnheit, die man sich abgewöhnen kann. Der Staat kann durch Verbote dabei helfen.Sie meinen, im Grunde wollen die Leute, dass man sie zwingt, aufs Auto zu verzichten? Auch wenn sie dann erstmal meckern?Genau. Die meisten wären längst bereit dazu. Wir brauchen ein 9-Euro-Ticket – 49 Euro ist viel zu teuer, das kann sich nicht jede leisten. Außerdem müssen wir die Konzerne zwingen, ressourcensparend zu arbeiten und Produkte zu schaffen, die nicht mehr Ressourcen als unbedingt notwendig verbrauchen. Wenn der Staat nicht handelt, muss die Zivilgesellschaft ran, über Demonstrationen, über Besetzung oder über Klagen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat uns ja vor zwei Jahren einen Beschluss auf den Tisch geknallt. Klimaschutz ist ein Grundrecht.Daraufhin hat die Bundesregierung das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 be-schlossen. Die Emissionen sollen bis 2045 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken.Ja, aber Ziele sind schön und gut – wir müssen auch losgehen! Wenn wir noch zehn oder 15 Jahre warten, wird die Not so groß sein, dass die CO2-Einsparung zu machen nur mit der Einschränkung anderer Grundrechte möglich ist.Was meinen Sie damit?Einschränkung der freien Bewegung, Lockdown, Kontingente. Jetzt kann man Klimaschutz noch in Freiheit machen – in 15 Jahren müssten wir es unter Zwang machen.Und technologisch kommen wir aus der Nummer nicht raus? Was ist zum Beispiel mit dem Wasserstoffauto?Ach, das ist immer so ein Joker, der aus dem Ärmel gezogen wird – aber der sticht nicht. Das Wasserstoffauto macht nur Sinn, wenn der Wasserstoff regenerativ erzeugt wird. Er emittiert zwar kein eigenes CO2, aber seine Erzeugung schon. Vielleicht macht das Wasserstoffauto die Welt in 30, 40 Jahren besser, aber das ist heute keine Option.Sie engagieren sich bei Scientists for Future und Extinction Rebellion. Würden Sie sich auch an die Straße kleben?Ich bin ein großer Anhänger des zivilen Ungehorsams. Nur deswegen haben wir übrigens das Recht, unser Auto einfach in die Gegend zu stellen! Das hat ein Bremer Kaufmann erzwungen, Ende der 1950er Jahre. Er hat sein Auto einfach nicht in eine Garage gestellt, sondern draußen stehen lassen. Damals durfte man das nicht. Er hat sich bis zum Bundesverwaltungsgericht durchgeklagt. 1966 entschied das Gericht: Wenn der Staat will, dass wir alle Autos haben und wir sogar die Kosten von der Steuer abziehen können, dann muss er auch dafür sorgen, dass die Leute überall parken können. Jetzt ist das Gegenteil dran. Ich persönlich habe eine Abneigung gegen Klebstoff, aber wir müssen wir uns wehren. Wir müssen den Raum, den wir brauchen, okkupieren. Über Aktionen. Sonst ändert sich nichts.