Florian Schroeder und Serdar Somuncu, wie armselig muss man sein?
Satire in der Krise Schroeder und Somuncu verwechseln selbstreferenzielles Labern mit Witzigsein, Mobbing mit Kabarett und Fehlhaltung mit Unterhaltung. Doch das Publikum wird nicht ungehalten – es lacht
Serdar Somuncu ist bekannt dafür rote Linien zu übertreten. Aber wann hört Spaß auf?
Foto: picture alliance/Felix Kästle/dpa
Warum schauen wir anderen Menschen dabei zu, wie sie sich unterhalten? Weil es unterhaltsam ist. Und wenn es nicht unterhält, obwohl wir Eintritt bezahlen? Dann ist es Satire. Wer das nicht kapiert, wird niedergemacht, von der Bühne herab, mit der großspurigen Vollmacht des unverstandenen Künstlers. Also lieber den Mund halten?
Florian Schroeder und Serdar Somuncu (im Folgenden abgekürzt als S&S) haben so viel Erfolg mit ihrem 90-minütigen, gebührenfinanzierten Podcast, dass sie daraus auch eine Bühnenversion machen. Das „Dreamteam des Polittalks“, lobhudelt rbb-Auftraggeber radioeins, legt „mit der einen entscheidenden Frage“, die so nie gestellt werde, „den Finger in die Wunde.“ Klingt wow. Ich bin auch drauf
gt „mit der einen entscheidenden Frage“, die so nie gestellt werde, „den Finger in die Wunde.“ Klingt wow. Ich bin auch drauf reingefallen. Begeisterten Empfehlungen folgend, schaue ich mir eine Aufzeichnung der „Show“ an. Hinterher fühle ich mich beschmutzt wie nach einem Matschlauf, nur ohne eigene Leistung: eine Mitläuferin im Dreck. Warum, beichte ich weiter unten. Erstmal zu den Hauptverantwortlichen:Somuncu hat sich als „Hassias“ einen Namen gemacht. Mit szenischen Lesungen aus Hitlers „Mein Kampf“ testete er, wie weit er mit Massensuggestion kommt – um sie dann selbst zu brechen. Er ist Opfer unzähliger Anfeindungen und steht auf dem angenehm politisch unkorrekten Standpunkt, jede Minderheit habe das Recht, diskriminiert zu werden. Vulgärsprache („Scheiße“, „Fresse“, „F***e“, „Pisser“, „Knie f***en“ …), garniert mit pseudolibertären „das-wird-man-ja-wohl“-Sprüchen à la „Seit wann lassen die Mongos rein“ oder „ich sag auch manchmal Bimbo“, gehört zum Konzept. 2020 spülte ihn seine Kritik gegen Corona-Maßnahmen in die „Schwurbler“-Shit- und „Widerstands“-Lovestorms: „Ungesundheitsminister“ Lauterbach, der „einen Drohorgasmus nach dem anderen“ erlebe, sei „in einem entfesselten Forderungsrausch gefangen“, diagnostizierte er. Für Nicht-Zero-Covid-Gläubige wie mich war das durchaus lustig (und entlastend).Stark finde ich auch, wie die beiden miteinander können, obwohl sie – übrigens auch zum Ukraine-Krieg – völlig verschiedene Meinungen vertreten. Aber eine Überzeugung teilen sie in großer Einigkeit: Man braucht einen Feind, um einander Freund zu sein. Deshalb lässt sich Somuncu am liebsten anfeuern vom einschleimigen Lachen seines Compagnons. Schroeder hält ihm als „Spötter mit Haltung“ die Stange, damit der Alpha nicht allzu schlechte Laune bekommt – das würde übel enden.Ihren eigenen Dünkel finden sie witzigSchroeders weniger fäkalige Ausdrucksweise ermöglicht die Illusion, sich von ihm halbwegs intelligent zu unterhalten zu lassen. Er wurde zunächst bekannt als Imitator von Prominenten. In der Pandemie-Zeit ließ er sich als Aufklärer erst ausbuhen, dann feiern: Bei einer „Querdenker“-Demonstration lud man ihn als vermeintlichen Verbündeten ein, auf der Bühne zu sprechen. Statt jedoch die Anti-Covid-Maßnahmen zu kritisieren, appellierte er an die Zuhörer, sie einzuhalten. Wobei das Mutige daran ein wenig fade wirkt, da er die große laute Gemeinsam-gegen-Corona-Mehrheit hinter sich wusste.S&S, laut rbb „immer einen Schritt weiter als die anderen“ und „einen Gedanken mehr“ denkend, haben sich zum Statussymbol der mitteljungen Urbanen herausgeputzt. Menschen, die nicht mit diesem Berlinmilieu konform gehen, etwa aus Berlin-Marzahn oder Halle-Neustadt, erwarten die beiden denn auch ausdrücklich nicht in ihrer Show. Ihren eigenen Dünkel finden sie witzig: „Woher kennen die uns überhaupt?“, fragt entgeistert Schroeder, „was haben wir falsch gemacht, dass solche Leute überhaupt Eintritt für uns zahlen? Das sind doch Leute, die gucken Flori Silbereisen!“ Und das Publikum lacht. Soll nur ja niemand auf die Idee kommen, es würde ebenfalls den Schlagersänger Flori Silbereisen goutieren! Und dadurch die Berechtigung verlieren, für Flori Schroeder Eintritt zu zahlen. Es muss alles hübsch unter sich bleiben, das Hochkulturelle und das Niedrige – keine Perlen vor die Säue! „Gibt es einen klassenlosen Humor?“, lautet eine der sanften Provokationen in Max Frischs berühmtem „Fragebogen“ – hier jedenfalls nicht, wäre zu antworten.Endlich wird jemand fertiggemachtIm Berliner „Tipi“ haben S&S ein Heimspiel. Hängen lässig im Sessel und können sich alles erlauben. Reden ausgiebig über ihren Kabarettismus und dessen Rezeption. „Talken“ über Alkohol, Übergewicht, Knieschmerzen ab 40, Diäten. Die Kamera schwenkt auf gelangweilte Gesichter (und schnell wieder weg), doch das Männergespräch dehnt sich. Bis es einer Frau zu blöd wird. Sie steht auf und fragt, wann denn endlich das Kabarett beginne. Arglos tut sie, was das Kind angesichts des nackten Kaisers tut: Sie entblößt die karge Performance – und wird umgehend bloßgestellt. Die Künstlermajestätsbeleidigung lassen die „Titanen des gesprochenen Wortes“ (Eigenwerbung) ihr nicht durchgehen. Da entgleisen Gesichtszüge, da verschrauben sich die sonst so wohlgefälligen, auf entspannt getunten Stimmen, da zappeln S&S hektisch auf und neben der Bühne herum im Bemühen, die Deutungshoheit wieder herzustellen, hecheln und bellen wie getroffene Hunde – und versichern sich der Bündnistreue ihrer Zuhörerschaft.„Ich mach’n Vorschlag“, schnoddert aggressiv Somuncu, „ich geb‘ Ihnen zehn Euro, wenn Sie gehen“. Erleichtert lacht es im Auditorium: Endlich wird’s lustig! Endlich wird jemand fertiggemacht, und man selbst kommt als Claqueur davon – eine Rolle, die Schroeder längst verinnerlicht zu haben scheint. Er macht gewissermaßen vor, wie man mitmacht. Animiert alle, die sich ein Ticket zwischen 12,90 und 42,90 Euro gekauft haben, jede Geschmacklosigkeit abzuklatschen. „In solcher Harmonie“, könnte man mit Adorno/Horkheimer konstatieren, „bieten sie das Zerrbild der Solidarität.“ Somuncu könnte auch anders, zum Beispiel hellsichtig ins Lachen grätschen: „Ist es eigentlich schlimmer, dass ich den Witz gemacht habe oder dass ihr darüber lacht?“ Aber er braucht jetzt keine Reflexion, er braucht Akklamation fürs eigene Fehlverhalten.Das hämische Lachen der MitläuferDenn S&S, auf ihrem Thron der unangreifbaren Satire, die alles darf und der keiner was kann, nehmen sich nicht nur „die da oben“ vor, sondern auch Schwächere, weniger Eloquente. „Ich bin nicht Ihr Dienstleister“, blafft Somuncu die mit seiner Leistung unzufriedene Frau an, „ich zahl Sie [sic] dafür, dass Sie die Schnauze halten, aber zacki-zacki!“ Hämisch gibt er ihr 50 Euro, damit sie verschwindet, doch damit ist es noch lange nicht vorbei (auch in weiteren Podcast-Folgen kommen beide, wie ein Verbrecher an den Tatort, immer wieder darauf zurück). „Wir zeigen das jetzt, wie sie rausgeht“, hetzt Schroeder. Die Kamera gehorcht, das Publikum auch: es lacht. Aber ist es „das versöhnte Lachen als Echo des Entronnenseins aus der Macht“, wie Horkheimer/Adorno unterscheiden – oder „das schlechte“, das die Furcht bewältigt, „indem es zu den Instanzen überläuft, die zu fürchten sind“?Nicht mit zu l/machen, erfordert eine Entscheidung. Lachen mit der Welle ist Unterwerfung. Nur eine andere Frau hat Mumm, wendet sich an die erregten Herrenmenschen: „Ich gehe auch ohne Geld.“ „Wunderbar!“, giftet Schroeder und lästert: „Schöner Anorak, sehr gut gewählt bei C&A. Geht was saufen in Marzahn, tschüss!“ Das Publikum flippt aus, auch Somuncu kriegt sich nicht mehr ein: „Alter, dass die die fuffzig Euro nimmt!“, krakeelt er, „die hatte eh’n Schuss.“ Die Frau hätte damit rechnen müssen, befindet er, „dass Leute, von denen man verlangt, dass sie Kabarett machen, auch die Schlagfertigkeit haben, sie bloßzustellen.“ Schroeder: „Wie armselig muss man sein?!“ Diese Frage könnte er besser sich selbst und dem armseligen Publikum – uns – stellen. Aber für Nachdenklichkeit ist kein Raum. Mit sich überschlagender Stimme befiehlt Somuncu: „Raus!“ Und Schroeder weist der Frau mit ausgestrecktem Arm den Ausgang, faselt von „Erwartungsmanagement“ und dünkt sich kreativ dabei: „Wenn man sich auf uns einlässt, dann weiß man nicht, was passiert, und das ist das Schöne!“Er irrt. Eine Einzelne der Menge zum Fraß vorzuwerfen, mag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk unerwartet sein, aber schön ist es nicht. Während ich mir das anschaue, empfinde ich Unbehagen – und unterdrücke es zunächst. Weil alle (mit)lachen. Anscheinend stimmt etwas mit mir nicht, fürchte ich. Auch ich muss das lustig finden, es gehört sich anscheinend so. Was sich „gehört“, bestimmen S&S und eine vage Vorstellung davon, was „man“ halt so tun, meinen, fühlen, anziehen und besitzen muss, um dazuzugehören zu der eingebildeten Gemeinschaft gleichgesinnter Coolness zulasten anderer.Niemand will sich dabei erwischen lassen, die begriffsstutzige Spaßbremse zu sein – oder gar als nächstes gedemütigt werden. Auch ich erstrebe im ersten Impuls reflexhaft die Zugehörigkeit in der Gang desjenigen, der das Sagen hat. Und das ist immer der mit der größten Klappe, der mit den verletzendsten Sprüchen, der mit den gewalttätigen Gesten und der latenten Bedrohlichkeit: Wie Florian Schroeder will ich es mir mit dem Anführer nicht verscherzen – nicht mal in Gedanken, allein vorm Video. Also versuche ich, beim Betrachten des Buddy-Getues der beiden nicht an 15-Jährige zu denken, die auf dem Schulhof die Underdogs gefügig halten. Erst später fällt mir (wieder) ein, dass an nach-unten-Treten nichts lustig ist. Und ich schäme mich.Wir applaudieren der eigenen BeschämungWieso lässt sich das Publikum, wieso lasse ich mich missbrauchen, damit die da oben auf der Bühne sich stark fühlen können? Wieso lassen wir noch die lahmste Bildungshuberei als Satire durchgehen? „Es ist wichtig“, belehrt etwa Schroeder, ohne uns einen auch nur hauchzarten doppelten Boden zu gönnen, „dass man lernt, mit Enttäuschungen umzugehen.“ Das suggeriert Triebkontrolle, obwohl die öffentliche Demütigung, die er betreibt, schamlos auf die Instinkte zielt. S&S leihen sich den Körper des Publikums, um sich darin auszubreiten, so dass kein Blatt mehr dazwischen passt: Wir sollen mit ihnen zusammenstehen, egal, was für einen Mist sie bauen. Zu diesem Zweck werden sogar zwei Gäste aus der ersten Reihe genötigt – Verweigerung gälte als humorlos –, den Platz der Comedians einzunehmen und die „Szene“ mit der unbotmäßigen Zuschauerin „nachzuspielen“, während S&S die Frau mimen und sie damit ein weiteres Mal lächerlich machen.So hängt das Publikum mit drin, wird zum Teil der Show. Denn S&S erwarten von ihren Fans nicht etwa, dass sie sich die Mühe machen, selbst zu denken – sondern Gefolgschaft. „Applaudiert der eigenen Beschämung“, lautet die Subtext-Anweisung. Der autoritäre Charakter funktioniert bestens, auch bei denen – oder gerade bei denen? –, die sich über derlei Herdenverhalten erhaben wähnen.Pfiffig wäre, wenn S&S&Co. diese Strukturen offenlegten, indem sie sich selbst und das Publikum beim Mitlaufen ertappen. Statt jedoch echte Erwartungs-Fallen zu stellen, mokieren sie sich über das Hereinfallen vermeintlich Unterlegener. Kratzen den eigenen Rücken, nicht an der eigenen Macht.„Wenn Sie alles Lachen abziehen, das auf Kosten von Dritten geht“, fragte Frisch, „finden Sie, dass Sie oft Humor haben?“ S&S&Publikum müssten wohl ehrlicherweise antworten: Nein. So kommt die Comedy auf den Hund: Alle gegen eine. Gemeinsam gegen Satire.Placeholder infobox-1
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