„Eine Demokratie muss wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden“ – das sei die Lehre nach der „Barbarei des Nationalsozialismus“. Oh ja, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist in seinem Element, beim Festakt zum 75. Jahrestag des Verfassungskonvents im Spiegelsaal des Neuen Schlosses am Herrenchiemsee. Im dortigen königlichen Ambiente wurde nämlich am 10. August 1948 der Entwurf erarbeitet, der als maßgeblich für das Grundgesetz gilt.
Gemeinsam mit den CSUlern Markus Söder und Ilse Aigner nutzt Steinmeier den Termin, um gegen die AfD mobil zu machen, ohne sie zu nennen. Vermutlich, um der gebotenen Überparteilichkeit des Amtes zu genügen. Leider steht zu fürchten, dass die Nebelkerze nach hinten losgeht, ja, dass den Rechtsaußen in diesem Land kaum Besseres widerfahren kann als solcherart historisch-betroffenes Herumtaktieren.
Zumal man sich zu gut daran erinnert, wie wehrhaft Steinmeier die Demokratie als Kanzleramtsminister verteidigte: indem er im CIA-Gefangenenlager Guantánamo Eingesperrte anscheinend kaltherzig ignorierte. Statt Augenhöhe wählt er auch jetzt Herablassung. Statt sich selbstkritisch an sein eigenes fragwürdiges Verhalten zu erinnern, erinnert er andere, aus dem damaligen Entwurf zitierend: „Wenn etwa allen Verhafteten ‚Sicherheit vor körperlicher und seelischer Misshandlung gewährleistet‘ wird, dann hallen hier auch noch die Schmerzensschreie aus den Folterkellern der Gestapo nach.“ Die Schreie der Gefolterten in Guantánamo hallen in seinem Kopf offenbar weniger laut nach.
Demokratie-Belehrung unter Kronleuchtern
Als Bundespräsident scheint Steinmeier so verliebt in das eigene Mahnen und Warnen, dass er dafür sogar in Kauf nimmt, Wahlkampf für die AfD zu machen, zumindest indirekt. Denn was sollen die Bürger davon halten, wenn sie anlässlich eines historischen Festakts kaum verklausuliert über Wahlentscheidungen belehrt werden? Die Anhänger der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremistischen Partei sind gewissermaßen abwesend anwesend in der festlichen Rede unter prunkvollen Kronleuchtern: als „Freiheitsfeinde“, als „Verfassungsfeinde“. Als „Agitatoren in öffentlichen Versammlungen oder selbst in Stadtrats- und Gemeinderatssitzungen“. Als „Verächter der Demokratie“. Mehr kostenlose Aufmerksamkeit für Rechtsextreme geht nicht.
So gerät der Festakt zur AfD-Werbeveranstaltung: für eine Partei, deren Bedeutung offenbar so groß ist, dass sie zum Elefanten im prunkvollen Porzellanladen des Grundgesetzes hochstilisiert wird. Anlässlich eines derart offensichtlich unredlichen „Nie Wieder“ können die Höckes und Weidels gar nicht anders, als sich, schon wieder, märtyrerhaft die Hände zu reiben, bevor sie fortfahren, auf Meinungsfreiheit pochend, an der Demokratie zu sägen. „Wir alle haben es in der Hand, die Verächter unserer Demokratie in die Schranken zu weisen“, betont Steinmeier. Aber wo sind sie, diese Schranken? Die Berichterstattung ist entzückt über die adlige Umgebung. Und darüber, dass sie mühelos die ungenannte Rechtsaußen-Partei heraushören und als Interpretationshilfe an die Bürger weiterreichen kann.
Kein Wähler könne sich „auf mildernde Umstände herausreden“, formuliert Steinmeier streng, als handle es sich bei Wählern um Verbrecher auf der Anklagebank, „wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen“. Ja, das wird den Wählern einleuchten: „Wir alle, jede Politikerin und jeder Politiker, aber eben auch jede Bürgerin und jeder Bürger – wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie, wir müssen sie schützen.“
Ist es wichtiger, die Demokratie zu schützen, oder zu den Guten zu gehören?
Ob jedoch die Demokratie schützt, wer lehrer- und richterhaft zugleich ein historisches Ereignis instrumentalisiert, darf bezweifelt werden. Bei einer Partei, die in Umfragen die SPD überholt und vielerorts mit der CDU mindestens gleichauf steht, wird die allzu oft beschworene „Brandmauer“ zum Fake. Denn es brennt ja nicht nur dahinter irgendwo, sondern überall. Zum Löschen wären Köpfe und Herzen zu gewinnen – nicht zu belehren. Schwierig, schon klar, aber steinmeierisch gut gemeinte Beschwörungen einer „wehrhaften Demokratie“, die fein säuberlich die Guten und die Schlechten sortiert, könnten eher als Brandbeschleuniger wirken. Weil pures Abschotten gegen schlimme Meinungen weniger der Demokratie als der eigenen Selbstgewissheit dient: zu den Guten zu gehören.
Wenn alle mitverantwortlich sind für den Zustand der Demokratie, trifft das auch auf den Bundespräsidenten zu. Der Aufstieg der AfD und der so genannten Politikverdrossenheit erfolgte in seiner Amtszeit, als Minister der Großen Koalition und als Präsident. Allfälliges Warnen und Mahnen scheinen es also nicht zu richten. Wäre es da vielleicht an der Zeit, die eigenen Waffen beim Verteidigen der Demokratie auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen?
Stattdessen gefällt sich der Bundespräsident mit einem Satz, der auch Reichsbürgern gefallen könnte: „Unsere Verfassung verliert ihre Gültigkeit an dem Tag, an dem sie uns gleichgültig wird.“ Wenn das stimmte, wäre mit Steinmeiers Unterlassungshandeln gegenüber dem angeblichen „Gefährder“ Murat Kurnaz, dessen Würde jahrelang angetastet wurde, „unsere Demokratie“ an ihr Ende gekommen. Sollte nicht jeder Bürger, auch der Bundespräsident, bei sich selbst anfangen, wenn er die Demokratie verteidigen will?
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