"Fick das Feuilleton, Alta!"

Eventkritik Während die Kritiker "Zeiten ändern dich" in der Luft zerreißen, lieben die Fans Bushidos Film. Unsere Autorin war mit der Zielgruppe im Kino

Ein Multiplexkino im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Anlaufstelle für die Kids aus dem Osten der Stadt. Hier, wo die Sneaker etwas greller glänzen und die Autos etwas tiefer liegen, steht eine Schlange von Teenagern vor dem Kino. Jogginghosen, wohin man blickt. Ihre Träger sind gekommen, um eine Biografie zu sehen, an der sich die Geister scheiden. Die Biografie von Bushido. Vom Feuilleton wurde Zeiten ändern dich von Bernd Eichinger und Uli Edel in den letzten Wochen gnadenlos niedergeschrieben. Von einem „müden Kleinbürgertheater“ und „hohlen Film“ schrieb die Zeit. Die Süddeutsche machte sich über den „dramaturgisch ziemlich misslungenen Aufsteiger-Film“ lustig. Kaum eine Zeitung, die die verfilmte Biografie des „Skandal-Rappers“ nicht verriss. Doch die Kids, die an diesem Abend vor dem Kino Schlange stehen, kümmern sich nicht ums Feuilleton. Dies ist keine Pressevorführung und am Ende warten auch keine Häppchen auf Journalisten. Hier geht die Zielgruppe des Berliner Rappers ins Kino.

Kevin zum Beispiel. Der ist zwar erst elf, aber in Begleitung eines Erziehungsberechtigten darf er sich heute den Film ansehen. „Einfach nur krass geil“ findet er Bushido und trottet mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und großem Coolness-Sicherheitsabstand Papa hinterher. Der hofft darauf, dass sein Sohn einfach noch zu jung ist, um Bushidos Texte, die zum Teil wegen menschenverachtender Inhalte auf dem Index stehen, wirklich zu verstehen. „Scheiß auf Abitur. Fick das Business. Spuck auf Pädagogen, Lehrer und Erzieher...“ Der berühmte Schulabbrecher weiß, was seine Fans hören wollen. Er hat es vom Berliner Ghetto bis ganz nach oben geschafft – als Role Model aller unterprivilegierten Problemkinder.

"Nutte? Is doch cool!", meint das Mädchen


Zeiten ändern dich ist ein vor Pathos triefender Film über Bushidos Vorstellung von „Ehre“ und „Respekt“. Mutti geht über alles. Aber auf der Straße wird gedealt und geprügelt. Böse-Buben-Spielchen verpackt im romantischen Gossenkitsch. Eine tiefergelegte Pilcher-Schmonzette mit Berliner Ghettovierteln statt schottischer Landschaften, besprühtem Waschbeton statt saftiger Wiesen und viel Proll-Bling-Bling statt Tweed und Perlen.

All diese kleinkarierten Kritikereinwände sind den Bushido-Fans herzlich egal. Es stört sie nicht, dass ihr Vorbild alles andere als ein guter Schauspieler ist. Ihnen ist egal, wenn Kritiker keinen Sinn in dem Film erkennen. Hier im Kino ertönen Bushido-Sprechchöre. Wenn der Deutsch-Tunesier erklärt, er sei „kein Kanake, den man das Klo runterspülen kann“, wird zustimmend gejohlt. Vereinzelt stehen die Leute auf und klatschen. Es wird gelacht. Und zwar anders als bei der Pressevorführung nicht über den Film. Sie finden es wirklich lustig, wenn Bushido seine wohlerzogene Freundin im spießigen Elternhaus auf dem Katzenfell nimmt oder der Tätowierer ihn fragt, ob er Mama „auf dem Schwanz tätowiert“ habe.

"War ja gar nicht so schlimm", findet der Vater

Die Kids im Kino gehen ab wie Bushido auf dem Katzenfell. Das andernorts eher verkannte F-Wort ertönt häufiger als „Danke“ oder „Bitte“. Als der neue Leinwandstar sich prügelt, schreit ein Mädchen von den letzten Reihen „fick sie, Alta!“. Später wird Kenan, 16, im Foyer erzählen, dass er sich wie Bushido „von der Gesellschaft gefickt“ fühle. Derlei gehört in Wandsbek zum guten Ton, und so meint Kevins Vater nach der Vorstellung fast erleichtert: „War ja gar nicht so schlimm.“

„Du spürst die Blicke und du weißt du bist hier nicht willkommen. Ich bin wie du und du wie ich, es gibt eine Hand voll wie wir“, rappt Bushido. Und auch, wenn der millionenschwere Rapper mittlerweile mit Mutti und Golden Retriever in einer Villa im gediegenen Berlin-Dahlem wohnt, sehen die Fans da oben auf der Leinwand einen von ihnen. Einen, der es geschafft hat. Einen, der die Schule geschmissen hat, der gedealt und Wände besprüht hat und dessen Leben jetzt vom weltbekannten Mainstream-Produzenten Bernd Eichinger verfilmt wurde. Bushido hat es allen gezeigt. Sein Film steht auf Platz zwei der Charts. Er hat sie alle „gefickt“. Auch das Feuilleton.


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