„AfD wählen!“, zwitscherte der Presseprecher der AfD am Abend des Münchener Amoklaufs euphorisch. Nach Wochen peinlicher Debatten über die Spalter-Fraktion in Baden-Württemberg wollen die Rechtspopulisten nun Kapital aus Terror-Debatten schlagen. Diese Hoffnung ist nicht unberechtigt. Schließlich war der „Krieg gegen den Terror“ einst wichtigster Geburtshelfer für die neue islamfeindliche Rechte in Europa. Mit undifferenzierten Pauschalurteilen in Medien und Politik wurde Islamhass salonfähig gemacht. Die unter dem Deckmantel der Terror-Bekämpfung vollzogene Entkernung der Grundrechten hat unsere Gesellschaft zugleich blind gemacht für die Kennzeichen autoritärer Regime. Es ist eine fatale Mischung.
Wer in der Geschichte der westlichen Welt fünfzehn Jahre zurückblättert, wird sich in einer mittelmäßigen Fantasy-Verfilmung wähnen. Eine „Achse des Guten“ erklärte einer „Achse des Bösen“ den Krieg. In einer überschaubaren, schwarz-weißen Welt wurde ein neuer „Kampf der Kulturen“ heraufbeschworen. Menschenrechte waren plötzlich nicht nur in Guantanamo und Abu Ghraib verhandelbar. Ausländische Studierende aus „verdächtigen Ländern“ mussten in Deutschland Gesinnungstest bestehen. Die Einführung eines „Feindstrafrechts“, Folter und Racial Profiling wurden auch hierzulande als legitimes Mittel des Rechtsstaats diskutiert. Die Rote Linie des Mach- und Sagbaren wurde seit 2001 radikal verschoben.
Stille Islamisierung?
Angst gegen einen äußeren Feind schweißt nicht nur politisch zusammen. Angst bringt auch Auflage und Quote. Das Vorabendprogramm zeigte ein Best-of der Anschlagsszenarien. Die eingeblendeten Bilder „potentieller Gefährder“ zeigen meist Menschen mit dunkler Hautfarbe, Frauen mit Kopftuch oder gleich den Betraum einer Moschee. „Mekka Deutschland: Die stille Islamisierung“ titelte der Spiegel im Jahr 2007. Heute ist das der Titel eines Buchs von Udo Ulfkotte, Vordenker der Neuen Rechten. Die politisch geschürte Angst vor dem Islam ist Teil unserer Popkultur geworden. In Action-Blockbustern lösten Araber den Russen als Gegenspieler ab. Und nach fast fünfzehn Jahren medial und politisch undifferenziert geführter Debatten wundern wir uns plötzlich, wenn eine deutsche Partei in ihr Grundsatzprogramm schreibt, „in der Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen“ sehe man eine „große Gefahr für unseren Staat“.
Nationalistische Parteien bekamen durch den Krieg gegen den Terror nicht nur den Boden der Angst bestellt, auf dem die Saat ihres Hasses optimal aufgeht. Sie werden aus dieser Zeit auch ein erschreckendes Waffenarsenal für die Durchsetzung ihrer Ideologie erben. Allmächtige Geheimdienste, Vorratsdatenspeicherung, Bundeswehr im Inneren: Beim verzweifelten Versuch, Stärke zu zeigen, hat die Politik sich von einer handvoll Terroristen die Entkernung der Grundrechte für die Bevölkerung diktieren lassen. Nach neuen Instrumenten zu rufen ist schließlich politisch allemal bequemer, als Ermittlungsfehler einzugestehen. Oder zu akzeptieren, dass das Märchen von der totalen Sicherheit jeglicher Realität entbehrt.
Der nun von der Bundesregierung vorgestellte Neun-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Inneren Unsicherheit wirft viele Fragen auf. Gefordert wird darin eine Aufstockung des Personals bei der Polizei, nicht jedoch bei Sozialarbeitern und Psychologen – obwohl fast alle Täter wegen psychischer Probleme in Behandlung waren. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren soll erprobt werden – dabei war selten so viel Lob für einen Einsatz der Polizei hörbar wie nach München und Ansbach. Internationaler Datenaustausch, mehr Geld, neue Befugnisse – die Geheimdienste lassen sich ihre Wunschlisten absegnen, obwohl die Wirksamkeit fraglich ist. Welchen Beitrag eine Behörde zur Entschlüsselung von Kommunikation beim Aufspüren von isoliert handelnden Einzeltätern leisten soll, wird nicht ersichtlich. Ein Schelm, wer dabei an die NSA und Snowdens Warnung denkt.
Handlungssimulation
In zahllosen Vorgänger-Debatten zeigt sich ein ähnliches Muster. Der Journalist Jürgen Leinemann zitiert in seinem Buch „Höhenrausch“ zum Umgang mit medialen Krisen einen namentlich nicht genannten Minister: „Dann musst du handeln, oder besser: du musst so tun als ob du das Problem lösen könntest. Meistens kannst du ja gar nix machen. Entscheidend ist also, welche Entscheidung du von dir in die Welt setzt, dass du also Handlungen vortäuschst. Denn das fragen doch immer gleich alle: hat er gehandelt?“ Das Problem mit derartigen Handlungssimulationen bei der inneren Sicherheit ist nur, dass sie im Gegensatz zu harmlosen Placebos langfristig der Demokratie schaden. Vor allem, wenn sie in derart großen Mengen unkontrolliert und wahllos als Allheilmittel verordnet werden.
Die bayerische Landesregierung fordert beispielsweise eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf E-Mails und soziale Netzwerke sowie die Verlängerung von Speicherfristen. Beflissentlich ignoriert wird hierbei, in welch wenig ruhmreiche Gesellschaft man sich damit begibt. Solche Gesetze sind der Traum eines jeden autoritären Regimes. Sie erlauben es, Opposition und Journalisten zu durchleuchten. Auch Geheimdienste, die sich nach und nach von der parlamentarischen Kontrolle abkoppeln, haben sich dort bewährt.
Der Krieg gegen den Terror hat Instrumente, die wir einst als Charakteristika von repressiven Regimen kannten, für Demokratien salonfähig gemacht. Die Gesetzgebung bei der inneren Sicherheit schrammt im Krieg gegen den Terror in Hochgeschwindigkeit an der Leitplanke des Grundgesetzes entlang. War es in den 50ern noch ein Affront, wenn ein Gesetz vom Verfassungsgericht in Karlsruhe kassiert wird, gehört es heute zur Normalität. Sollte jemals wieder eine rechte Partei in Deutschland an die Regierung kommen, wird sie nicht zögern, sich dieser Überwachungsinstrumente zu bedienen.
Die Geister, die man rief
Hätte eine rechte Partei die Vorratsdatenspeicherung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken durchgewunken, wäre der Aufschrei groß gewesen. Das ist die eigentliche Tragik: Es sind die Parteien der Mitte, die im Zuge eines vermeintlichen „Krieges gegen den Terror“ in ganz Europa das Waffenarsenal der aufstrebenden Rechten bestücken. Diese Mittäterschaft beim Abbau der freiheitlichen Gesellschaft wird es nahezu unmöglich machen, die Geister, die man rief, unter neuer Regierung zurück zu rufen. Man stelle sich nur die NSA unter Trumps Präsidentschaft vor. In einem solchen schlüsselfertigen Überwachungsstaat braucht man nur noch die Definition des „Terroristen“ zu ändern. Was an Überwachung fehlt, kann an der Macht bequem nachgerüstet werden. Das Grundprinzip, nach dem Grundrechte in Krisenzeiten verhandelbar sind, haben wir schließlich bereits geschluckt.
Grundrechte? Wer jahrelang erlebt hat, wie Bürgerrechtler als Terror-Beihelfer durch den Dreck gezogen wurden, wird eine ähnliche Argumentation bei einer rechten Regierung nicht anzweifeln. Parlamentarische Kontrolle? Wer erlebt, wie die Verstrickungen des BND beim NSA-Skandal bis heute nicht aufgeklärt wurden, der wird verschwundene Beweismittel und einsilbige Zeugen auch unter einer rechten Regierung als Normalität abtun. Verhältnismäßigkeit? Wenn Volksparteien Grundrechtsabbau mit einem ausgedachten „Supergrundrecht auf Sicherheit“ rechtfertigen, werden Regierung der Neuen Rechten sich ähnlicher Parolen bedienen.
Tatsächlich tun sie das bereits heute unter dem Deckmantel der Terror-Bekämpfung – um ihre Macht zu festigen. Das neueste Anti-Terror-Paket der nationalistischen PiS-Regierung in Polen soll dem Inlandsgeheimdienst mehr Macht geben. Neue Datensammlungen werden erschlossen. Hürden für Abfragen von Bürgerdaten durch Polizei und Geheimdienste wurden gesenkt. Doch bei aller Brutalität kann man nicht sagen, dass ein solches Vorgehen allein eine Eigenheit rechter Parteien wäre. Bereits die Vorgängerregierung hat 2015 rund zwei Millionen Abfragen von Vorratsdaten für unbedenklich befunden. Mit Hilfe der Daten wurden auch Journalisten ausgeforscht.
Vorratsdaten "linker Gesinnungsterroristen"
Im Zuge des europäischen Rechtsrucks drängen in ganz Europa Parteien mit einem autoritären Verständnis von Staat in die aufgerüsteten Maschinenräume der Macht. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was die AfD mit den Vorratsdaten „linker Gesinnungsterroristen“ und der „Lügenpresse“ anfangen würde? Glauben Sie, eine Partei wie die AfD würde Instrumente wie den Staatstrojaner nutzen, um endlich mit dem „links-rot-grün versifften 68er-Deutschland“ aufzuräumen? Und wen wird ein bereits heute auf dem rechten Auge blinder Verfassungsschutz dann schützen?
Die Väter des Grundgesetzes hatten in ihren Beratungen die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte vor Augen. Die Würde des Menschen kennt daher keine Religion, und auch Herkunft bedeutet ihr nichts. Grundrechte sind nicht zuletzt Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Im Krieg gegen den Terror wurden jedoch nachträglich Machtinstrumente autoritärer Regime adaptiert. Der Bevölkerung wird vermittelt, das sei notwendig in Zeiten des Krieges gegen den Terror. Doch macht uns das wirklich sicherer? Ganz Europa hat lange Zeit erfolgreich verdrängt, das die Demokratie auch inneren Bedrohungen standhalten muss. Dabei hätte man gerade in Deutschland wissen müssen, wie zerbrechlich eine Demokratie sein kann.
Die Saat, die im Krieg gegen den Terror ausgebracht wurde, geht nun auf. In den USA stellt Trump Muslime unter Generalverdacht. Auch AfD-Vize Gauland will das Asylrecht für Muslime aussetzen. Gruppen wie der IS wiederum frohlocken über solche Reaktionen. Ein geschürter „Kampf der Kulturen“ macht sie zum medialen Daueraufreger und treibt ihnen neue Ausgegrenzte und psychisch Verwirrte in die Arme. Der Krieg gegen den Terror kann so nur verloren werden. Das größte denkbare Attentat auf die Demokratie ist schließlich geglückt, wenn ein Werkzeugkasten für den autoritären Staat geschaffen wird. Unser Immunsystem gegen autoritäre Regime, den Terror von innen, wird so nach und nach heruntergefahren. Der Krieg gegen den Terror ist längst zum Krieg gegen die freiheitliche Gesellschaft verkommen.
Katharina Nocun arbeitet als freie Beraterin für NGOs
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