Max, Training, Auto?

Die Helikoptermutter Für unsere Kolumnistin kommt der Herbst immer ungelegen. Alles mit Licht und Daunen ist verschlampt, geklaut, zu klein. Und der Kapitalismus ist ein windiger Typ.
Ausgabe 40/2018
Es gibt kein falsches Wetter, nur die falsche Kleidung. Die will aber erstmal gefunden werden
Es gibt kein falsches Wetter, nur die falsche Kleidung. Die will aber erstmal gefunden werden

Foto: imago/Photocase

Nur die Tüchtigsten werden überleben, meinte Darwin, ich bin mir aber unsicher, ob der Evolutionsbiologe sich in diesem Zusammenhang für oder gegen die voll funktionsfähige Funktionsjacke ausgesprochen hätte. Jetzt im Herbst muss die wettertaugliche Montur teils komplett neu angeschafft, teils ersetzt werden, weil verbummelt oder verschlampt, kaputt oder geklaut. Goldener Herbst! Die Drachen fliegen, stürmisch wird’s, die Tage fliegen, es wird früher schummrig und morgens später hell. Für diverse Fahrradtrips (Arbeit, Schule, Einkaufen, Sport), die in der Dämmerung beginnen und in kompletter Finsternis enden, brauchen jetzt vier Familienmitglieder dringend eine verkehrssichere, warme Ausrüstung.

Innovativ bist du, Kapitalismus, es macht Spaß mit dir, aber du bist eben auch zwielichtig, ein windiger Typ, du lügst immer noch so, als würde alles stetig besser werden. Zwei Erwachsene, zwei Kinder, vier Fahrräder. Ich dekliniere mal durch. Macht acht Fahrradlichter, viermal weiß, viermal rot. Die Helikoptermutter muss den Auftrag an sich selbst möglichst simpel formulieren, die Fahrrad- (und Bekleidungs-)technik ist schon kompliziert genug. Für eine vernünftige Lampe, welche die StVO erlaubt, veranschlagt die Helikoptermutter eine halbe Stunde Internetrecherche, um dann doch den ganzen Abend mit Preis- und Qualitätsvergleichen zu verplempern, oder: weil sie zu geizig für den Bezahlartikel von Stiftung Warentest war. Seit Aufhebung der Dynamopflicht im Jahr 2013 rüstet die Industrie jedes Jahr weiter um und auf, es gibt so viele schlaue Leuchten (mit Standlicht!), und wir brauchen sie!

Genug Drohkulisse. Spätestens nach der ersten Orkanböe hat unser Haushalt das Meiste. Seit ein paar Monaten sogar schon die akkubetriebene, batterienfreie Hightechlampe (raten Sie mal, in wessen Besitz). Sie wird mittels Halterung am Fahrrad befestigt und kann leicht an- und abmontiert werden, was man dann auch tun sollte, sonst ist sie weg. Nix Internet. Das Akku-Ding hat er direkt beim Fachhändler erworben. Preis? „Du willst nicht wissen, was die kostet.“ Wir anderen haben den Anklemmschrott aus dem Ein-Euro-Shop, billig, sehr unökologisch. Raten Sie mal, wem das genügt? Der Helikoptermutter. Ihre mit klassischem Dynamo betriebene Lichtmaschine braucht vielleicht irgendwann noch der Filmausstatter für ein Vorkriegsepos. Er läuft angeklemmt am Reifen, betrieben über den direkten Kontakt zum Radmantel, sechs Volt Leistung bei beherztem Tritt in die Pedale. Das verdammte Problem: Bei Regenwetter und über nasse Blätter funktioniert er schon nicht mehr, da hat es gerade erst angefangen zu dämmern.

Genug gewettert. Solange es nicht regnet, läuft jetzt alles ziemlich rund. Wären da noch die Fahrradhelme. Im Idealfall gehen wir abends schon durch, wie Sokrates seine Gedanken, wo einer heute liegen geblieben sein könnte. Bei Max? Im Training? Im Auto? Wenn wir Pech haben, und meistens ist das der Fall, stellen wir Fragen über den Verbleib des Helms just erst dann, wenn das Kind ihn braucht. Dann kann man ihn getrost abschreiben. Zum Trost fällt dem Kind nun auf Anhieb ein (etwas nachgeholfen hat die Androhung ganzjähriger Aussetzung des Taschengeldes), wo die vor vier Tagen erst gekaufte voll funktionsfähige Funktionsjacke sein könnte: Vielleicht in der Schulfundkiste im ersten Stock. Könnte sein. Wenn das Kind da dranbleibt, findet es vielleicht nicht die Jacke oder den Helm, jedoch die Trinkflasche.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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