Billig kann teuer werden

Kinderbetreuung Eltern, Erzieher und Politik träumen von der eierlegenden Wollmilchsau. Ein Schuss Realitätsnähe stünde dem Tauziehen um den Kitaplatz gut zu Gesicht
Keiner sollte draußen bleiben müssen
Keiner sollte draußen bleiben müssen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die staatliche Kinderbetreuung in der ehemaligen DDR war angeblich vorbildlich. Wie neoliberal diese eigentlich funktionierte, daran sollte man im Zuge aktueller Kita-Debatten erinnern. Aber von vorne: Am Wochenende demonstrierten in Berlin Tausende für mehr Kitaplätze, ein höheres Gehalt für ErzieherInnen und bessere Arbeitsbedingungen. 3.000 Betreuungsplätze fehlen derzeit in der Hauptstadt, auch die Wartelisten andernorts sind lang. Grotesk ebenfalls, dass Erzieher ihre Ausbildung oft selbst zahlen müssen oder schlechter bezahlt werden als in Brandenburg. Berlin boomt bekanntlich, der Kampf um den Betreuungsplatz erinnert stark an verzweifelt Wohnungssuchende, wenn Eltern mit Bewerbungsmappen anrücken oder mit Erdbeerkuchen, um sich Vorteile zu verschaffen. Ob es hilft? In der DDR kriegte man zwar die Dachpappe nur mit Vitamin B, aber beim Kitaplatz gab's kein Gemauschel, ehrlich!

2018. Niemand spricht mehr von Herdprämien, aber die ganz normale Vereinbarung von Familie und Beruf, die Kita als Bildungsstandort für alle Kinder unabhängig von der sozialen Herkunft – das alles klappt hinten und vorne nicht im reichsten Land Europas. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung fand nun heraus, dass sich Kitagebühren nicht nur je nach Bundesland stark unterscheiden. In Berlin kostet die Kita beispielsweise nichts, während Eltern in Kiel schonmal mehrere Hundert Euro berappen müssen. Die Studie belegt auch, dass Eltern mit geringem Einkommen relativ ungleich höher belastet sind als Besserverdiener-Eltern.

Will man sagen: Da war es in der DDR doch besser! Angefangen bei den arbeitnehmerfreundlichen Öffnungszeiten von 6 Uhr bis 18 Uhr. Wer arbeitet und Kleinkinder hat, weiß zwar, wie gar nicht gut das geht, Kinder frühmorgens anzutreiben, aber: Kein Jammern, es geht. Es ging ja auch in der DDR, Life-Work-Balance war damals als Fremdwort noch nichtmal erfunden. In der DDR befanden sich viele Kinder zehn und mehr Stunden in Krippen, Kindergärten oder Schule und Hort. Die Mütter in Vollzeit, Teilzeitstellen gab es kaum. Den Haushalt hatten sie hinterher trotzdem, hört man. Egal, es war für eine bessere Gesellschaft und richtig so: Westfrauen erwarten heute kaum Rente, logisch, rein rechnerisch.

Gibt es einen Sozialismus mit neoliberalem Einschlag? Es gab in der DDR jedenfalls Wochenkrippen. Hier wurden Babys und Kleinkinder von Montagmorgen bis Freitagabend betreut. Da hatte man im Westen nur das Elite-Internat. War natürlich teurer. Die Auslastung in Großstädten der DDR lag bei fast 100 Prozent. Ein Kinderkrippenplatz kostete 25 Mark im Monat.

Klingt doch perfekt. Ohne Effizienz konnte in so einer Einrichtung natürlich nicht gearbeitet werden. Kleinkinder wurden generalstabsmäßig von der Windel befreit, mit dem so genannten Töpfchentraining. Mittagsschlaf war Pflicht. Individuelle Pädagogik – dafür blieb keine Zeit. Dafür aber für staatliche Erziehungsprogramme und die Freundschaftslieder zu Ehren des Bruderstaates Russland. Es war ein tougher Job für die Erzieherinnen, für die Kinder sowieso. Wieviele von ihnen heute diese verschüttete Zeit psychologisch aufarbeiten, darüber würde man auch gerne eine Studie lesen.

Die Politik nennt den Kindergarten hartnäckig eine Bildungseinrichtung. Das reichste Land Europas spricht viel von Chancengleichheit. Aber meistens ist der Tag lang. Im Prinzip nämlich wird die eierlegende Wollmilchau propagiert: Eltern haben per Gesetz ein Anrecht auf einen Kitaplatz. Ein guter Betreuungsschlüssel muss sein, niemand will die alte Aufbewahrungsstätte à la DDR. Es darf alles nichts kosten, aber ErzieherInnen müssen vernünftig bezahlt werden. Einrichtungen mit Privatgebühren gehören verboten. Wenn schon kein Platz oder ein schlechtes Angebot, dann aber gerecht verteilt für alle.

Eine Binse ist: Was nichts kostet, erfährt wenig Wertschätzung. Oder: Billig kann teuer werden. Deshalb: für fair gestaffelte Kitagebühren und ein anständiges Erziehergehalt!

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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