Das Innovationsfreud-Ich lobt die Handykette!

Die Helikoptermutter Unsere Kolumnistin begegnet modisch-funktionalen Trends mit Skepsis und Verständnis gleichermaßen
Ausgabe 16/2019
Wieso eigentlich Kette? Man kriegt die Dinger doch auch anders um den Hals
Wieso eigentlich Kette? Man kriegt die Dinger doch auch anders um den Hals

Foto: Mario Tama/Getty Images

Kollegin L. recherchiert seit einer Weile nach einer stylischen „Handykette“. Bis vor Kurzem hätte ich nicht wissen wollen, was das ist. Wenn andere das Zeugs schon unbedingt haben müssen, frage ich mich noch, wie es so weit kommen konnte. Zum Beispiel weiße Turnschuhe. Sind modisch nicht mehr wegzudenken, warum um Himmels willen? Und wie konnte Reebok diese Saison zurückkommen? Bei Reebok denkt man doch an die alten Tennisschnösel vom Gymnasium.

Auch das Wort „Handykette“ stößt mir immer noch auf. Ich stelle mir das hässliche Schlüsselband vor, welches sich mein Mann umbindet, als stünde er selbst während der Arbeit auf irgendeinem Trainingsplatz und erteilte wichtige „Befehle“. So viel zum Wort. Von der Sache her bin ich bei Handyketten im Berliner Silicon Valley, dem Bezirk, wo derlei Gadgets zwar nicht entwickelt werden, denn er ist nur ein gigantisches Freiluftlabor für Testphasen während der Markteinführung. Sie ahnen es, ich meine den Prenzlauer Berg. Frauen wie Männer gelten hier als „innovationsfreudig“, anders gesagt, ihnen ist nichts peinlich.

In ebendiesem Prenzlauer Berg erblickte Kollegin L. nun ein größeres Aufkommen an jenen Ketten. Braucht die „Mum“ (inzwischen ist die Bevölkerung da ja überwiegend englischsprachig) das wirklich?, will ich von L. wissen und weiß, wie ungerecht ich bin. Denn, Asche in meinen Kinderwagen, es gab eine Zeit, da hätte mich so eine Handykette schon gereizt, genauso wie eine Hüfttasche aus Polyester mit Klettverschluss (also die Weiterentwicklung der Herrenhandtasche). Nicht auszudenken, dass auch die zurück sind und von doofen It-Girls gezeigt werden, eventuell von Topmodel Lena Gercke, die sich aktuell ein Loft für 1,3 Millionen, in, genau: Prenzlauer Berg kaufen will. Las ich gestern beim Friseur, in?, genau: Glamour, wo?, genau: Prenzlauer Berg. Werden wir demnächst die Gercke in der Wichertstraße sehen? Mit Handykette? Englisch sprechend? Bestimmt! Denn nun weiß es ja auch schon Glamour: „Smartphone-Hüllen zum Umhängen entwickeln sich gerade zum heißesten Trend-Piece des Sommers“ – Okay, dass das Letzte, was mich interessiert, eine Kette fürs Handy war, die man sich wie einen Brustbeutel umhängt, an der das Handy dann hängt, statt wie sonst in einem XXL-Shopper, also einer albern großen Tasche, rumzuliegen, liegt natürlich daran, dass die Helikoptermutter nicht mehr mit einem Kinderwagen fahren muss, bei dessen Lenkung sie keine Hände frei hat, schon gar nicht, wenn rechts ein Americano in einem recycelbaren Becher getragen wird. In ihrer Zeit gab es keine „Coffeeholder“ oder sonstigen „Organizer“, ja so heißt die Anhängetasche der Marke Babylove für den Lenker bei dm, ein „Must-have“ meint Bea82. Ich bin ja so froh, dass die Zeit des Kinderwagens (wäre ein Buchtitel) hinter mir liegt. Die Kinder haben einen eigenen Hausschlüssel, der an „Badges“ befestigt ist, sie haben Handys, die an nichts baumeln, weshalb sie dauernd verlegt werden. Ist aber okay. So okay wie L. mit ihrer Handykette. Sie findet die Dinger eben praktisch und stylisch. „Die schönsten Exemplare kommen aktuell von jungen deutschen Labels“, weiß Glamour. „Xou Xou Berlin versieht seine transparenten Smartphone-Cases mit bunten, längenverstellbaren Stoffkordeln ...“ Nimm die mit der Stoffkordel, rate ich L.

Reebok gehört seit 2006 Adidas, erfahre ich. Denke, ich besorge mir bald welche.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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