Der Duft der weiten Welt

Mondän Im Secondhandladen weht ein seltsam urbaner Wind, eben so gar nicht urban

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Schon seltsam. In diesem Laden für Kinder und Frauen steht die Luft, wenn man eintritt, wie im Schrank im nicht mehr genutzten Kinderzimmer zu Hause, darin noch ein paar Kleider der Mutter aus den 60ern, die damals trotz Polyester repräsentierten, wie offen die Welt vielleicht doch noch steht, trotz Schwangerschaft mit 21 Jahren. Es muffelt wie damals in den Secondhandläden Berlins, als man auf Besuch war und ehrfürchtig in Kreuzberg das Kaufhaus für gebrauchte Klamotten zum Kilopreis durchstöberte, auf der Suche nach vielleicht Sixties-Kram einer Fremden, die mal wild sein wollte und jetzt war man selbst 19 Jahre und in der festen Zuversicht, die Welt stünde offen, wenn der Kragen am Kleid nur verführerisch spitz genug wäre, für heute Abend, in der großen Stadt.

Natürlich müsste man die Trouvaille sofort waschen, mit dem Fön trocken kriegen, trocken bügeln, dass es dampft oder könnte man das Kleid in den Backofen legen? Denn immer wollte man sich nach dem Verlassen so eines Ladens unbedingt sofort die Hände waschen, und immer noch, als man Jahre später auf einem Flohmarkt zum Beispiel einen Jil-Sander-Blazer oder Kaschmirpullover der unbekannten Mondänen aus Zehlendorf kurz anprobiert hatte und man sich selbst so langsam in Richtung improvisierter Gesettletheit orientierte, man war ja schon im Job.

Was aber noch mehr Wunder nimmt, ist diese überhaupt altmodische, analoge Atmosphäre in diesem Second Hand. Es sind doch moderne Mütter, die das Markengemisch aus H&M, C&A und Tchibo, dem ihre Kinder schon wieder entwachsen sind, mit Weichspüler gewaschen, schön gefaltet und sortiert in diese Läden bringen. Meist sind das in diesem Kiez ja die Mütter, die es gar nicht nötig hätten, so finanziell, dieses Second-Hand-Ding aber machen, weil man irgendwie einen Geschäftssinn hat und weil es ja irgendwie auch ethisch ist und nachhaltig, wenn die Dinge im Umlauf bleiben und manches hat so verwaschen ja erst seinen Reiz. Sachen, die mal richtig teuer waren, gibt’s interessanterweise jedoch nie. Sicher wissen die geschäftstüchtigen Frauen, dass Ebay mehr bringt, wenn kein Geschwisterkind erben kann.

Also moderne Frauen mit modernem Lebensstil kommen rein und drinnen herrscht auf den Stangen sowieso Durcheinander, aber besonders an der Ladentheke ein Durcheinander, als hätte die Ladenbesitzerin, die ja vielleicht eine Mutter ist, die sich mit Kind nun beruflich umorientiert hat, noch nie einen Computer gesehen. Da werden die Kleinstbeträge der Preise samt Datum des Ankaufs umständlich auf Preisschilder notiert und an das verwaschene T-Shirt für vier Euro angehängt, mit irgend einem grad greifbaren Kuli, der unter einem wackligen Stapel Kleiderbügeln liegt, den man zur Seite schieben muss, der dann zusammenfällt neben die Tüte, die übervoll ist mit Textilien, um Platz zum Schreiben zu haben. In einem staubigen Kästchen liegt lauter Zettelkram, Telefonnummern von Kunden, die man vermutlich nicht findet, wenn man sie braucht und Kärtchen von Gummistiefeln mit Marienkäfern drauf zum Beispiel, die eine Mutter, die sie grad eben gekauft hat, vielleicht doch noch umtauschen will. Es gibt aber tatsächlich eine EC-Maschine. Dran ist ein Post-it gepappt, mit einem bizarren handschriftlichen Hinweis irgendwelcher Abbuchungsmodalitäten, die nur freitags stattfinden, mit EC-Karte zahlen geht sowieso erst ab zehn Euro, Ausrufezeichen.

Eine Frau steht da mit einem kleinen Haufen wirklich unmodernen Textilzeugs beim ersten Blick auf die drögen Farben und neurotischen Muster. Vielleicht, denkt man, will sie sich vorbehalten, diese schlimme Bluse da doch noch umzutauschen, die sie jetzt noch schön findet, also muss man das grade abgeschnittene Preisschild, das hätte sie vorher sagen müssen, sagt die Aushilfe noch, also das Schildchen, das schon im Zettelkasten verstaut ist, wieder suchen, damit man das Etikett für die Troddelbluse dann wieder findet. Sie gehört ja noch der Besitzerin, die ihr Zeug auf Kommission abgegeben hat und sich wunderte, dass diese eigentlich immer schon unmögliche Bluse mit angenähten Textilstreifen überhaupt Aufnahme fand in den Fundus.

Aber wer weiß, vielleicht glänzt die Käuferin ja doch an einem Abend mit diesem bemerkenswerten Stück, vielleicht ist genau diese Käuferin hier auch die Entwicklerin einer praktischen Software für Second-Hand-Läden, die bald in die Testphase kommt, berlinweit, bald national, dann auch international Anwendung findet. Und dann ist sie reich und kann sich zum Beispiel in New York beim Edel-Second-Hand eine irrsinnswahnsinns-hässliche Bluse kaufen, die Welt dafür stünde ihr offen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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