Der Schatten des Feminismus

Debüt Erfolgreich zu sein, ist für eine junge Frau eine Chance, die später zur Last - oder gar zur Psychose - werden kann. Julia Decks Verwirrstück „Viviane Élisabeth Fauville“
Ausgabe 33/2013

Der Manierismus hat unter uns Lesern nicht viele Freunde. Der Grund ist einfach, er ist anstrengend und er ergibt sich nicht immer zwingend aus seinem Gegenstand. In Julia Decks Debüt Viviane Élisabeth Fauville klingt der Manierismus so: „Bis um zwei Uhr nachmittags sind Sie mit Formalitäten beschäftigt, die den Umzug, die Scheidung, das Kindergeld für Alleinerziehende betreffen.“

„Sie sind der Kollateralschaden eines Verbrechens, und Sie können es nicht fassen“, heißt es woanders. Wer spricht da? Ist das ein verqueres Selbstgespräch? Ein metaphysischer Richter? Viel Brimborium, aber man folgt dann doch interessiert, öfter angestrengt, fühlt sich jedenfalls adressiert, schließlich könnte jeder Frau Gleiches widerfahren. Natürlich würde man dann nicht gleich seinen Psychoanalytiker umbringen, wie Viviane es getan hat. Vielleicht getan hat. Sie irrt zwischen Realität und Wahn und versichert sich und dem Leser, dass sie ihren Therapeuten wirklich auf dem Gewissen hat, nämlich „mit einem Messer der Marke Henckels Zwilling, Serie ,Twin Profection‘, Modell ,Santoku‘“.

Wenn es Mord war, dann einer im Affekt. Die Therapie hatte Viviane nur noch mehr Verzweiflung gebracht, am Unerträglichsten war dabei, dass sie vom Analytiker mit perfider Liebenswürdigkeit behandelt wurde, als sei sie eine verachtenswerte Person und ihr Anliegen läppisch.

Man weiß also nicht, was der Fall war, und soll verwirrt werden. Immerhin, es laufen Ermittlungen. Viviane wird aufs Kommissariat geladen und wieder entlassen. Diese Mutter ist zwar etwas seltsam, mögen die Polizisten gedacht haben, aber sie hat kein Tatmotiv. Aber warum spürt sie dann den anderen Tatverdächtigen auf, lockt einen von ihnen böse in den Verlust der Selbstkontrolle? Julia Deck entwirft eine Person, die man unsympathisch finden kann, vielleicht auch krank, paranoid, einen Menschen jedenfalls, der nicht zu fassen ist. Nein, man kann sich für diese Viviane nicht erwärmen, schon gar nicht, wenn sie ihr Baby in einem Hotel mit Beruhigungspillen ruhigstellt, sollte es sich denn so zugetragen haben. Auch die „Ehehölle“, durch die sie gegangen sein will, bleibt blass, ungreifbar. Die Handlung spukt und geistert herum, Freud-Spielerei inklusive.

Letzter Ausweg

Aber es steckt noch eine andere Geschichte in diesem Buch, das gleichsam das Komplementärstück zu Bitterfotze (2009) von Maria Sveland bildet. Sveland erzählt in ihrem Skandalroman von einer jungen Mutter, Sara, die schimpft und nervt und anprangert und aus ihrer Frustration keinen Hehl macht. Mann und Baby unterwandern ihren Feminismus. Das Buch trägt die bittere Erkenntnis: In der Praxis sieht Emanzipation immer noch anders aus. Ähnlich geht es ja Viviane. Sie ist attraktiv, hat einen tollen Job, einen Mann, ein Kind. Alors? Wie bei den frustrierten Upper-Class-Hausfrauen aus Mad Men ziemt sich in dieser komfortablen Situation die Artikulation von Unzufriedenheit nicht, letzter Ausweg: der Psychoanalytiker. Und heutzutage klingt Feminismus ja schon deshalb frustriert, weil es einen Konsens über Fragen der Gleichberechtigung gibt. Streit und Sorgen im Kleinklein sind kein Garant für eine gute Performance, geschweige denn Stoff für große Literatur.

Was die Nöte der Frau nicht kleiner macht. Wem sollte man das erzählen, wenn schon der Psychoanalytiker entnervt abwinkt? Nehmen wir also an, Viviane trauert um ihr altes Leben, die Karriere, ihre Jugend. Nehmen wir weiter an, sie fürchtet, ihren Mann wegen einer Jüngeren zu verlieren oder weil dieser bei allem Goodwill eben auch entnervt ist und die Flucht ergreifen könnte. Stark, strahlend und erfolgreich zu sein, ist für eine Frau in der Jugend eine Chance und später eine Herausforderung, wie man sie sich im schönen Paris erbarmungslos vorstellt. Am Ende steht dann die Psychose, oder der Roman einer Psychose. Manierismus ist da schon am Platz.

"Viviane Élisabeth Fauville" von Julia Deck, Anne Weber (Übers.), Verlag Klaus Wagenbach 2013, 144 S., 16,90 €

Katharina Schmitz ist freie Literaturkritikerin

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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