Diskursverschiebung erfolgreich

AfD Eine Waldorfschule nimmt das Kind eines AfD-Politikers nicht auf – und das ganze Land diskutiert. Dass daran nichts Außergewöhnliches ist, geht dabei völlig unter

Sagt Ihnen der AfD-Politiker Ronald Gläser etwas? Vermutlich gerade nicht. Es gibt so manche demokratisch gewählte „AfD-Originale“, die in unangenehmer Form von sich reden machen und dann innerhalb der Social Media-Halbwertszeit verfallen. Der Bürger hat genug damit zu tun, die Aktionen der AfD erst mal in seinem Umfeld zu beobachten, ansonsten gilt bekanntlich am Stammtisch und bundesweit die inoffizielle Empfehlung: Nicht über jedes Stöckchen springen! Skandale helfen der AfD, gekämpft wird besser auf demokratischem Boden, also rein in die Grundsatzdiskussionen und auf sie mit Paragraphen, die haben gewiefte Anwälte, wir kommen mit Juristen oder mit Cem Özdemir, der für seinen denkwürdigen Parlaments-Furor im Februar vor ein paar Tagen den Preis „Rede des Jahres 2018“ erhielt.

Doch noch mal zu Gläser. Er war Vorsitzender des Berliner Ausschusses für Kommunikationstechnologie und Datenschutz. Er hatte auf Twitter Ausschnitte des geleakten Haftbefehls gegen einen Mann veröffentlicht, der verdächtigt wurde, in Chemnitz einen Mann erstochen zu haben. Es kostete ihn die Position. Gleichwohl hat die AfD damit das Recht auf den Ausschuss-Vorsitz nicht verloren, ein AfD-Mann sitzt nun auf diesem Posten, so läuft das in der Demokratie. Aber wer genau wird es sein? Man muss googlen. In welchen Ausschüssen die AfD ihre Leute überall demokratisch installiert hat, bemerkt der Bürger oft erst dann, wenn er direkt betroffen ist, wie zum Beispiel in Bayern, dort ist Markus Bayerbach zum Vorsitzenden des Bildungsausschusses gewählt worden. Und was macht der Bayersbach so? Müsste man googlen.

Berliner dagegen müssen dieser Tage nicht lange herumsuchen, die Meldung ploppt ihnen gewissermaßen direkt aufs Smartphone. Es gibt einen neuen Skandal, an einer Waldorfschule. Dort wurde dem Kind eines AfD-Abegordenten die Aufnahme verwehrt. Die Affäre ist ein Klickbaiting-Ding, viele empören sich über diesen Ausschluss, aber unter den Tisch fällt, dass die Schule einfach von ihrem Recht Gebrauch gemacht hat, aufgrund einer langen Warteliste eine Auswahl zu treffen. Nur 30 der 140 Bewerber wurden genommen. Privatschulen haben dieses Recht. An der evangelischen Schule hatte man meinen Sohn damals auch nicht genommen. Ohne Angabe von Gründen. War etwa mein Querflötenspiel zu holprig?

Kommentarforen voll mit Empörung

Ungeschickt von der Schule war sicherlich, die AfD-Problematik als Grund zu benennen, aber kann man der Schule vorwerfen, dass sie im Umgang mit der AfD noch keinen Modus gefunden zu haben scheint, der sie unangreifbar macht? Die Schule hat sich die Entscheidung offenbar nicht leicht gemacht. Und man würde eigentlich auch gerne wissen, warum besagter Vater unbedingt diese Schule für sein Kind will, wenn die dort gelebten Werte eher nicht mit seiner Weltanschauung übereinstimmen (oder tun sie es doch?). Es ist seine Partei, die massive Probleme mit dem Datenschutz hat – man denke an den in mehreren Bundesländern, zuletzt in Niedersachsen, von der AfD initiierten "Lehrerpranger". Wollte der Vater wirklich nur eine gute Schule für sein Kind? Oder nicht auch ein wenig provozieren? Man darf daran zweifeln. Zumal an Waldorfschulen die Eltern der Kinder das Schulleben normalerweise mitgestalten. Es ist die Philosophie.

Das Kalkül geht jedenfalls auf. Und die AfD stellt inzwischen schon ihr Vokabular zur Verfügung. Von Sippenhaft und Diskriminierung ist die Rede. Die Headlines zu dem Vorfall folgen sowieso den Gesetzen des Boulevards. Und weil sich so mancher Leser seine Meinung anhand der Titelzeile bildet, sind diverse Kommentarforen voll mit Empörung. Keiner will die AfD, aber Sippenhaft will man natürlich auch nicht. Heißt: Die Diskursverschiebung der AfD hat wieder funktioniert. Die Schule steht am Pranger, auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres wollte sich nicht hinter die Schule stellen, sondern die Affäre lieber verkürzt ins unterbelichtete Licht rücken. Das ist nicht gut, es geht inzwischen um den Schulfrieden in Deutschland. Deshalb müssen wir jetzt auch noch mal dringend vom "Lehrerpranger" der AfD sprechen. Mit Juristen.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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