Die falsche Angst vor dem Richtigen

Skepsis Keine Lust auf eine Rote-Flecken-Epidemie? So lasst euch doch impfen, Leute!
Ausgabe 07/2015
Tut kurz weh, aber macht Sinn: Kinderimpfung
Tut kurz weh, aber macht Sinn: Kinderimpfung

Foto: Robin Utrecht/Getty Images

Als Kind war ich ein Fan von Heidi. Jeder kennt das fröhliche Waisenkind, das auf die Alm zum mürrischen Großvater zieht. Als der Opa aufblüht, soll Heidi bei ihrer Cousine Clara in Frankfurt wohnen, die Arme sitzt im Rollstuhl. Clara war nett, doch das Stadtleben war gemein, so wie die Gouvernante Fräulein Rottenmeier.

Jetzt, im Zuge der – ist es schon eine? – Masernepidemie, die nicht nur in den USA, sondern auch in Berlin grassiert, frage ich mich: Hatte Clara Kinderlähmung? In den 70ern war Polio die Kinderkrankheit, vor der wir uns am meisten fürchteten. Masern galten als harmlos. Rote Flecken, ein bisschen Fieber, aber man durfte doch zu Hause bleiben? Aber oh weh, Polio! Das bedeutete ein Leben im Rollstuhl, wie bei Clara. Impfen also! Und basta.

Nur – vor der Impfung fürchtete man sich eben auch. Das Kind fürchtete sich vor der Ärztin Marke Rottenmeier. Die Mutter hatte Bedenken, weil dem Kind bei der Schluckimpfung abgeschwächte, lebende Viren zugeführt wurden. Was ja – Vorsicht, gefährliches Halbwissen! – das allgemeine Funktionsprinzip der Impfung ist. Im Grunde konnte man also durch die Impfung an Polio erkranken. Inzwischen ist der Schluckimpfstoff in Deutschland übrigens abgeschafft, wohl auch um dieses Millionstelrisiko auszuschließen.

Einmal, nach einer Kinderimpfung, bekam ich krasses Nasenbluten und am ganzen Körper blaue Flecken. Bange Tage verbrachte ich im Krankenhaus, mit dem Verdacht auf Leukämie, in der Dorfkirche zündete man schon Kerzen für mich an. Leukämie war es nicht. Was es war, fand man nicht heraus. Von einer weiteren Impfung riet unser Hausarzt danach diskret ab.

So blieb die Angst vor Polio. Zwischendrin ging auch mal der Impfpass verschütt. Lange war mein Impfschutz ungeklärt. Bis zum vergangenen Jahr. Seither lautet mein Impfstatus wieder: vorbildlich aufgefrischt! (Bis auf die Grippeimpfung, da lag ich als eine der ersten Impfpionierinnen anno 2000 drei Wochen lang schwer krank im Bett, aber das ist eine andere Geschichte.)

Ehrlich: Ich bin Impfskeptikerin, damit passe ich gut in den Prenzlauer Berg, der ja für jeden alternativen Quatsch zu haben ist. Wir haben die niedrigste Impfquote in Berlin. Ich sage nur: Masernpartys! Aber: Meine Kinder sind vollschulmedizinisch durchgeimpft. Gerade unter den nach 1970 Geborenen grassiert da eine fatale Sorglosigkeit, wie Umfragen zeigen. 90 Prozent sind nicht gegen Masern geimpft. Oder wissen es nicht genau. Aktuell liegen deshalb allein in der Hauptstadt gut 100 Menschen im Krankenhaus.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

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