Die Hände in den Hosentaschen

Rätsel Lorrie Moore schreibt brillante Erzählungen. Weil sie beim Schreiben so ratlos scheint wie ihre Figuren
Ausgabe 20/2015

Es gibt zwei Arten von Lesern, solche, die am Ende eines Buchs die Widmung des Autors neugierig lesen, die Widmung vielleicht sogar als Allererstes lesen, noch vor dem eigentlichen Text, und solche, die sie nicht lesen. Wer zur ersteren Kategorie gehört, wird am neuen Buch der US-Schriftstellerin Lorrie Moore seine Freude haben. Ihre Widmung liest sich wie das Who is Who der US-amerikanischen Autoren- und Verlagsszene – allerdings mit Namen, die in unseren Ohren klingen, die man aber vielleicht nicht kennt, weil man eben außer dem deutschen Literaturbetrieb nicht viel kennt.

Ein paar Namen muss man also erst mal nachschlagen. So, so: Moores Literaturagentin Melanie Baxter ist die Urenkelin von Theodore Roosevelt und verheiratet mit Thomas Pynchon. Die Autorin und Essayistin Mona Simpson ist die Schwester von Steve Jobs (die ihren Bruder angeblich erst traf, als beide erwachsen waren). Verlegerin Victoria Wilson wiederum ist die Stieftochter der Schauspiellehrerin Stella Adler, die mit ihrer Acting-Methode Stars wie Robert De Niro und Judy Garland berühmt machte.

Man liest dann auch den Klappentext und sinniert sicher zum hundertsten Mal darüber, was vielleicht auch einen großen Unterschied amerikanischer Literatur zu deutscher Literatur ausmachen könnte: In den USA leben nicht 70 Prozent aller Schriftsteller an einem Ort, hier also in diesem Berlin, im upcoming Neukölln, (wo es auch schon länger eine amerikanische Boheme geben soll und wo Judith Hermann (so viel ich weiß) wenigstens aufgewachsen ist.

In den USA kommt’s also vor, dass man in Nashville, Tennessee, wohnt. Lorrie Moore lehrt Anglistik an der Vanderbilt University, was sie zwar jetzt auch nicht prädestiniert, auf Menschen abseits des akademisch-literarischen Dunstkreises zu treffen, aber ... Nashville, immerhin. Das klingt ein ganz klein wenig abgründig, und Lorrie Moores Figuren sind dann auch immer nur eine Spur abseitig, da ist nie wirklich ein Abgrund, oder doch? Die alleinerziehende Zora zum Beispiel unterhält schon ein sehr, sehr seltsames Verhältnis zu ihrem Sohn.

Meister Julian Barnes

In ihrer Widmung dankt Lorrie Moore auch dem englischen Meister der Short Story, Julian Barnes. Den kennt man jetzt mal. Nun hat man seine Brille auf und entdeckt beim Lesen ihrer Geschichten dann tatsächlich diese für Barnes charakteristische heitere und schmerzhafte Atmosphäre wieer, die er zuletzt in seinen Erzählungen Unbefugtes Betreten (2012) wieder so leicht versprüht.

Wie schafft das Moore? Indem sie erzählt, als hätte sie beim Schreiben die Hände in den Hosentaschen, so ratlos wie ihre Protagonisten selbst oft sind. Oder ernüchtert: „Er schien sich in eine Art Alien verwandelt zu haben. Später sollte sie begreifen, dass all das natürlich nur bedeutete, er hatte eine andere Frau, aber damals arbeitete sie, wegen der eigenen Würde und geistigen Bürde, nur mit diesen beiden Hypothesen: Tumor oder Alien.“

Ihre Geschichten handeln oft von dem unbeschreiblichen Rätsel, wie man diesen oder jenen Mann oder jene Frau an seiner Seite jemals interessant finden konnte. Umgekehrt fragt sich einer, ob er nicht sitzengelassen worden wäre, wenn er nicht so durchschnittlich wäre.

In der Widmung steht auch Lorin Stein. Im Jahr 2010, gerade 37-jährig, wurde Stein Chefredakteur der Paris Review. Lorin Stein ist aber nicht mit Gertrude Stein verwandt, wie oft kolportiert wird, er soll auch nicht so privilegiert aufgewachsen sein, wie die Leute reden. Man würde ihn jetzt gern zum Lunch irgendwo in Tribeca begleiten und über Literatur plaudern, was natürlich nicht passieren wird. Liest man also ein Interview. „Was macht einen guten Schriftsteller aus?“, wird er gefragt. Wenn er bei einer Kurzgeschichte die Raison d’Être finde, eine Dringlichkeit, die real erscheint, antwortet Stein. Lorrie Moores Geschichten über das Verschwinden der Liebe sind so, die Personen gibt’s doch wirklich, meint man, ihren Galgenhumor, die bittersüße Ironie, Verletzbarkeit, das schlechte Gewissen, den Trennungsschmerz und die große Ratlosigkeit auch. Leseempfehlung!

Info

Danke, dass ich kommen durfte Lorrie Moore, Frank Heibert (Übers.) Berlin-Verlag 2015, 208 S., 19,99 €

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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