Die Leiden des Jan Fleischhauer

Liebesneoliberalismus Auch Konservative wie der Spiegel-Online-Kolumnist haben es schwer, wenn sie verlassen werden
Ausgabe 45/2017
„Alles ist besser als noch ein Tag mit dir“ heißt Fleischhauers Roman. Der Titel galt ihm
„Alles ist besser als noch ein Tag mit dir“ heißt Fleischhauers Roman. Der Titel galt ihm

Foto: Future Image/Imago

Viele lesen ihn nur, weil sie sich mal wieder richtig ärgern wollen. Der Publizist Jan Fleischhauer (55) ist für die einen das, was für die anderen die Feministin und Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski ist: eine Provokation, nach der man die Uhr stellen kann. Fleischhauers Geschäftsmodell: als ehemals Linker zu den Konservativen übergelaufen zu sein. Seine Kolumne auf SPON heißt Der Schwarze Kanal, hier macht er regelmäßig auf dicke Hose, frei nach der Devise: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in mir erzeugt der absolute Gleichklang der Öffentlichkeit immer eine gewisse Übelkeit.“ So hatte er sich zur Kampagne #metoo geäußert, gegen sein Geschlecht gallig insinuiert, man solle einem Feministen nicht nur deshalb vertrauen, weil er ein Feminist ist. Der Opportunismus der Verdammung (von Harvey Weinstein) sei doch nicht besser als der Opportunismus der Adoration. Na? Steigt das Adrenalin?

Eine Art autobiografischen Roman über die Liebe aus seiner potenten Feder hätte man von ihm also zuallerletzt erwartet. Alles ist besser als noch ein Tag mit dir heißt sein Buch, aber es ist nicht, wie man erwartet hätte, der eisgekühlte Abschiedssatz eines Mannes, der für seine Partnerin nur noch Verachtung übrig hat. Fleischhauer zitiert seine Frau Ella. Sie ist es nämlich, die ihm den Koffer vor die Eigentumswohnung stellt, besser gesagt: den gemeinsamen Paartherapeuten so in Kenntnis setzt. So what? Dass ein Partner, eine Partnerin die Scheidung will, kommt vor. Und dass sie einen Alpha-Mann wie Fleischhauer in eine unkalkulierbare Lebenskrise stürzen soll, oder, psychologisch gesprochen: ihm eine veritable Anpassungsstörung verpasst, klingt das nicht reichlich unglaubwürdig? Ein privilegierter weißer Mann, der traditionell Recht hat, weil er Macht, Ansehen und Geld hat – in dieser Kausalkette? Der soll leiden?

„Der hat eben auch die Eva Illouz unter dem Kopfkissen“, vermutet der Kollege, der neulich verlassen wurde (hatten wir Arbeitskolleginnen seinen Schmerz wirklich erfasst?). Dass Liebeskummer einer Krankheit ähnelt, gilt allenfalls als dunkler Romantizismus. Trifft das Leiden einen Mann, ist es fast schon ein Tabu. Ein liebeswunder Mann wirkt schnell wehleidig.

Warum Liebe weh tut, das erklärt uns die israelische Soziologin Illouz in ihrem gleichnamigen Buch. Es ist unser kapitalistisches Verhältnis zur Liebe, das, wenn sie endet, unsere Identität komplett in Frage stellt. Die neoliberale Transformation der Liebe bedeutet eine Deregulierung der libinösen Verhältnisse – wie auf dem freien Markt. Wer hier nicht richtig performt, hat sein Kapital, sei es kulturell, sozial oder ökonomisch, nur suboptimal eingesetzt. „Der soziale Wert einer Person ist nicht mehr die direkte Folge ihres wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Status“, sagt Illouz. Heißt: Auch gut bezahlte Publizisten werden erst einmal auf eigene Kosten verlassen.

Wer es schafft, diese Kosten auf die Allgemeinheit abzuwerfen, hat dann freilich doch wieder einen Gewinn. Der Vorgang heißt: ein verdammt gutes Buch über seinen Schmerz schreiben. Das Komische in der Verzweiflung herausstellen. Keine Angst haben, sich zum Affen zu machen. Gegen die Angst wirft Fleischhauer sich eine Weile Tavor ein, einmal ist er dem Nervenzusammenbruch nah, dann dem finanziellen Ruin, und ja, seine Geldsorgen spielen in der oberen Liga, aber es wäre kleinkariert, hier ein peinliches Lamento trotz Aktiendepot vorzuwerfen. Von seiner Online-Partnersuche erfährt man, hier lernt er auch seine neue Frau kennen. Nach ein paar Dates macht er Nägel mit Köpfen und gibt die konservative Antwort auf den Liebesneoliberalismus: Er nimmt sich durch erneute Heirat vom Markt.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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