Diese Hose wollte ich nie

Romanzyklus Andreas Maier beschreibt sein Aufwachsen immer weiter und weiter: Im neuen Werk ist er Student der Philosophie in Frankfurt
Ausgabe 07/2018

Ob diese Episode denn wahr sei, fragt man pro forma bei Suhrkamp nach, weil man so etwas einfach nicht erfindet. „Sie wissen ja, wie das ist“, lautet die Antwort beim Verlag, „es ist Literatur. Tatsächlich war ein Pflegedienst beschäftigt, die Wohnung Adornos ist offenbar so beschrieben, als hätte der Autor sie gekannt. Der Rest ist wohl Teil des Spiels.“ Es ist ein schönes Spiel, das Andreas Maier in seinem Band Die Universität betreibt; eine Zeit lang betreut der Ich-Erzähler hier „den schwierigsten Fall in Frankfurt“, die Witwe Adornos im Kettenhofweg 123. Die schwer gezeichnete Gretel Adorno konnte sagen: „Sie Arschloch! Sie sind eine Millionhunderttausend Hornochsen!“

Ein Roman auf knapp 150 Seiten: das geht, weil sich die Die Universität in Maiers groß angelegten und großartigen Romanzyklus fügt, eine Erinnerungssaga über Kindheit, Jugend, Erwachsenwerden im hessischen Friedberg, in der Wetterau, wo die Leute in Schankwirtschaften hocken, um in Gesellschaft zu schweigen.

Ortsumgehung heißt sein Projekt, fünf Bände liegen bereits vor, jeder steht für sich und gehört doch zum anderen. Jetzt also Band sechs. Da ist der Ich-Erzähler, ein sensibles Kind, ein Kauz, die ganze Steinmetzfamilie ist kauzig. Da ist vor allem der geistig zurückgebliebene Onkel J., von dem immer wieder die Rede ist, „einer, der an Baustellen herumsteht und schaut“. Dem Onkel fürchtet der Erzähler immer ähnlicher zu werden, es ist diese Urangst, die ihn umtreibt, die Angst, eines Tages wirklich verrückt zu werden. Von dieser Angst handelt auch die Universität.

Eine große Verlorenheit ist in diesem Frankfurter Studenten der Philosophie. Der Leser ahnt zwar, dass zumindest diese Krise einmal überwunden sein wird, wenn auch nicht in diesem Roman. Er kann mit der Realität abgleichen, nachlesen, dass Maier selbst eine Dissertation über Thomas Bernhard beenden wird. Aber: Manche bleiben eben hängen wie der sehr sonderbare „Hegel-Japaner“. Die Universität ist auch eine Hommage an die vielen, die im Studium irgendwie hängengeblieben sind.

Fluchtpunkt Butzbach

1988, 1989, Semesterferien, der Student will verreisen: „Wo ich hinfahre, sage ich niemandem, ich glaube, es war eine jener Phasen, in denen ich wochenlang mit keinem sprach.“ Südtirol soll es sein. Indes – er schafft die Abreise nicht. Man muss sich vorstellen, wir sind 30 Jahre entfernt vom digitalen Ennui. Wer einsam ist, hat wenige Optionen: ziellos herumlaufen, ins Dr. Flotte, auf der Matratze schlafen. Wer damals an einer deutschen Universität auf Magister studiert hat, weiß, wie existenziell einsam man sich in der Menge fühlen konnte, überfüllte Hörsäle, das falsche Fach, die falsche Freiheit. Ein schwacher Trost, dass es heute dafür Diagnosen gibt: Prokrastination oder Depression.

Andreas Maier hat seinen Zyklus einmal als eine Krankheitsgeschichte bezeichnet. Das passt. Denn oft klingt die Maier’sche Verzweiflung wie bei Thomas Bernhard, beide retten sich aber immer wieder ins verzweifelt Komische. Es gibt einige Schriftsteller mit Thomas-Bernhard-Duktus im Schreiben, das Problem ist, dass einem der Ton in den meisten Fällen auf die Nerven geht. Nur wenigen gelingt es wie Maier, mit Bernhard zu einem eigenen Ton zu kommen.

Toll wie Maier die Vorlesungen beim renommierten Professor Apel beschreibt, vielmehr beobachtet, die Philosophie anwendet: Im aufgeklappten Kopf des Kommilitonen sitzt da ein kleiner Apel, der krächzt. Einmal schaut er so lange auf sein Hosenbein, bis er ein Paisleymuster entdeckt. So eine Hose wollte er nie haben! Es gibt eine witzige Typologie des klassischen Philosophiestudenten, die uns mit einem hohen Wiedererkennungswert erfreut. Maier beschreibt Oberflächen, er ist ein Beobachter, braucht kleine Welten, in denen er sich heimisch-fremd fühlt. Er nimmt die Strecke, die der Onkel immer genommen hat, um zu seinem Postjob zu fahren. Im Kopf spricht der „Metaebenenkuckuck“. Der weiß längst, dass aus Südtirol nichts wird, es wird Butzbach, wo der Erzähler noch der „Buchhändlertochter“ begegnet ...

Höhepunkt aber ist eine magische Stauszene auf dem Nordwestkreuz, A5 Richtung Wetterau, die Maier einmal mehr als großen Stilisten, als Verknapper und Verdichter, ausweist: Unter Autos ist es, dass der Autor zum Autor wird.

Info

Die Universität: Roman Andreas Maier Suhrkamp 2018, 147 S., 20 €

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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