Ein Politmärchen aus der Bronx

US-Demokraten Alexandria Ocasio-Cortez hat sich bei Vorwahlen für das Repräsentantenhaus gegen den klaren Favoriten durchgesetzt und wird schon als neuer Politstar der Linken gehandelt
Ausgabe 27/2018
„Mein Spanisch?“, sagte Ocasio-Cortez während ihrer Kampagne selbstbewusst, „habe ich auf der Straße gelernt!“
„Mein Spanisch?“, sagte Ocasio-Cortez während ihrer Kampagne selbstbewusst, „habe ich auf der Straße gelernt!“

Foto: Scott Heins/Getty Images

Das muss man den Filmemachern aus Hollywood einfach noch lassen: Sie haben immer schon Underdog-Legenden auf die Leinwand projiziert, gezeigt, wie ein Kampf gegen diese übermächtige weiße peer group, (die immer gewinnt, im Zweifel nur deshalb, weil die Anwälte teuer sind), Erfolg haben kann. Amerikas Herz schlägt vielleicht doch ein wenig links, wenn die ganze Gerechtigkeit auf dem Spiel steht und heroisch (aber ohne Waffen!) verteidigt werden muss; Sie erinnern sich vielleicht an die wahre Geschichte der Umweltaktivistin Erin Brockovich. Steven Soderberghs Verfilmung spielte mehr als 300 Millionen US-Dollar ein. Mehr als eine junge Frau auf der Welt wird damals gedacht haben: Ich will wie Erin Brockovich sein! (Und nicht nur ein Mann auf der Welt: Wow, was für eine tolle Frau!)

Letzte Woche in New York noch so ein Märchen à la Hollywood, die Hauptrolle spielt eine Latina aus der Bronx. Die linke Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez konnte die Vorwahlen in ihrem Wahldistrikt überraschend für sich entscheiden. Als die Tochter einer Puerto-Ricanerin im Mai 2017 ihre Kandidatur ankündigte, glaubte kaum einer, dass sie überhaupt die nötigen Unterschriften sammeln würde. Dann setzte sich die 28-Jährige gegen den Favoriten Joseph Crowley als Nachfolger von Nancy Pelosi durch – die Fraktionsvorsitzende ist selbst so ein Establishment-Fossil à la Hillary Clinton.

Auch das ist Amerika: Crowley gab nach der Wahl den guten Verlierer, spielte Bruce Springssteens Song „Born to Run“ für die Siegerin – eigenhändig auf der Gitarre. Vielleicht hatte er ein Einsehen. Ocasio-Cortez hatte gesagt, dass er nichts wissen könne vom Real Life im ärmsten Bezirk New Yorks und schon deshalb der falsche Mann sei. Warum? Weil er dort seit 20 Jahren nicht mehr wohnt. Eine kluge Kampagne brachte sie zu all den Leuten, die allenfalls noch direkt an der U-Bahn-Station oder über Social Media adressierbar sind. „Mein Spanisch?“, sagte Ocasio-Cortez selbstbewusst, „habe ich auf der Straße gelernt!“ Ihre Botschaft: Ich bin eine Latina aus der Bronx, keine Ostküsten-Akademikerin! Zum Überleben reicht unsereins nicht nur ein Job! Ich bin Migrantin und kämpfe für echte Repräsentation! Ocasio-Cortez studierte Wirtschaft und Internationale Beziehungen, jobbte nebenher als Kellnerin und Barkeeperin, auch um ihre Mutter, Putzfrau und Busfahrerin, zu unterstützen, wie man lesen konnte. Street Credibility ist ein politisches Kapital, wenn man es zu nutzen weiß.

Nun gilt ja House of Cards als die Polit-Soap der USA, die Politik qua Intrige erklärt. Vielleicht hat Ocasio-Cortez aber öfter eine andere Serie geschaut? Von 2009 bis 2016 lief auf CBS eine Serie der Extraklasse. Es hieß, auch die Clintons gucken, und überhaupt nur wegen The Good Wife würden die Amerikaner noch Demokraten wählen. Jahrelang hätten sie politische Ethik und Moral anhand dieser Serie diskutiert. Denn eine Heilige ist die Heldin „Saint Alicia“ (Julianna Margulies) nur in Anführungszeichen. Die Frau eines demokratischen Chigagoer Politikers fängt mit Anfang 40 noch einmal zwar nicht von unten, aber ganz von vorn an, will wieder als Anwältin arbeiten, kandidiert später als Staatsanwältin, verliert. Ihr Kampf gerät auch zu einer Parabel darüber, was Macht mit Frauen macht. Alicia sucht ihren Vorteil, schmiedet Zweckallianzen, sie sucht mächtige Frauen als Partner. Im echten Leben könnte Ocasio-Cortez die Frau sein, an der künftig keine/r vorbeikommt. The Good Wife läuft übrigens bei Netflix.

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