Erstarrende Macker

Legenden Gretchen Dutschke sieht in der Frauenbewegung das Erbe von ’68, die Kommune 1 war ihre Idee
Ausgabe 18/2018

Eine rasante, persönliche Aufarbeitung der Achtundsechziger ist dieses Buch. Warum man Gretchen Dutschkes 1968: Worauf wir stolz sein dürfen gerne liest, ist freilich auch der Klatsch, den es enthält, die Randnotizen aus erster Hand, so zum Beispiel, dass die ersten Molotov-Cocktails, die flogen, von einem kamen, den sie in der Szene den „S-Bahn-Peter“ nannten, (und der ein bisschen wie der „Kristall-Rainer“ aus Sven Regeners Roman Herr Lehmann klingt, und von Kristallrainer dachten sie später im Häuserkampf-Kreuzberg der 1980er, in dem ja so manch ein Altachtundsechziger dann hängengeblieben war, dass dieser Kristall-Rainer verdächtig nach Zivilfahnder aussah).

Der echte S-Bahn-Peter hieß allerdings Peter Urbach, und der war bekanntlich ein V-Mann des Verfassungsschutzes; bis heute pikant und nicht in Gänze aufgeklärt ist der Einfluss der Geheimdienste auf die bald linksradikalisierte Szene. Der gelernte Rohrklempner ging in Dieter Kunzelmanns‘ Kommune 1 ein und aus, Urbach war es, der später die Brandsätze für die Kaufhausanschläge der RAF besorgte. Oder für den 9. November 1969, den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße. Jener Anschlag ging auf das Konto der Tupameros West-Berlin, ihr Gründer: Kunzelmann. Erst 2005 legte der Bombenleger gegenüber einem Historiker das Geständnis ab. „Eine staatsanwaltliche Erklärung gab es nie. Wohl kein Zufall: Auch diese Bombe stammte von Peter Urbach“. Eindringlich sind nicht nur die Episoden zum Verfassungsschutz (oder dass ein paar Dynamitstangen für andere Gelegenheiten vom legendären italienischen Verleger Feltrinelli stammten, der Che Guevara wohl persönlich kannte und der eines Tages bei den Dutschkes klingelte); es wird klar, dass hier auch aktuelle Überlegungen zu einem linken Antisemitismus immer wieder ansetzen müssten.

Enzensberger, Enzensberger

Eine andere interessante Figur war Ulrich Enzensberger, der Bruder von Hans Magnus Enzensberger, er lebte zwei Jahre in der Kommune. H.M. Enzensberger, der Kursbuch-Herausgeber von 1965 bis 1975, war wiederum eine der Orientierungsfiguren für die revoltierenden Studenten. Nicht nur Berlin, daran erinnert die Witwe Dutschke in nachvollziehbaren Eskalationsstufen nach den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg, war freilich ein Epizentrum des Protests, sondern auch die Frankfurter Goethe-Universität, die zwischenzeitlich tatsächlich Karl Marx-Universtität hieß. Zur geplanten Notstandsverfassung sagte Enzensberger mit Blick auf die Studentenunruhen in Nanterre und Paris: „Unser Ziel muss sein: Schaffen wir endlich in Deutschland auch französische Zustände.“ Der „systemkritische linke Prof“ Adorno ließ dann einmal doch 76 Studenten der „Frankfurter Schule“ verhaften. Zehn Wochen nach der legendären Busenaktion war er dann tot, zwischendurch hatte Habermas den Begriff von einem „linken Faschismus“ geprägt.

Das ist freilich bekannt, originell wird das Buch durch einen anderen Dreh: das 50-jährige Jubiläum von 1968, das zeigen die gebürtige Amerikanerin Gretchen Dutschke, die als Philosophiestudentin nach Deutschland gekommen war, um Hegel im Original lesen zu lernen sowie die Historikerin Christina von Hodenberg (Seite 21) ist auch eine Geschichtsstunde, die von Frauen gehalten wird. Dutschke analysiert wie von Hodenberg, dass es am Ende die Frauen waren, die mit dem Abschneiden alter Zöpfe Ernst machten. Als die 68er-Bewegung längst in Splitter-Gruppen zerfallen war, setzten sie die Kulturrevolution fort und linke Männer wurden „plötzlich Gegenstand – und in gewisser Weise Objekt – feministischer Kritik.“ Gretchen Dutschke übrigens will ursprünglich die Kommune-Idee gehabt haben, sie stammt ja auch aus den USA. Die Frauenbewegung, schreibt sie, wurde der produktive Kontrapunkt zum Dogmatismus der K-Gruppen: „Sie war die Rettung der Protestbewegung vor ihrer endgültigen Erstarrung.“

Schließlich: die Medien. Packend erinnert Dutschke, wie sich Medien und Studenten gegenseitig hochschaukelten. „68“ ist ohne den Kommune-Boulevard von Stern & Co und die Hetzkampagnen der „Springerpresse“ nicht zu denken, aus Bild tropfte bekanntlich echtes Blut. Was man nicht so wusste: Rudolf Augstein finanzierte Dutschkes Theorien angelegentlich. Als der vom Hilfarbeiter Bachmann durch drei Schüsse lebensgefährlich verletzt wird, macht man Axel Springer dafür persönlich verantwortlich. Noch am Abend des Attentats versammeln sich die Demonstranten vor dem Springerhaus in der heutigen Rudi-Dutschke-Straße und rufen: „Mörder, Mörder! Axel, wir kommen!“ Für Bild wurde das Attentat da noch zum Business as usual: „Der fanatische Linksradikale wurde das Opfer einen halbirren Rechtsradikalen“, schrieb das Blatt, „eine der größten Industrienationen der Welt darf kein Hugenotten-Land werden, in dem jeder, der sich ungerecht behandelt fühlt, Steine wirft, Feuer legt oder zur Pistole greift.“

Springers Chalet in Gstaad wurde allerdings nicht von linken Chaoten (wie damals kolportiert) in Brand gesteckt, sondern von einem Schweizer Schriftsteller.

Info

1968: Worauf wir stolz sein dürfen Gretchen Dutschke kursbuch.edition 2018, 224 S., 22 €

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin Kultur

Katharina Schmitz

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