Es wäre geheuchelt, würde die Autorin behaupten, dass sie eine neutrale Haltung hätte. Ich habe vor ein paar Jahren die Hagia Sofia in Istanbul besichtigt, was unter Tourismus fällt, ich betrachte es nicht nur als eine melancholische Fußnote im Weltenlauf, dass die Blaue Moschee heute schrittweise in eine echte Moschee umgewandelt wird. Hätte mir jemand vor Jahren prophezeit, dass ich mich einmal über „liberale Werte“ ereifern würde, ich hätte ihm nicht geglaubt. All das interessiert mich noch mehr als früher, ich habe mich noch stärker politisiert. Einerseits. Andererseits: Habe ich eine Fixierung? Auf das Kopftuch?
Ich fahre mit einer Freundin zum Tag der offenen Tür der Moschee. M. kam als Siebenjährige aus Pole
e aus Polen nach Deutschland. Sie ist erzkatholisch aufgewachsen. Heute sagt sie: diese Scheinheiligkeit. Ich weiß, was sie meint. Das Bußetun der katholischen Kirche fand ich immer schon neurotisch. Ich war 30, und musste einen Rosenkranz auf Knien beten, als der Vater starb. Es sollte ein Trost sein. Was für eine Selbstkasteiung. Ich bin noch katholisch, zahle Kirchensteuer. Die Kinder sind evangelisch getauft. Als der Sohn auf der evangelischen Privatschule – ein Wunsch der Großeltern – nicht angenommen wurde, war mir das recht, Morgengebete sind mir nicht geheuer, auch nur sanfte religiöse Indoktrinierung ist mir unheimlich. In manchen Nächten überkommt mich ein Funke Spiritualität, das ist Romantik oder naiver Aberglaube, wie man es nimmt. Ich mag Spiritualität. Es klingt läppisch, aber ich stehe prinzipiell für Multikulturalität. Dennoch habe ich die Kopftuchentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gut gefunden. Es ist ein juristisches Dilemma, ja, aber ich gehöre zu den 51 Prozent, die laut einer repräsentativen Umfrage finden, dass eine Lehrerin mit Kopftuch nicht an einer öffentlichen Schule unterrichten sollte. Berlin beruft sich zwar auf das Neutralitätsgesetz, aber nachdem Karlsruhe im Jahr 2015 ein generelles Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen für rechtswidrig erklärt hat, kann sich das jederzeit wieder ändern.Als Mutter von zwei schulpflichtigen Söhnen höre ich also genau zu, als mir die 22-jährige Lehramtsstudentin Wajieha Anwar auf dem Podium der Khadija-Moschee das Konzept einer „reizfreien Gesellschaft“ erklärt, sie spricht vom Schamgefühl im Herzen, weshalb die Muslimin den Blick zum Boden richte und die Haare verhülle. Was bedeutet das für meine Söhne? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sie als Lehrerin einen weltanschaulich neutralen Unterricht führen wird. Mir behagt nicht, dass meine Söhne mit diesem Männerbild aufwachsen. Sind meine Jungs sexuelle Aggressoren, vor denen Mädchen beschützt werden müssen? Wie geht das zusammen mit der Lehre von Gender und sexueller Identität? In einer Berliner Kita protestierten jüngst muslimische Eltern gegen einen schwulen Erzieher. Zu Hause fantasiere ich, dass ich meine Jungs eher zu einer Der-Kleine-Nick-Provokation ermuntern würde, malt doch mal ’nen Penis an die Tafel.Später an einem Infostand fällt mir ein Prospekt in die Hände, die Wahrheit über Jesu Christi steht drauf, der Inhalt klingt komisch, unfreiwillig: „Es ist der Gipfel der Ungerechtigkeit anzunehmen, auch nur für einen Moment, dass solch ein Auserwählter an das Kreuz gehängt wurde.“ Es gibt auch sonst allerhand Broschüren, in denen krude Sachen stehen, die uns als Wahrheit gepriesen werden, die uns bisher entgangen sein sollen, weil wir entsprechende „Quellen“ nicht studiert haben.Gehorsam, Demut, KeuschheitWo sind wir hier eigentlich? Die Ahmadiyya-Gemeinschaft, finde ich später heraus, hat ihr Zentrum vor allem in Pakistan und Indien, was die vielen Sari-Trägerinnen hier erklärt und das köstliche Buffet, das hier aufgefahren wird, das – wie mir eine andere Ahmadiyya-Frau lachend versichert –, wirklich wahr, von den Männern zubereitet wurde. Ahmadiyya vertritt eine Sonderform des Islam. Je nachdem hat man es hier mit Vorzeigemuslimen zu tun oder mit einer demokratiefeindlichen Sekte. „Wir sind zwar liberal, aber dennoch wertkonservativ“, formulierte es der Konvertit Abdullah Wagishauser, der seit 1984 als Emir (heißt wirklich so) der Ahmadiyya Deutschland fungiert. In Deutschland gibt es etwa 35.000 Anhänger.Die Ahmadiyya-Gemeinde firmiert seit 2013 als erste muslimische Gemeinde in Deutschland als Körperschaft des öffentliches Rechts, steht auf der Homepage. Die Moschee im Berliner Norden war die einzige im Ostteil der Stadt und auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Sie wurde 2007 errichtet; nicht ohne Proteste. Auf der Baustelle sollen Rechte ein Schwein deponiert haben (was natürlich eine rassistische Schweinerei ist). Die Moschee liegt an der Autobahnauffahrt, hinter Kentucky Fried Chicken. Ich kannte sie bisher nur vom Vorbeifahren. Apropos Chicken: Es soll eine Auslegung im Internet kursiert haben, dass der Verzehr von Schwein schwul mache, wegen der schmutzigen Sexpraktiken. In der Broschüre Erlaubtes und Verbotenes im Islam steht das so nicht, ihr Autor ist Hadayatullah Hübsch, 1946 in Chemnitz geboren als Paul-Gerhard Hübsch. Der 2011 verstorbene Ex-Alt-68er Hübsch war langjähriger Pressesprecher der Gemeinde.Heute hat die Moschee anlässlich des Weltfrauentags ausschließlich Frauen eingeladen. Das Motto der Veranstaltung: „Die Emanzipation der Frau im Islam“. Bevor der Impulsvortrag von Enny Qureshi losgeht, die in Darmstadt Soziologie studiert, wird Vers 36 aus dem Koran vorgetragen. Es entsteht eine schöne spirituelle Stimmung. Später muss die Diskussion nochmals unterbrochen werden, weil das Gebet der Männer über Lautsprecher eingespielt wird. Nach dem Gebet geht es leider gebetsmühlenartig weiter, es fallen Schlagworte, die mich irritieren: Gehorsam, Demut, Standhaftigkeit, Keuschheit. Mich stößt das Vokabular ab. Ich fühle mich unfrei. Es soll richtiggestellt werden, dass vor dem Islam die Frau auf der ganzen Welt als Vieh gegolten habe. Dann sei der Islam als Befreier der Frau gekommen. Für Allah sei das Äußere nicht wichtig. Es gehe um das Recht und die Pflicht, sich Wissen anzueignen. Natürlich könne man aber die Natur der Geschlechter nicht wegdenken.Die Sozialwissenschaftsstudentin Qureshi ist noch sehr jung, aber man kommt nicht umhin zu urteilen, dass ihr Vortrag erschreckend simpel ausfällt, sich gefühlt wortgleich so auch in den kruden Broschüren wiederfindet. Mich stört die Vermischung von Wissenschaft und dem Wahrheitsanspruch der Religion. Mich stört dieser Duktus, der Islam als bestes Zeug im Vergleich. Mich nervt die Philosophie der Gottgefälligkeit.Aggressiv missionarischSympathisch ist, dass eine Diskussion wirklich erwünscht scheint, nach und nach treten Frauen auf die Bühne und äußern ihren Standpunkt, drücken Wohlwollen aus, bekräftigen, dass das Kopftuch Vorbild sein kann für muslimische Frauen, alles erreichen zu können. Eine deutsche Konvertitin kommt auf die Bühne, ihr Bekenntnis verunglückt aber eher zur Anti-PR. Es kommen die notorischen Allgemeinplätze, die unfreie Frau im Minirock, ich argumentiere, dass ich im Zweifel sexistische Werbung vorziehe, bevor sie verboten wird. Verstehen wir unter Koexistenz das Gleiche?Alle finden schade, dass wir bald nur noch über das Kopftuch reden, was wohl meine Schuld ist. Schade auch, dass die Debatte jäh endet, weil Gebetsstunde ist. Oder ketzerisch, die Diskussion wurde elegant abgewürgt. Gut ist, dass die Frauen uns später nett umringen, sie wollen weiterdiskutieren. Schlecht ist, dass meine Freundin fast vehement erklären muss, dass sie nicht überzeugt werden will. Die Ahmadiyya-Gemeinde gilt als eine der aggressivsten missionarischen Gruppen im Gegenwartsislam, lese ich später. Und dass Vorwürfe kursieren, dass sich die Gemeinde das Engagement in der Flüchtlingshilfe illegal hat bezahlen lassen. Man findet dazu Quellen beim Deutschlandfunk und Report Mainz.Wie die Ahmadis es grundsätzlich mit der Demokratie halten, die Frage bleibt unbeantwortet. Wie viele gläubige Muslime stellen religiöse Gesetze (wenn auch nur idell) über staatiche Gesetze? In Michel Houellebecqs Unterwerfung ist der politische Wandel demokratisch legitimiert, gerade das ist nicht beruhigend. In der Realität sollte ein toleranter Islam lernen, seine Ansprüche zu relativieren. Sympathisch ist es mir jedenfalls nicht, wenn eine Lehrerin mit Kopftuch ihr Recht einklagt. Aber Sympathie ist natürlich keine juristische Kategorie.
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