Renata Adler arbeitete als politische Essayistin für den New Yorker, als Filmkritikerin für die New York Times, und mit ihrem Romandebüt Speedboat wurde sie Ende der 70er Jahre als neue Stimme einer Generation gefeiert. In Vergessenheit geriet sie aber doch, bis der Roman im letzten Jahr in den USA neu aufgelegt und bejubelt wurde. Nun gibt es ihn also auch auf Deutsch als Neuauflage; mitübersetzt von Marianne Frisch, der Witwe von Max Frisch.
„Ich für meinen Teil jage mich aus dem Bett mitten hinein in krass ausgefallene Situationen, die vielleicht eine moralische Spitze und eine Spur Risiko enthalten.“ So beschreibt Renata Adlers alter ego Jen Fain ihre Motivation als junge Reporterin in New York. Sie gerät auf hippe Partys, in gute Kreise, ergattert mondäne Kurztrips oder verbringt – ganz Bohème – mehrere Wochen in Europa, lehrt gelegentlich an der Universität (sehr komisch die inneruniversitären Rangeleien), wohnt in einem typischen Brownstone-Haus, dessen Besitzer ermordet wurde – eine Tat, die der Aufklärung melancholisch harrt und einen dünnen roten Faden in Rennboot bildet.
Mit durchdringendem Blick
Neue Beziehungen oder Affären werden geknüpft und unprätentiös mit Vornamen eingeführt. Die Wills und Sams und Matts sprechen dezent von Abgeklärtheit oder verletzbarer Vorsicht. Manches Ende klingt schmerzlich, aber immer bleibt ein skeptischer Ton, der frei ist von Selbstmitleid. Spielt dieser Aldo eine größere Rolle? Oder hier. Gerade sinniert Fain noch: „ich halte nicht viel von Schriftstellern, bei denen nichts auf dem Spiel steht“, und schon ertrinkt ein Kindermädchen, das dann doch nicht schwimmen kann, wie die Arbeitgeber nun „vernünftig“ feststellen, und in der übernächsten Passage trifft sie einen argentinischen Psychiater, der sich auf Daseinsanalyse spezialisiert hat.
Ein Feuerwerk an Pointen und Wendungen, lakonisch, aber nicht oberflächlich, und wenn banal im Sujet, dann von literarischer Dichte. Das Buch ist so frisch und direkt, wie es uns (fast) nicht mehr möglich scheint. So, als bräuchte dieser „Pre-Pop-Essayismus“ noch keine Post-Post-Bemerkungen und mindestens weniger Selbstreferentialität und Attitüde. Einmal lässt sie einen Liebhaber sagen: „Ich erkenne jeden literarischen Stil sofort als das, was er ist, und ich verabscheue sie alle.“
Was nun nicht heißt, dass Renata Adler keinen Stil hätte. Man könnte ihn versuchsweise als intensiv, süffig, unzynisch, mäandernd, zeitgeistig (für damals und heute) sowie novellistisch beschreiben. Wobei, besser trifft es „anti-novellistisch“, denn all die kleinen Episoden und Anekdoten aus New York, von Reisen nach Europa, über Situationen und Sprache, Liebhaber, Freunde und Kinder fügen sich zu keiner Erzählung im klassischen Sinn. Adler sagte selbst: „There are no conclusions to be drawn of it.“
Sie wirkt natürlich auch als Person. Renata Adlers Markenzeichen ist ein langer blonder Zopf, den sie nach vorne legt und den sie auch noch mit über 70 Jahren wie die junge Frau von damals trägt. Selbst das Foto im Klappentext will man ausdrucksstark finden. Es zeigt die junge Adler im weißem Herrenhemd und Jeans und mit durchdringendem Blick – im Grunde der Look eines globalen Fashion-Girls, wenn es das denn schon gegeben hätte. So aber gewinnt man die Idee, dass eine wie Adler singulär war, nicht einfach eine weitere Kopie einer Kopie, wie sie uns im René Pollesch-Zeitalter so deprimieren.
Amüsant ist aber schon, wie man schon damals über Attitüden philosophierte: „Zu gewissen Zeiten wird jede Handlung, egal wie privat oder unbewusst, politisch. Mit wem du lebst, wie du dein Haar trägst, ob du heiratest, ob du darauf bestehst, dass dein Kind Klavierstunden nimmt, welche Marken du auf deinem Regal stehen hast; all das wird zu einer politischen Entscheidung. Zu anderen Zeiten ist keine Handlung – keine Kampagne, kein Traktat, keine Erklärung, keine Tirade – in irgendeiner Weise politisch belastet. Die Leute, die am wenigsten Sinn dafür haben, welche Zeiten politisch sind und welche nicht, sind meistens ganz gierig auf Politik. Eines Morgens ging Will in Jeans und ausgefranstem Sweater eine Flasche Milch holen. Ein Touristenbus fuhr vorbei. Das Megaphon richtete sich auf Will. Da haben wir einen, sprach es. Das war in den sechziger Jahren. Seither fragt er sich: was für einen?“
Neben Joan Didion
Will mehr wissen über diese Frau und ihr Werk: Rennboot sei ein vom Feminismus beeinflusster Debütroman, steht irgendwo sehr knapp auf einer deutschen Webseite. Aufschlussreicher, was man beim New York Times Magazine findet oder im englischsprachigen Wikipedia. Renata Adler zählte zu den „Post-Woodstock-Desillusionisten“ (ein Begriff, der nun neu im Wortschatz ist). Noch besser: Ihr Buch Pechrabenschwarz (1983) habe eine Generation „Urtexts of urban angst“ hervorgebracht. Urtexts of urban angst, das ist groß. Neben Joan Didion und „ihrer alten Mentorin Hannah Arendt“ zählte sie zu den bedeutenden amerikanischen weiblichen Essayisten – jedenfalls bis sie 1980 einen Skandal anzettelte, als sie ein Buch der Filmkritikerin Pauline Kael vernichtete.
Denkt man jetzt als Deutsche, nachdem man die Schriftstellerin Adler auch in einem Porträt von 2013 besser kennengelernt hat, sie hat mit ihrer verqueren Art ein bisschen was von Fritz J. Raddatz. Und – es drängt sich einfach auf – ihr Ton klingt „jüdisch“, was sie ja auch ist. Die Eltern fliehen 1933 aus Nazi Germany. 1938 wird Renata in Mailand geboren. Aber was ist das genau für ein Ton? Ein ironischer, liebevoller, ein skeptischer, skeptisch zum Beispiel gegenüber Bekannten mit Depressionen oder gegenüber Therapeuten, und klingt immer ein bisschen so, als müsste man sich letztlich zusammenreißen und im Verhältnis zum großen Ganzen sehen. „Ich nahm einmal ein Flugzeug von einer angolanischen Enklave für Exzentriker nach Biafra, wie es damals hieß, Interkonfessionelle Hilfsaktion mit einer Ladung Fisch. Im Gewitter, und mit Valium und dem Gefühl von Sinnlosigkeit, ging’s mir gut.“
Rennboot Renata Adler Marianne Frisch (Übers.) Suhrkamp 2014, 241 S., 19,95 €
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