Hand vom Puls, bitte!

Pro Der Impfstoff für Kinder ist im Anflug. Doch sollte man sie überhaupt impfen? Unsere Redaktion ist gespalten, Katharina Schmitz argumentiert dafür
Ausgabe 19/2021
Für eine Herdenimmunität brauchen wir alle, auch die Kinder
Für eine Herdenimmunität brauchen wir alle, auch die Kinder

Foto: Fred Morley/Getty Images

Guten Tag, meine Haltung hier ist die Laienperspektive. Und mehr braucht es im Leben ja meist nicht. Ich behaupte schlicht, dass das Restrisiko einer Covid-Impfung für Kinder überschaubar ist. Klingt gewagt, aber der Schulmediziner in meiner Familie würde mir sicher beipflichten. Schon oft hat er gesagt: „Katharina, manche Leute leben mit der Hand am Puls ...“ Einmal meinte er damit meine übertriebene Sorge vor der Brandenburger Zecke. Ich sage zu meiner Verteidigung: Schuld an der „Hysterie“ tragen hier wohl eher all die alarmierenden Broschüren, die alljährlich vor Borreliose warnen.

Warum wird das Impfen von Kindern unter 16 Jahren überhaupt diskutiert? Weil sie bislang nicht im gleichen Maße von Covid-19 betroffen waren wie alte Menschen. Es kommt nun jedoch häufiger zu schweren Vorläufen oder Long Covid nach einer Erkrankung. Dazu die Mutationen. Der wichtigste Grund: Wenn alle Menschen geimpft sind, erreicht die Welt – eine Nummer kleiner geht es nicht – eine Herdenimmunität und jeder weiß, dass diese uns rettet. Ich will wirklich keine Impfsorgen belächeln, aber dieser kleine Twitterfund überzeugt halt einfach: „Alle, die einen bestimmten Impfstoff ablehnen, schreiben hier bitte kurz auf, womit sie gegen Grippe, Tetanus, Diphterie et cetera geimpft wurden und warum sie sich dafür entschieden haben.“

Ein Blick zurück. Als der Impfschutz gegen Masern in den 1970ern eingeführt wurde, gab es das Internet noch nicht. Wohl Anfang der Neunziger wurde dann der mündige Online-Patient eingeführt. Nebenwirkung: Die Patient*in recherchierte allem nach, was der Herr Doktor gesagt hatte. Landläufig galt ja sowieso schon immer: Zwei Ärzte, drei Meinungen. Diese Tendenz hat sich noch verstärkt; in der Welt der sozialen Netzwerke verbreitet sich die Skepsis wie ein Virus. Gegen Impfverweigerer gibt’s daher kein Kraut, sie leiden quasi unter einem Zuviel an Informationen. Das kann noch unsicherer machen als das Nichtwissen. In den 1970ern machte sich meine Mutter keine Gedanken, ihre Meinung war nicht gefragt. Ich wurde gegen Masern geimpft, und gut war. Dann wurden die Leute schlampig und dachten nicht mehr ans Impfen.

Die Masern kamen zurück, mit schweren Verläufen und Todesfällen. Die Kampagne für Masernschutz aus dem Jahr 2018, Deutschland sucht den Impfpass, holte all die Bescheidwisser ab, die sich gerade noch lustig auf Twitter gemacht hatten über Mütter vom Prenzlauer Berg, die Masernpartys feiern. Alle suchten fieberhaft nach dem Pass. Als meiner unter dem Sofa auftauchte, staunte auch ich nicht schlecht. Ich frischte meine Masernimpfung auf, es wurde auch Zeit, und traute mich, meine Impfung gegen Polio nachzuholen. Denn seit einer heftigen Impfreaktion als Kind inklusive einem Leukämieverdacht hatte ich mich nicht mehr getraut.

Nun war meine Angst vor Kinderlähmung aber größer als die Angst vor der Impfung. Und als meine Söhne gegen den HPV-Virus geimpft wurden, der sie, aber vor allem künftige Sexualpartner* vor Krebs schützt, habe ich nur gedacht, toll, dass es einen Impfschutz gibt. Nun wird einem ja immer wieder berichtet, dass die Kinder bleich reingehen und kreidebleich rauskommen. Meine Vermutung ist, weil die Sache mit Sexualität zu tun hat, und als Kind daran nur zu denken, ist ja beängstigend. Verharmlose ich mit diesem Beispiel die Angst vor der Corona-Spritze? Ich bin Laie, ich sage, dieses Mal müssen Leute wie Sie (und ich, ein wenig) die Hand vom Puls nehmen.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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