Handke wäre überrascht

Die Helikoptermutter Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit, glaubt unsere Kolumnistin
Ausgabe 48/2018
Geht doch mit der guten Laune
Geht doch mit der guten Laune

Foto: Fox Photos/Getty Images

Geben Sie es zu, Sie waren auch mal ein Kind und im nur diffus beleuchteten Untergeschoss Ihrer Seele wohnt es natürlich noch, das Kind, das Sie einmal waren. Da unten, im Souterrain des Unterbewusstseins, ist selten aufgeräumt. Meist sieht es da aus wie in einem Gerümpelkeller, und wenn Sie runtergehen, werden Sie als Erstes über diese Kiste stolpern, von der Sie sehr wohl wussten, dass Sie immer noch mittendrin im Raum steht, Sie haben sie ja höchstpersönlich dort abgestellt. Nehmen Sie es mir also nicht übel, wenn ich sage: Sie wollten stolpern. Weil wir Erwachsene Meister der Verdrängung sind, konstruieren wir Anlässe, um noch seltener runter zum Staubwischen zu müssen und lieber denken: Schwamm drüber, für ein Seelen-Feng-Shui fehlt mir die innere Einstellung, der nötige Abstand, außerdem habe ich grad wenig Zeit, über eine scheiß Kiste zu stolpern.

Erich Kästner sagte, „es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“, die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang vom Inneren Kind, welches sich durchaus freut, wenn ab und an einer mit Tee und Keksen vorbeikommt. Und zwar eben nicht, um Suggestivfragen zu stellen oder voll toll hilfreiche Tipps zu geben, wie man sein läppisches Alltagsproblem löst, sondern vielleicht mit einem besseren Glaubenssatz in der Tasche, viel besser als diese falsche und abgewetzte Phrase aus der Kindheit. Dieser Satz ist reine Poesie. Welche Worte könnten das sein?

Unverhofft kommt also wirklich Wärme in die Bude. Da gerät auch das innere Haustier im Haustier in freudige Erwartung (wenn man eins hat). Ihre getigerte Katze zum Beispiel würde Ihnen gerade am liebsten einen Adventskranz auf das Beistelltischchen neben dem Ohrensessel stellen und die erste Kerze anzünden, wenn sie das könnte. Aber so etwas geht nur in Kinderfilmen, gehört ins Reich der Fantasie. Wo mir just einfällt, der schönste Buchtitel für diese Jahreszeit ist Der lange Fünfuhrtee der Seele von Douglas Adams, ich liebe dieses Buch nur wegen seines Titels, es ist aber auch lustig.

Heute sage ich dem Kind guten Tag und denke über meine Schulzeit nach. Was auch daran liegt, dass ich eine Einladung zu einer Abifeier von Ehemaligen erhalten habe. Es ist der Termin des Jahres 2019, auf den ich mich sehr freue. Ich freue mich sehr, auch wenn man mich damals in der Abizeitung vergessen hat zu erwähnen, obwohl ich Mitglied der Chefredaktion war.

Wie war denn Ihre Schulzeit? Die Hölle, keine besonderen Vorkommnisse, verschüttete Erinnerungen? Was mich angeht, die Kreide, vom Mathelehrer zielsicher an den träumenden Kopf geschleudert, verstand ich eher als sportliche Aufmunterung. Es war nicht nett, aber so gesehen flog da nichts aus dem Hinterhalt. Man sollte jetzt einfach gefälligst aufpassen. Aber an den Namen des Englischlehrers, der uns einmal minutenlang zur Rede stellte, weil er den Namen von demjenigen wissen wollte, der gerade gepupst hatte, kann ich heute noch aufsagen.

Jeder, der nicht das bravste Kind war, kann solche Geschichten erzählen, hat markante Sätze verinnerlicht. Die ehemals Angepassten oder fast schon unheimlich Überangepassten würden jetzt vielleicht gerne zur Gitarre greifen und die stumme Wut nachträglich zum nächstbesten Fenster rausschmettern. Gute Idee! Dass ein stilles Kind kein glückliches Kind ist, musste Peter Handkes erwachsene Tochter in der Dokumentation Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte dem Vater erklären. Handke war überrascht.

Katharina Schmitz schreibt im Freitag als Die Helikoptermutter über die Unzulänglichkeiten des Familienlebens

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