Hast du eigentlich geerbt?

Reichtum Angst, falsche Solidarität, Streit – über Erbschaften schweigen die Deutschen lieber. Julia Friedrichs hat sie trotzdem zur Rede gestellt
Ausgabe 13/2015

Es ist doch so: Lange Jahre ähnelt das Leben der Freunde dem eigenen. Viele studierten, öfter etwas Brotloses. Später dann gestiegene Ansprüche, auch weil Kinder da sind. Dazwischen kommen der falsche Job, höhere Mieten, Zeit- und Werkverträge, wenige feste Stellen, noch weniger gut bezahlte feste Stellen. Oder gar kein Job. Aber nicht für alle, denn vielleicht kommt auch – eine Erbschaft.

Julia Friedrichs ist irritiert, als der erste Freund ein Berliner Townhouse bezieht. Ein anderer sucht eine Immobilie im Halbmillionensegment. Woher kommt der plötzliche Reichtum?, fragt sich die Autorin von Gestatten: Elite (2008) und Ideale: Auf der Suche nach dem, was zählt (2011) in ihrem neuen Buch Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht (Berlin Verlag). Dabei beleuchtet sie auch einen Aspekt der Gentrifizierung, den man so noch nicht bedacht hatte: „Hast du eigentlich geerbt?“

Wäre das denn ein Problem? Wo gestorben wird, wird vererbt, im Osten natürlich weniger, die West-Arbeiterkinder können aber auch nichts erwarten. Alles nur Sozialneid auf die „Reichen“ also? Ganz so einfach ist es nicht. Die Erbschaftswelle, die in den nächsten Jahren auf uns zurollt, wird das Klima in einer ohnehin brüchigen Gesellschaft weiter belasten. Bis 2020 werden in Deutschland bis zu vier Billionen Euro nahezu unversteuert vererbt, über die Hälfte der Deutschen wird jedoch nichts oder Schulden erben. Experten sprechen zum zweiten Mal nach den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg von einer „Erbengesellschaft“. Auf rund 250 Milliarden Euro wird die jährliche Erbsumme geschätzt, fast so viel wie die Steuereinnahmen im Bundeshaushalt 2014. Die Welle ist vielmehr ein Tsunami. Über zwei Jahre hat Friedrichs der alten und neuen Erbengeneration nachgespürt, sie hat mit Freunden und Bekannten gesprochen. Es sind Erben, die Dankbarkeit fühlen, aber auch großes Unbehagen und eine Last. Sie wissen, das Erbe ermöglicht einen Lebensstil, für den man – nun ja – nichts geleistet hat.

Götz Werner ist stolz

Manche hätten lieber Steuern gezahlt. Sie hat prominente Superreiche getroffen, vergeblich an versperrte Türen geklopft, eine Bittstellerei, die sie einmal richtig wütend werden lässt. Sie hat eine boomende Branche entdeckt, mit Erbanwälten, Notaren, Nachlassverwaltern und Nachfolgeberatern, hat in Abgründe geschaut mit Unglück, Streit und Mord.

Sie hat Redselige wie den dm-Gründer Götz Werner gesprochen. Der Patriarch erklärt stolz, mit der dm-Stiftung habe er sein Eigentum „neutralisiert“ und seine sieben Kinder vor jeweils um die 160 Millionen Euro bewahrt. Das ist vorbildlich, aber dafür ist die gemeinnützige Stiftung ziemlich geheimniskrämerisch organisiert. Sind Stiftungen die Lösung? Nein, meint ein Stiftungs-Experte: „Die Bürger lassen sich eines ihrer vornehmsten Rechte abkaufen, nämlich gemeinschaftlich organisiert über Parteien und Parlamente darüber zu befinden, wofür der Staat sein Geld ausgibt.“

Braucht Deutschland neue Eigentums- und Nachfolgeformen? Ja! Aber der Kampf gegen den Feudalkapitalismus erweist sich angesichts dynastischen Denkens als schwierig. Erbschafts- wie Vermögenssteuer sind angstbesetzte, komplizierte Themen, kontaminiert durch Kampfbegriffe wie Sozialneid und Enteignung. Es gibt falsche Solidarität, denn man könnte ja selbst Glück haben und erben. Es ist kein Thema fürs Wahlprogramm, niemand will die Klientel verschrecken. Interessant: Friedrichs findet heraus, dass Führungskräfte, die aus der Mittelschicht oder Arbeiterklasse stammen, eher kein Problem mit höheren Steuern auf Vermögen und Erbschaften haben. Alt-Reichen scheint die Abneigung gegen Steuern in die Wiege gelegt. Symptomatisch ist der Streit um das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dabei muss der Staat nur die technische Ausgestaltung eines Privilegs überarbeiten, das die Richter nicht in Frage stellten: Firmenerben dürfen von der Erbschaftssteuer befreit werden.

Unwillige Stammhalter

Keine Frage, für den Mittelstand und insbesondere Familienbetriebe werden die Probleme größer. Jahr für Jahr müssen 22.000 von ihnen einen Nachfolger finden, jedes vierte Unternehmen soll vor einem Eigentümerwechsel stehen. Aber zwei Drittel haben Schwierigkeiten, die Nachfolge zu regeln. Das Problem: sture Patriarchen und lustlose Stammhalter. Friedrichs fragt zu Recht: Passt das Buddenbrook’sche Prinzip überhaupt in unsere moderne Welt, wenn die Söhne und Töchter oft gar nicht in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen? Jedenfalls scheint die Nachfolgefrage das größere Problem für die Volkswirtschaft.

Was macht der Tsunami mit uns? Ist Deutschland noch das Land mit dem Bildungsversprechen, wo Fleiß mit Aufstieg honoriert wird? Nein, urteilt Friedrichs. Die nivellierte Mittelschichtsgesellschaft der Nachkriegsjahre existiere nicht mehr, wenn nur der in bessere Bildung investieren und ein Vermögen aufbauen kann, der erbt. Wird sich daran etwas ändern?

Thomas Piketty sagte, die Renaissance der Erbengesellschaft sei ein Szenario, aber kein unvermeidbares. Julia Friedrichs ist da sehr skeptisch.

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