Heidi Klum, ihre Tochter Leni Klum und eine Dessous-Kampagne für Intimissimi: Ein Skandal?
Meinung Heidi Klum und die 19-jährige Leni Klum präsentieren sich ziemlich lasziv als Mutter und Tochter für eine Dessouskampagne. Es ist die erste gemeinsame Werbekampagne der beiden. Die Aufregung ist groß. Unverhältnismäßig groß?
Sexistische Kackscheisse. Wirklich? Nicht so schnell
Foto: Stefan Zeitz / Imago
Ach, könnte man „der Klum“ doch endlich mal ultimativ eins auswischen, vielleicht klappt es ja diesmal? Auf die großformatigen Plakate, die das Model samt Tochter für eine Dessous-Kampagne händchenhaltend und mit erotischen Blicken zeigen, reagieren derzeit nicht nur Klums größte Kritiker, sondern auch Wohlmeinende mit Verstörung und Empörung – vollkommen zu Recht einerseits, andererseits wirkt die Aufregung auch sehr wie ein gefundenes Fressen für die Klum-Feinde.
Seit fast zwanzig Jahren arbeiten sich die Klum-Feinde an Germanys erfolgreichstem Topmodel ab. Klums Casting-Show Germanys Next Topmodel, die im Juni ins 18. Finale geht, ist das TV-Hassformat schlechthin. Als zynisch und menschenverachtend empfinden viele, wie teils
en viele, wie teils genüsslich die Moderatorin ihre Kandidatinnen vor versammelten Millionen-Publikum traditionell herunterputzt; erst in der letzten Folge wieder, als sie der 20-jährigen Mirella aus Berlin bescheinigte, ihre „Pose“ habe ausgesehen, als hätte sie sich Spaghetti aus dem Gesicht gewischt. Was ja noch ging. Der Kandidatin Nina jedoch, die am letzten Donnerstag den Einzug unter die Top Ten verpasste, bescheinigte die Klum, dass sie im „Shoot“ nichts geboten habe, an das man sich in drei Wochen noch erinnern würde. Das war hart. Niemand Besonderes zu sein, gilt in unserer Welt bekanntlich als größtmögliches Defizit.Es kam aber noch übler: Statt wie ein „rich girl“ auszusehen, urteilte der Fotograf, habe sie im Shooting wie eine „Reinigungskraft“ ausgesehen. Das ist unschön, zugegeben, vor allem extrem despektierlich gegenüber dem Beruf der Reinigungskraft. So ein überheblicher Gockel und auch das Shooting-Thema „rich girl“: saudoof, völlig daneben, angesichts von Krieg und Klimawandel. Weshalb Nina wohl auch mit dem Thema intuitiv fremdelte. Aber dass die bodenständige Klum den Model-Traum einer Kandidatin auch mal brachial beendet, ist ein Realitätssinn, mit dem die Kandidatinnen, die ja allesamt seit Kindesbeinen zuschauen und das Prinzip kennen, einfach auch rechnen und ein Schmerz, der auf lange Sicht vielleicht wohltut: dann studiert man halt doch weiter Medizin. Die fast zwanzig Jahre alte Frage ist doch: Sind die Kandidatinnen ernsthaft so manipuliert und Klum-gebrainwashed, dass sie das Urteil als gerecht empfinden oder sind die Klum-Urteile hart, aber am Ende gerecht, was eine Mischung ist, die viele Lehrer:innen an Schulen nicht immer so beherzigen.Kommt gerne aus der Fashionkiste: Roger Willemsens legendärer FurorDie Klum-Hasser jedenfalls wenden seit Jahren eine Riesenmühe darauf, den verblendeten Klum-Anhängern die Augen zu öffnen. Der Hass auf das Format und die Klum hat hohe Einschaltquoten, immer wieder gerne wird aus der Fashionkiste Roger Willemsens legendär gewordener Furor gegen die Klum geholt, als hätte sich die Welt seither nicht etwas gedreht, als würde nicht die ganze Welt etwas mehr Mühe darauf verwenden, besser auszusehen, ein Hobby, das teils krankhafte Züge trägt, aber daran ist doch wahrlich nicht nur die Klum Schuld.Natürlich wäre es schöner, wenn wir alle weniger oberflächlich wären, weniger anfällig für Kosmetik und Lifestyle, aber, jetzt mal ohne Make-Up: die Aktivistin Luisa Neubauer, nur so ein Beispiel, wirkt auch nicht unverführbar und die grüne Annalena Baerbock (Außenministerin, super Beruf) pflegt hehre Ideale und muss ja aber leider ständig unschöne Kompromisse schließen, dank ihrem stets makellosen Äußeren wirkt sie davon ja aber nie mitgenommen. Wie viel Zeit sie wohl für ihr Outfit gedanklich aufwendet?Sowieso: Man muss zum Beispiel auch konzedieren. Bei GNTM wird Diversity in alle Richtungen gepflegt, so durchsichtig wie manches Dessous natürlich auch, weil es der Imagepflege der ganzen Branche dient. Wenn es hilft, progressive Positionen zu pushen, warum nicht. Ideal wäre natürlich, das Thema Nachhaltigkeit käme vor. Aber man muss auch realistisch bleiben. Aber woher das Vorurteil kommt, in der Konsumindustrie könne das alles ausschließlich Fassade sein, es leuchtet nicht ein. Zählt man die progressiven Trends nochmal auf: Magermodels sind längst tabu. Und unter die Top Ten hat es gerade wieder eine 49-Jährige geschafft. Zwei Schwarze Frauen sind im Rennen. Ein Oversize-Model. Außerdem die Trans-Person Mirella, der niemand paternalistisch vorschreiben sollte, wie und wo sie ihre Emanzipationsgeschichte erzählt.Auch das Vorurteil, Models seien doof, ist seit Jahren entkräftet. Nicht nachgeprüft, aber nach der Eloquenz der „Mädchen“ zu urteilen, haben auch in der 18. Staffel 80 Prozent Abitur. Letzte Woche flog eine Medizinstudentin raus, die der Welt nach eigenen Angaben zeigen wollte, dass man Ärztin sein kann und Model. Und wenn es heißt, die doch recht biedere Klum sei ein schlechtes Vorbild, muss man sich schon einmal fragen, wieso eigentlich? Ihr Privatleben wirkt ziemlich skandalfrei und aufgeräumt. Ihr Optimismus wirkt ansteckend. Ihr „healthy lifestyle“ muss als vorbildlich gelten. Der Fleiß ebenso. Seit fast zwanzig Jahren arbeiten die gleichen Fotografen am Set, es herrscht ein freundschaftliches Klima. Klums vermeintliche Opfer sind teils richtig gut im Geschäft, sei es als Moderatorin oder Designerin.Sollte man Frauen in Unterwäsche abfällig bezeichnen?Und es kann ja nicht jedes Mädchen Biologin, Ärztin oder Ingenieurin werden wollen, das muss die strenge Feministin, die sich das anders wünscht, gelegentlich akzeptieren. Und wie gesagt: öfter gehen auch beide Karrierewege. Es fällt aber schwer. Zurück zu der Dessouskampagne. Unbestritten, die Plakate haben einen äußerst merkwürdigen Beigeschmack, es ist sexistische Kackscheiße. Es ist unangenehm, weil die beiden sich an der Hand halten, weil die 19-jährige Tochter kindlich und gleichzeitig traurig in die Kamera blickt, als würde sie geopfert. Von der Mutter. Gerade die Augen und der kindliche Gesichtsausdruck wirken verstörend. In der FAZ reichte der Anblick, um Heidi Klum eine „Puffmutter“ zu nennen. Was ja aber auch diskriminierend klingt, dieses Mal gegenüber Prostituierten. Ist es nicht verräterisch, solche Schimpfworte zu reproduzieren? Fraglich, ob man Frauen in Unterwäsche so abfällig bezeichnen sollte, auch wenn sie Heidi Klum heißen.Ganz anders wirkt übrigens der Werbespot. Hier feiern zwei Frauen, Mutter und Tochter, spielerisch das Leben, im Hintergrund läuft eine italienische Oper. Die beiden vermitteln ein positives Körpergefühl, nur das kann man in diesem Spot ablesen, die Unterwäsche tragen die Frauen für sich selbst, nicht um irgendeinem „lüsternen“ Blick zu gefallen. Auch deshalb ist das Foto falsch gewählt, es reproduziert das Vorurteil, der Blick auf weibliche Körper könnte nur „lüstern“ sein von Menschen, die noch „Puffmutter“ sagen.Nachwuchsmodell Leni Klum äußerte sich zu den Reaktionen wie folgt: „Ich hatte einen wunderbaren Tag mit meiner Mutter. Ich finde, die Fotos sind toll geworden und wir hatten eine tolle Zeit“. Es gibt keinen Grund zu insinuieren, dass sie das nicht genauso meint.