Man könnte neidisch werden auf die sexy kreativen Berliner Freiberufler, wäre da nicht das – fehlende – Geld. In einer Zeit, in der eine reichlich spät abgeschlossene Riesterrente immerhin psychologisch abpolstert, sind selbst Unabhängigkeitsliebende froh, in einem gewissen Arbeitsverhältnis zu stehen. Mit Kindern dann kriegen die so genannten pragmatischen Entscheidungen oder die guten Kompromisse überraschend noch mehr Appeal.
In Dürfen ist Pflicht von Petra Lehmkuhl spielen die Leute mit den „ordentlichen Berufen“ fast keine Rolle, es sind die, die immer so viele Fragen stellen und am Abend früh nach Hause gehen. Wäre der berühmt gewordene Herr Lehmann nicht einer dieser Langzeitstudenten, die in den Kreuzberger Kn
zberger Kneipen der neunziger Jahre versackten, sondern eine Frau und in der Berliner Kunstszene leidlich erfolgreich, hieß er vielleicht Frollein Monika und fände sich in Petra Lehmkuhls Debütroman wieder. Monika und ihre ebenfalls nicht mehr ganz so jungen Freundinnen, Frau Ebers, die Schauspielerin, und Irene sind das, was man heute kreatives Prekariat nennt. Wie gut es so läuft, kann man sich ausrechnen, wenn die Post der Telekom unter dem Stapel ungeöffneter Briefe professionell vergessen wird, Frau Ebers beim letzten Casting mal wieder zu alt für die Rolle war und Irenes Fotokunst inzwischen von einem interessanten Hobby kaum zu unterscheiden ist.Wiederholung in VariationenAm liebsten verhandeln die Damen ihre privaten Schieflagen, am späteren Vormittag beim exzessiven Kaffee trinken und Zigaretten rauchen, abends „bei sich summierenden Getränken“ und exzessivem Zigaretten rauchen. Doch selbst im Arm-aber-sexy-Berlin gibt es nicht mehr viele Biotope, wo das Leben der Bohème fraglos möglich ist, vor allem ab einem gewissen Alter nicht. Kreuzberg zählt – in Teilen – zu ihren letzten Orten. Hier pflegen die drei Protagonisten neben oder im Zuge des ausschweifenden Trinkens ein bisschen Promiskuität und erleben skurrile Abenteuer, die man tags drauf gruselig oder lächerlich findet wie den Sex im Kinderzimmer des Kindes eines Teilzeitpapas. Monika hält sich eine schrille Ersatzmutter und hat zuweilen Spaß daran, die abgehalfterte Neunziger-Bohème zu Tränen zu rühren, nicht ohne diesen absurden Kitsch plötzlich ganz grässlich zu finden. Die „Qualitätsmutter“ aus Pankow wird nur toleriert, weil sie bitte nicht über ihre Kinder redet, deren Namen niemand nennt.Freundschaft, Liebe und vor allem die Kinderfrage werden auf Distanz gehalten. Und wenn alle halbwegs bürgerlichen Koordinaten selbst für die in den ordentlichen Berufen nicht mehr das sind, was sie scheinen, wie kann man dann ein exklusives Lebensgefühl für sich allein beanspruchen? Ohnehin – das Leben scheint eine einzige banale Wiederholung in Variationen. Letztlich generationstypische Erkenntnisse, das macht die Lage noch vertrackter.Bleibt einstweilen die Flucht in die Ironie als bewährte Überlebensstrategie, und hier schafft es die Autorin meisterlich, die ironisch distanzierte Dauerreflexion der Lage zwischen Witz und Melancholie auszubalancieren.Zuweilen wird es sarkastisch; so einfach ist die Leere nicht mehr wegzutrinken und immer öfter gesellt sich zur bösen konsequenten Überheblichkeit bei Frollein Monika auch eine stille Ahnung von Abschied, eine unsichere Sentimentalität, die Stimmung schwankt in einer Art, als könnte sie bald kippen. Da ist die starke Sehnsucht nach einer Zäsur.Gesellige LethargieAn einem der ungezählten Ende-Offen-Abende lernt Monika den lässig forschen Allesdurchschauer Andreas kennen („Sollen wir heiraten und Kinder kriegen?“ lautet sein Einstiegssatz). Es beginnt eine Affäre, die aus den Fugen gerät, das bringt Sensation in die gesellige Lethargie der Freundinnen, kontrollierte Aufregung liegt in der Luft.Petra Lehmkuhl, gebürtige Bremerin und 35-jährige open-mike Preisträgerin, schreibt über eine (Großstadt)-Generation, die noch den zartesten Ansatz einer existentielle Erfahrung in einen abgeklärten Kontext stellt. Wieder einmal avancierte Popliteratur aus Berlin also. Aber wo ein Sven Regener seine unerfahrenen Protagonisten komisch ins verrückte Chaos stürzt, sind die Frauen in Dürfen ist Pflicht schwer zu überraschen, wie auch? – noch mitten im Dilemma, ist das Lebensgefühl schon fertig analysiert, es ist, als verhielte man sich wie in einer schon fertigen Sozialstudie, weiß das und kommt doch nicht raus. Nur gegen Ende ihres gelungen Romans lässt Lehkuhl die Türe einen kleinen Spalt weit offen. So entspinnt sich dieser kleine Dialog zwischen Monika und Thomas:Was hast Du gemacht, nur warum ich es wollte?mit Kondomen verhütenmit Pille verhütennett zu Deiner Familie seinnichtsnichts