Psychoterror

Psychotherapie Jens Spahns Reformpläne für die Suche nach einem Therapeuten sind reine Schikane
Ausgabe 50/2018
Vermutlich nicht behandlungsbedürftig, aber politisch manchmal umnachtet: Jens Spahn
Vermutlich nicht behandlungsbedürftig, aber politisch manchmal umnachtet: Jens Spahn

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ein Mann geht zum Arzt, in seinem Ohr fiept es. Fragt der Arzt (im Rahmen der Besuchspauschale, bei einem Mann um die 50 sind das 30,66 Euro pro Quartal), was los ist, ob er Stress hat. Klingt wie ein Witz, zugegeben, Männer gehen nur im Notfall zum Arzt, viel seltener als Frauen. In diesem idealen Fallbeispiel führt der Arzt nun ein „problemorientiertes Gespräch“, für das er alle zehn Minuten zusätzlich knapp zehn Euro abrechnen darf. Der Mann, der wegen Ohrenfiepens kam, weint jetzt plötzlich, der Arzt fragt, ob der Patient schon einmal über eine Psychotherapie nachgedacht hat. Männer sind noch größere Therapiemuffel, wahrscheinlicher ist jetzt also, dass der Mann sich krankschreiben lässt, dann weitermacht wie bisher, Ende offen, dabei – Stichwort toxische Männlichkeit – könnten Gespräche helfen?

Wie subtiler Psychoterror kommt nun die Idee daher, Betroffene sollen mit einem weiteren „Experten“ sprechen, ihr Leiden quasi beweisen und mehrmals Einblick in ihr Seelenleben geben. Der Hausarzt aus dem Beispiel ist nach Gesundheitsminister Jens Spahn kein Experte. Also zu einem Amtsarzt?! Dabei ist die Krankheitseinsicht bei unserem Mann mit dem fiependen Ohr das größte Problem!

Spahns Ideen für eine Strukturreform der psychotherapeutischen Versorgung klingen nach Schikane, Erinnerungen an seine ‚Hartz-IV-Expertisen‘ werden wach. Ärzte und Betroffene reagierten entsetzt. Eine Petition sammelte binnen kurzer Zeit 130.000 Stimmen.

Nicht genug, dass Patienten mit einer Überweisung vom Arzt erst eine lange Liste von Therapeuten anrufen müssen – was sportlich ist, außerhalb der Arbeitszeit, mit mittelschwerer Antriebsschwäche! Ist dann ein Therapeut gefunden, beträgt die Wartezeit auf einen Platz bis zu einem Jahr. Mit Spahn würde eine „Akutbehandlung“ zwar einfacher, allerdings würden reguläre Plätze wegfallen. Deprimierend – man muss dem Gesundheitsminister erklären, was das Problem seelischer Probleme ist: Sie werden oft verdrängt, bis der Tinnitus irreparabel ist oder irgendein anderes Symptom den Kranken komplett und für länger richtig außer Gefecht setzt. Fazit: Es braucht mehr Zulassungen für Therapeuten, nicht mehr Bürokratie, und vor allem eine Rehabilitation der Psychotherapie, sie ist kein Wellnessgedöns.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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