Mutter zu werden mit 43, das sei ungefähr so gesellschaftsfähig wie die NPD zu wählen, schrieb Susanne Fischer im Freitag. Dabei schwärmte sie von ihrem eigenen späten Mutterglück. Partnerschaft, Karriere, Finanzen, all das habe sich bei ihr im Grunde optimal gefügt. Wenn nun noch die gesellschaftliche Akzeptanz hinzukäme, die sie bisher vermisst, wäre alles schick.
Wow, dachte ich, mein Leben sieht anders aus. Sieht doch ziemlich nach Kompromiss aus. Klar, Forty-Something-Gejammere von späten Müttern kommt nicht so gut. Zum Jammern gäbe es aber schon reichlich Anlass. Angefangen beim Karriere-Irrtum. Fischer schreibt: „Als späte Mutter kann ich entspannt auf all die Dinge zurückblicken, die ich erreicht habe, weil ich nicht schon vor zehn, fünfzehn Jahren Mutter geworden bin.“ Statistisch betrachtet haben Akademikermütter über 200.000 Euro verdient, bis sie Mütter werden. Hm, mein Leben, und das vieler meiner Freunde und Bekannten, verlief anders. Ein statistischer Mittelwert sagt einfach nicht viel über konkrete Biografien aus.
Dass ich spät erst Mutter geworden bin, ist eine Volte meines Lebens, war aber nie Teil eines großen Plans. Die Gründe bastele ich mir zusammen: bei der Politik, bei Eliteforschern, in der Familiengeschichte, beim typischen Neunziger-Jahre-Studium, dem Arbeitsmarkt und dem Aktiencrash.
Ich habe zwei Söhne im Alter von sechs und drei Jahren. Ich war spät dran, aber noch nicht 40 Jahre alt; psychologisch wurde das von unsinnig großer Bedeutung. Ich musste mich trotzdem mit Fragen einer Risikoschwangerschaft auseinandersetzen. Welche pränatalen Tests kann ich vertreten? Riskiere ich eine Fruchtwasseruntersuchung, weil ich mir ein Leben mit einem Down-Syndrom-Kind nicht vorstellen kann? Das entscheidet man nicht so leicht.
Ausgesourcte Betreuung
Susanne Fischer irrt zudem, wenn sie schreibt, es sei heute gesellschaftlich erwünscht, dass eine Mutter möglichst lange bei ihrem Kind bleibt. Das ist es eben nicht. Mütter sollen möglichst schnell zurück auf den Arbeitsmarkt, weil es die Wirtschaft so will. Und weil die emanzipierte Frau die Altersvorsorge heute selbst organisieren muss. Sonst hat sie Pech gehabt. Vom Feminismus fühle ich mich in diesen Fragen zunehmend verraten: Unterhalt nach einer Scheidung. Ehegattensplitting – das gilt alles als emanzipationsfeindliches Gedöns. Dabei merkt der Feminismus nicht, wie er hier einer neoliberalen Wirtschaft in die Hände spielt, einer Gesellschaft, die wir sonst doch so einig zum Teufel wünschen.
Welch eine Freude zuletzt, als die Süddeutsche Zeitung debattierte, ob Deutschland zu einer Art Outsourcing-Betreuungsgesellschaft mutiere, in der bald nur noch der Staat die Obhut für Alte, Kranke und Kinder übernehme, damit der Rest arbeiten kann. Endlich mal Stimmen, die sagen, ein Fulltime-Job mit Kindern ist ziemlich tough. Nicht nur in Zeiten, wo ein Kind Eltern braucht, bei fiebriger Erkältung zum Beispiel, was häufig im Kleinkindalter vorkommt – und was Arbeitgeber auch genau wissen, weshalb sie gut ausgebildete Mütter nicht so gern einstellen. Und wenn die schon über 40 sind, noch mal weniger gern.
Seit der Geburt meiner Kinder arbeite ich freiberuflich. Jede Woche einmal drücke ich den Anruf meines Versicherungsberaters weg. Er will mit mir Pläne schmieden. Ich habe keine. Klassische Hausfrauenehe? Sieht wohl so aus. Ich nenne es Improvisation. Klingt besser. Andere Freundinnen improvisieren, weil das Kind Neurodermitis hat oder der Mann in Mainz dafür den Topjob fand, die Mutter aber ein Pflegefall ist. Es gibt so viele Konstellationen. Nicht alles ist eine Frage der Organisation. Nobel sagt die Alleinerziehenden-Freundin: Tja, wir müssen wohl alle mit weniger auskommen.
Und hält die Liebe nicht, war ich dann Low-Performerin? Denn eigentlich ist es ja ein schönes Leben. Zu wissen, dass meine Kinder nicht die Ersten morgens in der Kita sind und abends nicht die Letzten. Wenn mein Sohn nächstes Jahr ein Schulkind wird, habe ich auch Zeit, sollte er mich stärker brauchen. Die meisten Frauen haben nicht einmal diesen Spielraum. Sie sitzen bei Aldi an der Kasse, arbeiten im Pflegeheim, die Altersarmut ist ihnen sicher. Wie uns Low-Performer-Frauen.
Kooperativer Erziehungsstil
Jammern ist nicht schön. Weshalb auch darüber nicht gesprochen wird: Das Leben mit Kleinkindern ist anstrengend, besonders für späte Eltern. Mit zwei wilden Jungs wird es manchmal sogar wahnsinnig anstrengend. Ein Teil der Gender-Fraktion will mir das ausreden (wo früher jeder gesagt hätte: zwei Jungs, alles klar). Mein Späte-Eltern-Freundeskreis beruhigt mich: Ich bin nicht die Einzige, die an Grenzen gerät. Als moderne Eltern versucht man den kooperativen Erziehungsstil und scheitert doch jeden Tag aufs Lächerlichste, verfällt in autoritäre Muster, welch ein Ausdruck von Machtlosigkeit. Die Kleinen wollen Bäume ausreißen, ich nicht. Dann hat man ein schlechtes Gewissen, weil einem Zeitschriften wie Nido – augenzwinkernd versteht sich – etwas anderes vorgaukeln.
Es folgt die Totschlagkritik: Ihr Helikoptereltern! Wir späten Akademiker-Eltern sind ja überhaupt die erste Generation, die ein Bashing von allen, wirklich allen Seiten erlebt. Erst umzingelt man uns mit Erziehungsphilosophen und Untergangssachbüchern, dann sollen wir bitte unserer Intuition vertrauen. Wir sind Helikoptereltern, die ihre Kinder am liebsten bis zur Uni an die Hand nehmen. „Lasst die Kinder doch ihr Ding machen!“ Tja: Wir können in Berlin nicht einfach die Tür aufmachen und sagen: „Jetzt aber mal raus hier!“
In meinem privaten „Gute-Texte-Archiv“ liegt eine Kolumne der Brigitte-Autorin Julia Karnick. Darin beichtete sie mit komischer Tragik, sie habe in den Kleinkindjahren so viel geschimpft und miese Laune gehabt wie nie zuvor im Leben. Genau, es ist als Spätgebärende eben nicht so super toll mit Kind oder gar mehreren Kindern.
Wir späten Mütter haben zwar auch eine gewisse Gelassenheit, wir können etwa auf einer Party um 23 Uhr nach Hause gehen. Und wissen: Wir verpassen fast nichts, höchstens den begehrenden Blick, den man gerne heimlich erhascht hätte – ach ja.
Ich kenne eine Frauenärztin, die sagt, Mütter wollen ab 40 noch einmal richtig loslegen, und gleichzeitig rennt die Zeit davon. Junge Mütter sind entspannter, in der Schwangerschaft und später. Es ist ein Vorteil, nicht alles zu wissen, weil man weniger hinterfragt. Jung zu sein, heißt aus meiner wehmütigen Perspektive, sich zu ärgern und dabei bella figura zu machen. Tauschen möchte ich trotzdem niemals.
Replik Im „Freitag“ 44/13 schrieb Susanne Fischer einen persönlichen Text über das Glück, eine späte Mutter zu sein. Da sei man einfach viel entspannter. Katharina Schmitz widerspricht ihr
Katharina Schmitz, geboren 1970, arbeitet als Journalistin in Berlin. Ihre Söhne werden vom Mann in die Kita gebracht, später von ihr geholt
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