KulturPass für 18-Jährige: Kostenlos ins Konzert – aber mindestens auch zum Frisör!

Meinung Konzerte, Kino und Theater kostenlos: Mit dem „KulturPass“ bekommen 18-Jährige ab 2023 freien Eintritt bis zu einem Gegenwert von 200 Euro. Ist das eine gute Idee?
Ausgabe 46/2022
Auf Punkkonzerten wären die 200 Euro gut angelegt
Auf Punkkonzerten wären die 200 Euro gut angelegt

Foto: Imago/Momentphoto/Killig

Ein Schuft, wer Böses dabei denkt: Ab dem kommenden Jahr bekommen 18-Jährige ein besonderes Geburtstagsgeschenk von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Volljährige dürfen dann nicht nur das erste Mal wählen, sondern sie erhalten auch „fette“ 200 Euro für „irgendwas mit Kultur“. Bei den betroffenen Personen bleibt das eventuell in guter Erinnerung, könnte das Kalkül der Ampelkoalition sein. Und das sind laut Statistischem Bundesamt immerhin 750.000 junge Menschen.

(Wahl)strategisch smart wäre natürlich, wenn das Geld direkt einer Partei zugeordnet werden könnte. Denn junge Erwachsene gehören bekanntlich der süß verpeilten, unverschämt undankbaren Generation an – zumindest der semi-politisierte, immer noch sehr konsumaffine Teil, und das sind ja auch nicht wenige.

Vielleicht ist der „KulturPass für 18-Jährige“ auch ein Gesamtkunstwerk. Vielleicht hat die Ampelkoalition auch keinen anderen Hintersinn, außer dem, dass die Aktion als Finanzspritze für die darbende Kulturindustrie gedacht ist, die seit der Corona-Pandemie mit dramatischem Besucherschwund zu kämpfen hat. Ob sie einen Jugendlichen nach der Isolation durch die Pandemie damit von Netflix weg ausgerechnet ins Theater oder Museum lockt? Als Regisseur würde man sagen: was für ein Kitsch! Da war der Werbespot von Penny dazu künstlerisch inspirierter.

Ein „KulturPass“ für 18-Jährige – warum zunächst nur feierlich offiziell Volljährige in den gesponserten Kulturgenuss kommen sollen und nicht zum Beispiel 14- oder 16-Jährige, man versteht es nicht ganz. Mit 16 gilt man doch als mündig genug zum Wählen, zumindest in der Ampelkoalition, die ja nicht nur für eine Herabsetzung des Wahlalters auf kommunaler Ebene plädiert. Sie hat sich dafür bei der kommenden Bundestagswahl eingesetzt. Für die Europawahlen 2024 hat sie eine Änderung des Wahlgesetzes auf den Weg gebracht. Wählen ab 16 Jahren ist dann möglich.

Entschuldigung für das Genörgel, aber „KulturPass ab 18“ klingt einfach auch nicht progressiv. Mit 18 ändert sich juristisch viel, vor allem der Umgang mit Geld. Das Kind ist hoffentlich zu alt für Taschengeld, Eltern können auch nicht mehr über das Kindergeld nach Gusto verfügen. Ab 18 teilen sich getrennt erziehende Eltern den Unterhalt, Banken schreiben aufwiegelnde Briefe an die gerade Volljährigen und klären auf, was die Eltern jetzt nicht mehr dürfen. Vielleicht ist die volljährige Auszubildende, die Studentin, irgendwie tätig, definitiv mitten drin in diesem Erwachsenen-Life. Wie passt hier ideell ein Taschengeld für Kultur vom Staat dazu?

Wo ist das Popcorn für 16-Jährige?

Sowieso. 16 ist längst das neue 18. Mindestens. Man weiß nicht, was die Ampelkoalition denkt, aber eigentlich gehen schon 14-Jährige eigenverantwortlich ins Kino, sie haben Lust auf neue coole Sneaker, eine gelabelte Mütze, das alles gehört subtil auch zu ihrer (Sub-)Kultur, sie brauchen dafür aber Geld, denn sie dürfen bisher als Nebenverdienst nur Zeitung austragen. Dann, mit dem ersten Schülerjob bei Lidl, lernt das Kind doch hoffentlich sukzessive – und das ist nicht immer glamourös – auf den berühmten eigenen Beinen zu stehen. Womöglich an der Theaterkasse. Und „Kultur“, das war doch früher mal das, wofür man auch ein bisschen gearbeitet hatte und/oder gespart, was das Kulturerlebnis als „Thrill“ in der Regel exponentiell erhöhte. Der Mangel war der Thrill, auch wenn das jetzt retro klingt. Ein paar „kulturelle Hürden“ gerade in Zeiten totaler Reizüberflutung, wirken der kulturellen Beliebigkeit entgegen, auch wenn das jetzt sehr retro klingt. Kompensiert wird die Pandemie ohnehin eher durch jugendüblichen Exzess, fraglich, ob die Ampelkoalition dafür den KulturPass vorgesehen hat.

Und nochmal. Wieso eigentlich „Pass“? Soll der/die 18-Jährige sich danach als kompetent ausweisen? Muss der/die 18-Jährige verschiedene Kulturevents „passieren“, brav abhaken und ist er/sie* dann ein kulturaffiner Mensch nach den klassischen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft? Man stelle sich vor, dass alles geht mit dem KulturPass, Hauptsache „Kultur“ steht drauf, also zum Beispiel Freunde ins Kino einladen, auch 16-jährige Kumpels in einen Film ab 18. Plus Popcorn. Oder ein Spotify-Abo. Erlaubt. Verboten? Kompliziert, weil, ist ja kein Vinyl? Idee und Ausführung könnten trickreich geraten. Dass die Kulturbranche Hilfen braucht, darüber besteht ja kein Zweifel, aber was junge Menschen angeht, unwahrscheinlich, dass solche Spezialeffekte nachhaltige Effekte erzielen statt reiner Mitnahmeeffekte. Aber vielleicht ist das furchtbar kulturpessimistisch genörgelt.

Die KulturApp hat europäische Vorbilder. Ein Guthaben für Kultur, die Franzosen, zu lesen war von sogar 500 Euro, führten das Guthaben nach Italien ein, wo der Kultur-Pass mittels Gutscheinsystem wohl nicht so gut funktionierte, die Gutscheine wurden verkauft, Italiener:innen halt, Spaß! Aber ernsthaft: Subversiv mit "Kultur(förderung)" umgehen, meinem Sohn würde ich den „kreativen“ Umgang damit nicht abschlagen, wenn denn Kultur nicht im Staatsauftrag für den guten Zweck konsumiert werden soll. Es gibt noch einen Unterschied zum französischen „pass culture“, Emmanuel Macron wollte für die Finanzierung Amazon, Google und Co. ins Boot holen. Das deutsche Modell will die digitale Kulturindustrie bewusst ausgrenzen, was unbedingt gut gemeint ist. Aber ist das durchdacht? Und nicht irgendwie auch Gängelung? Was ist dann mit der Kinokette und dem Blockbuster-Film, den der 18-Jährige sehen will? Ist Buch x gewünscht, aber bestellen darf Bibi es bloß nicht bei Amazon? Und wenn der KulturPass wie geplant dann bei Gelingen auch 15- bis 17-Jährigen zugutekäme, dürfte die Sache ohne die Internetriesen ein teurer Spaß werden.

„Wir wollen junge Menschen für die Vielfalt der Kultur in unserem Land begeistern“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei einem Pressetermin mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Also wenn ich 15, 16, 18 wäre, aber egal, Geld ist natürlich immer super, denn einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins ...

Bei der Vorstellung 2017 in Frankreich hatte Premierminister Édouard Philippe wohl recht pathetisch gesagt: „Auch die Kultur führt uns zusammen – unsere Sprache, unser Erbe, das, wofür Frankreich in der ganzen Welt bewundert wird. Und was all jene hassen, die unser Land in den letzten Jahren mit blankem Terror mehrmals angegriffen haben. Sie hassen das alles, Zeichnungen, Bücher, Musik, die Theater, weil sie ganz genau wissen, dass es eine unerschöpfliche Quelle ist: für das Nachdenken, für die Emanzipation, für das Glück.“

In Deutschland neigt man historisch belastet zum Glück (meistens) nicht zu derlei Pathos, aber ein weniger verspanntes Verhältnis zur „Kultur“, weniger pädagogisch ausgerichtet, bildungsbürgerlich motiviert, systemrelevant gedacht, wäre doch besser, zum Beispiel, wenn Josephine, 18 Jahre alt, wenn schon denn schon auf der App wählen könnte: Balayage beim Frisör, 10 Songs auf Apple, für Samstag zwei Plätze im ukrainischen Restaurant.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin Kultur

Katharina Schmitz

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