Liebe ist doch das Wichtigste

Familie Die Ratgeber über Kindererziehung kann man vergessen. Hauptsache die Fürsorge stimmt, weiß unsere Kolumnistin
Ausgabe 24/2019
„Junge, du lässt dir nie wieder die Schuhe von Deiner Mutter binden, nie wieder, hörst du?!“ Das macht der Papa nämlich lieber selbst
„Junge, du lässt dir nie wieder die Schuhe von Deiner Mutter binden, nie wieder, hörst du?!“ Das macht der Papa nämlich lieber selbst

Foto: Imago Images/Photothek

In der Kindererziehung läuft vieles falsch. In diesem Wissen handeln Lehrer, Bestsellerautoren, meine Schwester, diverse Omas und Tanten, definitiv auch unser Hausmeister. Dazu kommt der Patchwork-Wahnsinn mit allen temporär/langfristig an der Erziehung Beteiligten, „wer weiß, wie lange das diesmal hält“, unkt die Oma angesichts der heutigen für ihre Verhältnisse übertrieben „flexiblen“ Verbindungen, Augen zu und durch, denkt sie, Hauptsache dem Enkel geht’s gut.

Erziehen die Eltern das gemeinsame Kind nicht mehr gemeinsam, sondern getrennt voneinander und kommt ein neuer Partner auf nicht absehbare Zeit mit oder ohne eigene Kinder dazu, inklusive eigener Vorstellungen/Prinzipien/Werte, dann läuft sogar noch mehr falsch. Eigentlich fast alles. Es kommt zu Verwerfungen, die kaum zu glätten sind. Es fallen Sätze wie: Mach es doch selbst! Du hast ja keine Ahnung! Woher willst (ausgerechnet) du das eigentlich wissen? Leck mich doch.

Was uns angeht, ich bin sehr dankbar, dass ich mich über Impfpflicht, Kieferorthopädie, Klavierunterricht oder Schulwahl nicht mit allen Bezugspersonen fortlaufend abstimmen muss, vielen Dank, Ihr Lieben!

Heikle Interventionen lassen sich aber nicht vollständig vermeiden. Hier gilt es besonnen zu reagieren, auch mal den Rückzug anzutreten. Neulich band ich dem Elfjährigen die Schnürsenkel, in aller Öffentlichkeit, nur aus diesem Grund. Eine Übersprungshandlung, weil Oma mal wieder ihre Meinung zur frühen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum Besten gab. Also wie das Kind mit den „Öffis“ eigentlich längst allein zu Papa fahren müsste. „Damit das mit der ewigen Autofahrerei aufhört.“ Welche Gefahren dabei drohen und wie das konkret überhaupt gehen soll, wollte die Mutter gerade nicht vertiefen, im Wissen um den Sprengstoff bei diesem Thema ging sie also zu den Füßen vom Kind in Deckung. Das allerdings sorgte für neuen Ärger. Für den Vater, der sonst natürlich nur seine Alltagspraxis mit dem Kind kennt und mit dem sie über Schuhe selten verhandelt, selbst dann nicht, wenn neue Sandalen für das Kind im Sommer anstehen, war das ein skandalöses Vorgehen. Er schimpfte: „Junge, du lässt dir nie wieder die Schuhe von Deiner Mutter binden, nie wieder, hörst du?!“ Huch? Worüber sich die Helikoptermutter übrigens auch schon lange nicht mehr streitet, ist der Irrglaube, dass Sonnenbrand die Haut angeblich abhärte.

Man weiß bei solchen Explosionen natürlich nie, was den anderen wirklich geritten hat, aber die Helikoptermutter ahnt dunkel, wie sich all die unausgefochtenen Streite über Werte, Regelwerk, Inkonsequenzen und niemals aufgeklärter Irrglaube sich bei Vater und Mutter rächen werden.

Wo zum Beispiel? Beim Schlendrian. Jetzt ist das Kind bald 12 und kommt eher nicht von selbst darauf, sich abends die Gießkanne zu schnappen und Blumen zu gießen. Ist das so schlimm? Ist es! Denn: Eltern sollten ab dem Alter von drei Jahren damit beginnen, ihr Kind zur Selbstständigkeit zu erziehen, weiß nicht nur der Vater. Zwischen sechs und 10 empfiehlt es sich, den Kindern weitere Arbeiten anzutragen, Tisch decken, Schuhe putzen, Knöpfe annähen, Wäsche falten und sie ordentlich in den Schrank räumen.

Hier nun will ich enden. Am Gefühl des Scheiterns ist nichts schön. Die ganzen Bücher darüber kannst du vergessen. Es erschöpft nur. Seine Mutter liebt ihn, sein Vater, sein Stiefvater, also alle, und das ist ja wohl das Wichtigste, sagt Oma auch immer.

Katharina Schmitz schreibt im Freitag als Die Helikoptermutter über die Unzulänglichkeiten des Familienlebens

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden