LovL ist kein Kosename

Bildungsnotstand Die Beschwörung von „Reformen“ ist zum Mantra der Bil­dungsexperten geworden, das die Probleme quasi von selbst lösen soll. Klingt lovely, wird aber nicht passieren
Ausgabe 34/2018

Um ein Bild zu haben: Stellen Sie sich zwei hübsche Kleinstädte ohne Bevölkerung vor – so viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen derzeit in Deutschland, rund 40.000. Ein Viertel der Stellen bleibt frei, 30.000 wurden mit Quereinsteigern, Studenten oder Pensionisten besetzt. LovL ist nicht etwa ein liebevoller Kosename, sondern die Kurzbezeichnung für einen Lehrer ohne volle Lehrbefähigung. Besonders drastisch ist der Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal an Grundschulen, also dort, wo man sich vorbereitet auf diese komplexe Welt, das elementare Rüstzeug fürs Leben erhält, wie ein Pädagoge der alten Schule sagen würde.

Bildung ist bekanntlich zuerst Ländersache, aber abgesehen von den jahrelangen Grabenkämpfen darum, wie die ideale Schule einer großen Wirtschaftsnation im digitalen Jahrhundert mit einer sehr heterogenen Schülerschaft am besten auszusehen hat, also abgesehen davon, scheint die Ursache für den Personalmangel überall dieselbe. Die törichte Unterversorgung mit Studienplätzen auf Lehramt jedenfalls kann man weder SPD noch CDU so direkt ins Zeugnis schreiben. Nimmt man Hamburg, wo die Entwicklung auch verschlafen wurde: statt gegenzusteuern, gibt es immer noch hohe Numerus-clausus-Werte für Lehramtsstudiengänge. Dabei müsste man angesichts der dramatischen Situation doch Anreize setzen. Noch 2013 reichte in der Hansestadt ein Bachelorabschluss von 1,5 nicht, um den Master zu machen. Für Lehrer ist der Master der Regelabschluss, ohne ihn gibt es kein Referendariat. In Bayern ist man etwas weiter, geplant ist seit diesem Jahr, den NC für Lehramtsstudiengänge zu senken oder ganz abzuschaffen.

Problematisch ist auch, dass es Studenten stark in die hippen Metropolen zieht. Dabei kann man in Passau gut auf Lehramt studieren. Man munkelt, auch an der Uni Greifswald seien noch Plätze frei, nach der Vorlesung ist die See nicht weit. Oder man geht gleich in die NC-freien Niederlande und absolviert ein Auslandsstudium, das auch in Deutschland anerkannt wird. Und nach dem Studium: In der Weltstadt Berlin (aber auch in Baden-Württemberg) werden Vertretungslehrer unter anderem mit befristeten Verträgen schikaniert; Berlin ist das letzte Bundesland, in dem Lehrer nicht wieder verbeamtet werden.

An Experten mangelt es hingegen nicht. Eine ganze Generation von Bildungsexperten hat tolle Ideen, für deren Umsetzung es aber eben auch das Personal braucht. Viel mehr Personal als bei klassischen Schul- und Unterrichtsformen. Notorisch propagieren Experten den individualisierten Unterricht, bei dem der Lehrer gleichsam als Lerncoach und Sozialarbeiter jedem Schüler individuell zur Seite steht. Das rote Tuch ist der Frontalunterricht. Der Fetisch individualisiertes Lernen ist hartnäckig populär, eine Bildungsstudie, die einen nennenswerten Erfolg gegenüber dem Frontalunterricht beweisen würde, sucht man allerdings vergebens. Im Gegenteil, gerade Kinder aus „bildungsfernen Schichten“ profitieren nicht. Eher noch wird – wie in Berlin geschehen – eine Brennpunktschule, die gute Arbeit leistet, abqualifiziert, weil „partizipative“ Elemente fehlen. Die Beschwörung von „Reformen“ ist zum Mantra geworden, das die Probleme quasi von selbst lösen soll. Dazu gehört auch die Abschaffung der Schulfächer zugunsten eines interdisziplinären Unterrichts wie auch räumlich hin zu einem Schulcampus statt der Flurschule, auf dem keiner sitzenbleibt, immer just in time abgeholt wird. Klingt lovely. All das muss die Schule jetzt auch dem LovL erklären.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

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