Takis Würger und das Marketing

Verlage Noch ärgerlicher als Würgers Roman „Stella“ ist der kalkulierte Hype um ihn
Ausgabe 03/2019
Stella Goldschlag alias Kübler-Isaaksohn 1957 mit ihrem Verteidiger vor Gericht
Stella Goldschlag alias Kübler-Isaaksohn 1957 mit ihrem Verteidiger vor Gericht

Foto: Keystone/Zuma/imago

Wer die Aufregung (lauter Verrisse, eine Debatte) um den Roman Stella nicht verfolgt hat: Takis Würger, der für den Spiegel sonst als (mehrfach ausgezeichneter) Reporter unterwegs ist – was, angesichts des Fälschungsskandals und der Ansicht von vielen jetzt, dass sie den Spiegel-Stil schon immer enervierend fanden oder selbstkritisch: dass „der Journalismus“ sich zuletzt auch allzu aufdringlich mit Geschichten, Preisen und Personenkult hochgejazzt habe, zusätzlich pikant erscheint – Takis Würger also hat einen Roman über eine jüdische Nazi-Kollaborateurin geschrieben. Selbst ein Laie erkennt sofort: Wer einen Hype inszenieren will, liegt mit so einer Konstellation schon mal goldrichtig. Stella heißt der Roman und er ist, wie auch ich nach der Lektüre finde, grottenschlecht.

Würde sein Autor nun nicht so gehypt und wäre das Buch nicht beim renommierten Hanser Verlag (zu dem Würger von Kein & Aber wechselte) erschienen und hätte es nicht das grotesk aufdringliche Buchmarketing vorab gegeben und hätte man nicht das starke Gefühl, nicht nur im Journalismus, sondern auch in der Literaturbranche müsste mal wieder einer auf die Bremse treten, würde kein Hahn danach krähen. Davor hatte Würger den Roman Der Club geschrieben.Für kaum ein anderes Buch habe es im Frühjahr 2017 einen so großen Marketingaufwand gegeben, schrieb David Hugendick damals in der Zeit. Immerhin gab es damals mehr gute Kritiken, wenn mein Gefühl nicht trügt.

Und nun also wieder: Was für eine Promotion! Da waren nicht nur diese Minibroschüren, vorne drauf immer das Konterfei der echten Stella Goldschlag, (was jetzt noch öbszöner wirkt), hinten drauf raunender Klappentext-Blurb vom erfolgreichen Kollegen Kehlmann. Das Frauenmagazin Brigitte feierte – Sperrfrist hin oder her – Würger als „hemmungslose(n) Romantiker“, und wenn die Brigitte so etwas schreibt, kannste gleich die zweite Auflage schon mal einplanen. Die Brigitte wusste auch schon, dass es „Debatte“ geben werde.

Aber erst einmal war da Geraune. Von einem hohen Vorschuss war die Rede. Die Journalistin der Wolfsburger Allgemeinen muss die Brigitte in die Hand gekriegt haben oder einen Stella-Flyer, jedenfalls angelte sie sich den gehypten Autor Würger für ein Interview, schwärmte, „vom Buchcover könnte man denken, da schaue einen Scarlett Johansson an“, was sich las, als wolle sie jetzt selbst ein bisschen wie die schöne Schauspielerin auf den schönen Takis Würger wirken. Der konnte nun beiläufig antworten, es gäbe schon Anfragen aus den USA für die Verfilmung von Stella. Aber: Nur das Buch sei jetzt wichtig! Im Infokasten drunter stand: „Bereits vor Erscheinen sind die Übersetzungslizenzen in neun Länder verkauft. Demnächst geht der Autor auf große Lesereise – auch in den USA.“ Es sind Infos direkt aus dem Verlagskatalog entnommen, Infos, für die sich primär die Buchhändler interessieren sollten.

Die eigene Oma verkaufen

Wie kommt es, dass so etwas eins zu eins abgetippt wird? Interviews als verlängerten Arm der Marketingabteilung gab es auch anderswo. Auch der Independent-Sender detektor fm surfte auf der Würger-Welle. Beim Hören dieses „Literaturgesprächs“ fragte man sich jedenfalls, ob man richtig hörte, als Takis Würger – er hat eine sexy Stimme – zum Besten geben durfte, wo er gern liest, und zwar auf einem, Achtung! „großen, warmen Stein mit Blick auf den Wannsee“, als auch im Bett, nicht so gern auf seinem Sofa. Würde die Journalistin gleich sagen: „Takis, ich will ein Kind von Dir?“

Aufschluss über Masche und Maschinerie gibt auch das Nachwort in Stella. Takis Würger dankt dem Vertrieb und einer Johanna für den Satz: „Du schreibst, als hättest du keine Gefühle.“ Und Tante Eva dankt er, die für ihn die Zeugenaussagen aus den Gerichtsprotokollen abtippte. Herrlich, man hat gleich Schwarzweißbilder der Tante im Kopf. Geschmacklos auch die Widmung. Der Autor hat sein Buch dem Urgroßvater gewidmet, der bei der Aktion T4, welche Teil der Krankenmorde im Nationalsozialismus war, „vergast“ wurde. Für die Filmrechte die eigene Oma verkaufen? Ach, egal.

In der Facebook-Timeline vieler Literaturkritiker steht die „gesponserte“ Seite zu Stella inzwischen ganz oben. Die Buchinfo an dieser Stelle entfällt.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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