Das Thema "Digitalisierung und Schule" als „Zukunftsaufgabe“ – wie es Angela Merkel mit Raute sicher schon einmal auf einer Cebit formuliert hat und es copy and paste sicher wieder auf der kommenden Cebit formulieren wird – ist schon sehr lange eine sehr lächerliche Angelegenheit. No offense: in Sachen Neue Medien verortet sich die Bundeskanzlerin bekanntlich irgendwo in einem Neuland-Apartment, dritter Stock, die Aussicht ziemlich pixelig, und manchmal hält sie vielleicht Ausschau nach einem Flugtaxi. Aber die eklatant fehlende Medienkompetenz in der Politik ist in diesem Deutschland ausnahmsweise nicht nur ein CDU/CSU-Manko. PolitikerInnen anderer Parteien haben auch keine Ahnung, sie twittern zwar, aber die Bedenken Second der FDP laden mit extraviel Gigabyte doch zu Furcht und Schrecken ein. Kein zukunftsweisendes Innehalten nirgends, noch schlimmer: alles Analoge wird als gestrig diffamiert.
Das größte Problem der Neuen Medien sei ihre kritiklose Affirmation, behauptet Roberto Simanowski in seinem lesenswerten Buch Stumme Medien – und er hat Recht. Bevor Schülerzeitungen zum Beispiel zum Thema Flüchtlingskrise nur noch aus Leitmedien-Links bestehen, statt vernünftig recherchiert zu sein oder gar eine eigene Haltung zu postulieren, sollten sich die Schulen besser ein bisschen digitalen Widerstand erhalten. Dieser scheint fast schon ein Akt der Zivilcourage. Gründe dafür gibt es genügend, jüngst die Pannen beim Zentral-Abitur, jetzt, kurz vor den Ferien und kurz vor den Zeugnissen stolpern die Schulen über den neuesten digitalen Treppenwitz hinunter. Schuld hat die EU-Datenschutz-Verordnung.
Was ist geschehen? An Schulen in NRW schreiben derzeit einige Lehrer die Zeugnisse wieder per Hand statt mit dem Computer. Es herrscht große Verunsicherung, wie im Rahmen der DSGVO jetzt mit personenbezogenen Daten umzugehen ist – denn die Vier in Deutsch vom zehnjährigen Ulrich aus der Klasse 4b, Kaiserwerth, Düsseldorf, ist so eine personenbezogene Information. Die Sonne scheint, aber die Zeiten, in denen der Lehrer nachmittags auf der Terasse bei einem Espresso die Noten mal schnell noch in seinen Laptop eintippte, sie scheinen vorbei. Herr Nolte kann nicht garantieren, dass der Rechner so sicher ist, wie es der europäische Datenschutz verlangt. Die entsprechende Erklärung dazu hat elf Seiten. Und es ist ja nicht so, als wäre in den letzten Jahren durch diese oder jene Reform der bürokratische Aufwand für die Lehrer geringer geworden. Man stellt sich jetzt vor, Herr Nolte ist mutmaßlich auch so ein Lehrer der alten Schule, dem man übel nachgeredet hat, weil so einer vom Kaliber Nolte im 21. Jahrhundert hartnäckig keine Emailadresse rausrückt, um auch außerhalb der Dienstzeit dienstlich erreichbar zu sein. Es zeigt sich nun, so manche digitale Ignoranz macht sich vielleicht doch noch bezahlt. Herr Nolte muss den Eltern der Klasse 4b heute Nachmittag keine Email senden, in der etwas über das neue Datenschutzgesetz steht, das ihn – und vermutlich die Eltern sowieso – überfordert.
Eine gute Nachricht gibt es vielleicht. Das schulreformerische Hamburg war letzten Sommer mit der Zukunfts-Nase vorn, es ließ sich die dienstliche Erreichbarkeit etwas kosten. 17.000 Lehrer bekamen eine dienstliche E-Mail-Adresse. Die Schulbehörde investierte 3,5 Millionen Euro. Über ein Passwort können sich die Lehrer von überall auf einer Plattform namens „eduPort“ anmelden. Allerdings war das vor der DSGVO-Dings. Man müsste jetzt einmal nachfragen, ob die Sicherheit dieses Schul-Servers wirklich gewährleistet ist und wieviele Lehrer wie glücklich damit sind, dass sie sich von überall einloggen dürfen, um spontane Rückfragen und Anfragen von Eltern (vom Garten aus) zu beantworten.
Übrigens. Alles wäre halb so schlimm für die Lehrer in NRW, gäbe es nur Noten von eins bis sechs. Statt Noten gibt es aber an deutschen Schulen seit Jahren die so genannten Kompetenzblätter, also eine Art Notenprosa statt Noten für Ulrich und seine Mitschüler. Per Hand dürfte das in diesem Jahr kaum zu bewerkstelligen sein. Der Ulrich kriegt also ein vier in Mathe, nicht näher erläutert, er kann`s halt nicht und man darf gespannt sein, wann in den anderen Bundesländern auffallen wird, dass das neue Datenschutzgesetz für die Erstellung von Zeugnissen kurzfristig eine Herausforderung darstellt.
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