Herrje, der „neue Mann“: Ist doch öder Kaffee, ist aus dem Hinterhalt gelegentlich noch Thema für junge Frauen mit erotischem Kapital, die dem Mann (mit einem feministisch einwandfrei argumentativen Spagat!) auch noch die Männlichkeit abknöpfen.
Aber so schnell ist er eben nicht wegzukriegen. Das Magazin Psychologie Heute hat ihm gerade eine ganze Ausgabe gewidmet. Der Männerpsychotherapeut Björn Süfke sieht beispielsweise die Ursache im Phänomen Stockfischschweigen darin, dass der Mann immer noch keinen Schlüssel zu seinen Gefühlen findet. Wo Frauen längst laut um rechtliche und ökonomische Selbstständigkeit kämpften, müssten sich Männer immer noch Zugang zu ihrer Innenwelt verschaffen, die ja natur
affen, die ja naturgemäß auch voll ist mit Bedürfnissen, Wünschen und zeitgemäßen Ansprüchen.Wer wüsste das besser als die sogenannten Männerrechtler? Der Schriftsteller Ralf Bönt ist einer, der zu dieser Spezies gezählt wird. Sein ebenso viel gelobtes wie gescholtenes Sachbuch Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann (2012) behandelt all diese Themen: vom Mann, den die gleichberechtigte Gesellschaft vernachlässigt, der aber auch sich selbst vernachlässigt, weil er das feministische Treiben entweder gönnerhaft von oben herab beobachtet hat oder weil er passiv ist, sein Rollenkorsett immer noch eng sitzt und das Schweinesystem eben nicht nur lange einen A-Klasse-Feminismus bedient hat, der normale Frauen ignorierte. Die feministische Gesellschaft hat, findet Ralf Bönt, noch einen großen Kollateralschaden mit sich gebracht: den benachteiligten Mann, den benachteiligten Jungen.Jetzt hat Bönt einen Roman veröffentlicht, der sein Lebensthema aufgreift und der viel mehr ist als eine larmoyante Nabelschau. Das kurze Leben des Ray Möller ist virtuos geschrieben, viel wurde reingepackt, das heutige Berlin nach der Mauer, eine unglückliche BRD-Kindheit, 9/11 und eine jüdische Freundin kommen drin vor. Und weil man gar nicht so viel „Männerliteratur“ dieser Sorte kennt, erinnert die Perspektive erst mal ein wenig an Karl Ove Knausgårds Mammutwerk, an das Mann-, Vater- und Partnersein, wie der Norweger es exzessiv dokumentarisch beschreibt.Fiese LiebeserosionDer Held des Romans, Marko Kindler, ist ein Mann, wie wir ihn überall antreffen können, nicht zuletzt in unserer Filterblase auf Facebook. Ein Schriftsteller auch er, sein letzter Roman liegt schon länger zurück, nicht weil ihn eine Schreibblockade hemmt, sondern weil Marko mit einer chronischen Krankheit kämpft, die den Alltag lähmt und die Sexualität deformiert, M. ist süchtig nach Onanie. Eine Diagnose hat er nicht, Medikamente nimmt er reichlich. Im Mittelpunkt steht aber zuerst die hochschwangere Lycile. Bönt seziert die fiesen Liebeserosionen, die sich bei dem Paar einschleichen, da hat der Alltag mit Baby noch gar nicht begonnen. Und weil sich die Sonne naturgemäß um die Schwangere dreht, muss sich der künftige Vater die Klage über Rückenschmerzen schon verkneifen, wenn die Wehen losgehen und das Auto im tiefsten Winter weit weg geparkt ist. Als das Baby Ray dann da ist, bleibt die Krankheit und vertieft ihre neurotischen Züge. Marko will eine Fehlbehandlung nachweisen, auf Schadenersatz klagen. Einmal stellt Lycile entnervt klar, sie habe einen Schriftsteller geheiratet.Lycile ist eine Frau, die ganz selbstverständlich Anspruch auf ihre Ansprüche erhebt. Und wenn das hier alles nicht klappt, so liest man zwischen den Zeilen, dann eben Pech und Patchwork. Verhandelt wird nämlich noch ein anderes, es scheint Bönts großes Thema: das Sorgerecht. Sicher – das neue Sorgerecht stärkt die rechtliche Stellung von Vätern, die Praxis sieht in zerrütteten Beziehungen wohl aber immer noch anders aus, wertfrei gesagt. Die große Verzweiflung und die Wut eines Vaters, der genauso da sein will für das Kind wie die Mutter, man findet sie in Bönts Roman – sie braucht auch keine großen Worte.Ein klassisches Vater-und-Sohn-Drama beschreibt dagegen der Schweizer Schriftsteller Linus Reichlin. Luis kann seine Balance nicht finden, weil die Dämonen aus der Kindheit ihn immer noch heimsuchen. In einem anderen Leben ist eine schön lakonische Geschichte über das Erwachsenwerden in einer durch und durch dysfunktionalen Familie. Reichlin erzählt von Eltern, die früher viel zu früh heirateten, sich deshalb wie Liz Taylor und Richard Burton aufführten, sich also wie die Kesselflicker über das verpasste Leben stritten, mittendrin das verstörte Kind. Luis’ Vater ist Zahnarzt, er trinkt zu viel, bald viel zu viel, er trinkt die Familie konsequent um die bürgerliche Existenz. Die Mutter flieht zeitversetzt in den Alkohol, sie saust mit dem Mini Cooper bei den ersten Sonnenstrahlen in die Berge, um sich auf einer Terrasse mit Weißwein das Leben schönzutrinken, das Heimweh nach dem sonnigen Tessin zu vergessen.Luis’ Kindheit ist geprägt von der Willkür in einem Ehekrieg. Wann genau die Mutter in sein Zimmer stürzt, um die Tür zu verrammeln und den Vater als Schwein zu beschimpfen, weiß er nicht. Es kann halt immer passieren. Das ist das Schlimmste. Die berühmte Resilienz bei Kindern, also trotz widrigster Verhältnisse nicht selbst verrückt zu werden, führt dazu, dass der Junge sich freischwimmen kann. Statt des Helfersyndroms wählt Luis die Freiheit. Er verliebt sich. Er unternimmt mit seiner Jugendliebe die erste Reise nach London. Er sagt den Trip nicht ab, als die Mutter einen Gehirnschlag erleidet und pflegebedürftig wird. Weil es eigentlich nicht schlimmer kommen kann, und lebenslange Vorwürfe kann man sich schließlich auch woanders machen.Die Vergangenheit holt den Anfang 40-Jährigen wieder ein, als Luis nach Berlin kommt und sich in Nora verliebt. Das Leben ist unbeschwert, dann kommt die Zäsur, als Nora schwanger wird. Und da ist sie dann wieder, die neue Männerliteratur, von und über forty-something-Männern, die Väter werden: Die neue Vater-Rolle ist für Luis zunächst ein Schock. Kann er ein guter Vater sein, will er überhaupt einer sein? Anfänglich sträubt er sich gegen den Verlust an Autonomie, den ein Kind mit sich bringt, den Verlust an Erotik. Und ... ist ihm die übermäßige Trinklust nicht in die Wiege gelegt? Erinnerungen an die Eltern werden wach, Luis kann es kaum ertragen, wie Nora es sich wochenlang gemütlich macht auf dem Sofa, wie sie sich gehen lässt. Rastlos streift er durch Berlin, vollkommen überfordert von der neuen Situation.Linus Reichlin, der auch ein gerühmter Krimiautor ist, webt um seine Familiengeschichte einen kriminalistischen Plot, der in den Bann zieht. Es geht um ein Kunstwerk, das der Vater einst anschaffte, das für einen Riesenehekrach sorgte, von dessen Existenz das Schicksal der Mutter abzuhängen scheint, das der Vater dann für den Suff abschafft, von dem der Sohn dann eine Kopie macht, die der Vater wiederum verhökert. Urplötzlich taucht das Bild Jahre später in einer Berliner Galerie auf, samt dem Wiedergänger seines Vaters. Das Leben gerät erneut aus den Fugen.Wenn Linus Reichlin über Kindheit und Jugend schreibt, scheibt er elegant und eindringlich, für den großen Vaterroman unserer Tage fehlt ab und an vielleicht der zeitliche Abstand zum Sujet. Seine Schwäche ist aber zugleich eine Stärke. Reichlin kann zeigen, dass uns natürlich prägt, ob wir als Mann oder Frau geboren werden, dass es vor allem aber die guten und bösen Geister der Kindheit sind, die wir nicht loswerden, die wir in die Liebe tragen, sie irren unsichtbar herum im Beziehungswirrwarr. Unser Hier und Jetzt spielt gleichzeitig in Vergangenheit und Gegenwart. Aus dem Erwachsenen spricht immer auch ein Kind. „Eine der ersten Erinnerungen meines Lebens ist die, wie mein Vater schwankt. Er steht spätnachts im Dunkeln der schmalen Toilette gegenüber von meinem Zimmer. Er dreht sich zu mir um und schwankt. Dieses Schwanken und die Dunkelheit sind mir gleichermaßen unverständlich. Ich sehe, es ist mein Vater, aber ich kann ihn mit seinen verängstigenden Bewegungen nicht in Verbindung bringen.“Placeholder infobox-1
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