Ohne Opfer-Abo nach oben

Journalismus Der Erzählband „Meine 500 besten Freunde“ von Johanna Adorján lässt auf eine weibliche, Rainald-Goetz-artige Abrechnung hoffen
Johanna Adorján
Johanna Adorján

Foto: Alfred Steffen

Nein, ein Problem mit dem Sexismus haben die Frauen in Johanna Adorjáns soeben bei Luchterhand erschienenen Kurzgeschichten nicht. Nun wurde Meine 500 besten Freunde ja auch nicht als Enthüllungsbuch zur bisher heißesten Debatte in diesem Jahr vorgestellt. Aber sie läuft nun einmal, und man liest das Buch vor diesem Hintergrund, zumal das Setting nicht passender sein könnte: Die Geschichten spielen in der Berliner Boheme, an Orten, an denen man natürlich ein Glas Wein zu viel und Machtmissbrauch in Form von Anzüglichkeiten sofort vermuten würde: auf Vernissagen, im Restaurant Borchardt, in einer nicht genau zu verortenden Zeitungsredaktion. Schauplätze auch wie geschaffen, den Typus weißer, nicht mehr ganz junger Mann, dessen Zeit ja laut Medienberichten so langsam ablaufen soll, literarisch vorzuführen.

Johanna Adorján trat 2009 als Buchautorin hervor. Die Journalistin hatte mit ihrem Debüt Eine exklusive Liebe viel Beachtung und Lob erhalten. Darin wird die Geschichte ihrer Großeltern erzählt, die als ungarische Juden den Holocaust überlebten, 1956 während des Aufstands von Budapest nach Dänemark flohen und sich 1991 in Kopenhagen das Leben nahmen. Bis heute wurde das Buch in 16 Sprachen übersetzt. Die Erwartung ist also da beim zweiten Buch. Kann die Autorin noch mehr?

Die prekäre Bohème

Seit über zehn Jahren arbeitet Adorján im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Wer sie liest, schätzt ihre eigenwilligen, geistreichen Beobachtungen und fragt sich, ob Meine 500 besten Freunde eine weiblich kluge, Rainald-Goetz-artige Abrechnung mit dem Betrieb ist? Der Titel klingt lustig und freundlich böse, und manch einer aus ihrer Branche ist wohl neugierig, ob er sich in einer der Geschichten wiederfindet. Ich selbst bin Johanna Adorján einmal bei einem Essen begegnet. Der Gastgeber hatte sie mir als Tischnachbarin zugeteilt. Als Leserin kannte ich die Journalistin, wusste von ihrem Bucherfolg und dank Google auch, wie sie aussieht, sehr hübsch. So entstand eine seltsame Situation, denn umgekehrt kannte sie mich natürlich nicht. Ich komme im Buch denn auch nicht vor, was überhaupt nicht schlimm ist, aber meinesgleichen kommt darin eben so gar nicht vor. In Johanna Adorjáns Geschichten findet nicht nur der Sexismus nicht statt, auch die prekäre Boheme existiert nicht, als gäbe es zum Beispiel kein Zeitungssterben.

Mächtig ist in ihren Geschichten, wer jung ist. Wie die junge Praktikantin Angie. Angie weiß ihre großen Brüste einzusetzen. Sie will es auch, die Männer goutieren das, vom weiblichen Teil der Redaktion kommen feindselige Blicke. Zum Ressort Kultur ist Angie aus praktischen Erwägungen gestoßen. Redakteur Hermann hat sich in sie verliebt und viel Geduld beim Überarbeiten ihrer Texte. Was Angie aber nicht davon abhält, den leitenden Kulturredakteur Bartholomäus anzuflirten. Die Sache ist einfach, wer nicht immer dröge Rezensionen schreiben will, sondern in Richtung großes Essay, muss sich gezielt nach oben orientieren. Einziges Problem in diesem Kalkül ist, dass die Praktikantin Christine noch mehr Sexappeal mitbringt. Aber Angie nimmt es sportlich. Nichts von Opfer-Abo.

Der Leser reibt sich etwas die Augen, wurde Sexismus in Arbeitsverhältnissen zuletzt nicht fast ausschließlich aus der weiblichen Opferperspektive erzählt? Andererseits: Es gibt diesen Typus ja wirklich.

Nicht im Politikressort

Und angedeutet wird das „Ende des weißen Mannes“ dann doch noch. Es treten einige Herren auf, deren Karriere nicht den Verlauf genommen hat, den sie sich gewünscht hätten. Männer, die mit sich hadern und viel Zeit damit vertun, die Konkurrenten zu beneiden. Männer, die endlich den preiswürdigen Essay zu schreiben hoffen. Männer, deren Feind primär der andere Mann ist, nicht der Typ „junge attraktive selbstbewusste Frau“. Jedenfalls nicht im Politikressort. Nur der Kulturredakteur Hermann hat schon verloren, ihm fällt gar nicht auf, dass er ausgenutzt wird.

Wer sind die anderen Frauen in diesem Buch? Sie sind Anfang vierzig. Sie haben Probleme mit dem Älterwerden, mit dem Singledasein, sie wollen ein Kind, einen Mann, der es ihnen besorgt. Sie finden ihr Leben irgendwie langweilig, es ist eine Aggressivität in ihnen, die sich nicht erklärt. Ihre diffus weibliche Wut und Unzufriedenheit kriegen die Zweifler und Zauderer zu spüren. Zum Beispiel Theodor. Jetzt hat er schon wieder keinen Preis gewonnen. Bang fragt er seine Frau Louise im Moment des Scheiterns: Liebst Du mich noch? Und Louise winkt ab, eine Geste, die beides bedeuten kann, natürlich liebe ich dich, oder auch: natürlich nicht.

In solchen Momenten bricht etwas auf, ist ein Abgrund zu sehen von Menschen, die ganz und gar nicht glücklich sind. Dann werden die Geschichten, die Johanna Adorjáns erzählt, zu Short Storys im eigentlichen Sinn, zu Ausschnitten aus dem alltäglichen Unglück. Die ehemalige, namenlose Redakteurin hat jetzt zwar ein Kind, nur lebt sie mit Ferdinand allein. Die Yoga-Lehrerin Ayumi murmelt vor lauter Hass auf alles tourette-artig Schimpfworte in sich hinein und ist irritiert, als ihr schlimmstes Feindbild freundliche Worte für sie findet. Aber diese schroffen Brüche sind rar, Adorján erzählt souverän, gleichsam im gedimmten Licht eines guten Restaurants.

„Wir saßen damals oft im Borchardt. Ein paar Jahrzehnte später waren wir tot ...“ lautet eine sehr schöne Stelle, die zugleich illustriert, wie diese gediegen abgründigen Geschichten ganz ohne Rainald-Goetz-Furor und eher unabsichtlich aktuell und gesellschaftspolitisch daher kommen, eben weil der Leser nun mal nicht anders kann, als eine drängende Debatte in ihnen mitzulesen.

Meine 500 besten Freunde Johanna Adorján Luchterhand Literaturverlag 2013, 256 S., 18,99 €

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 9/13 vom 28.02.20013

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